Zukunftsgewandte Resilienz
Ein Stimmungsbild vom Campus Berlin-Buch und vom EUREF-Campus während der Pandemie
„Zukunftsorte Berlin“. Dieser Name ist ein Statement. Aber hält dieses Zukunftsversprechen auch in Zeiten, in denen eine Pandemie das öffentliche Leben lähmt? Am Campus Berlin-Buch und auf dem EUREF-Campus in Schöneberg – zwei von elf Berliner Zukunftsorten – fällt die Antwort eindeutig aus.
Beide sind klar fokussiert: Life Science, Medizin und Biotechnologie auf dem Campus Buch. Vernetzte Energiesysteme, smarte Städte und nachhaltige Mobilität auf dem Schöneberger EUREF-Campus. Bei solchen Fokusthemen geht der Blick automatisch in Richtung Zukunft. Folgerichtig zählen beide Standorte wie der Technologiepark Adlershof zu den elf Berliner Zukunftsorten.
Doch was heißt Zukunft, wenn eine Pandemie den Alltag beeinträchtigt? Wenn das Campusleben im Dornröschenschlaf liegt, weil Beschäftigte zum Homeoffice und die Gastronomie zum To-go-Betrieb verdammt sind? – „Sehr ruhig ist es hier“, berichtet EUREF-Vorstandsmitglied Karin Teichmann. Sonst arbeiten 5.000 Menschen in 150 Unternehmen und drei Instituten daran, unsere Verkehrs- und Energiesysteme ins postfossile Zeitalter zu transformieren. Doch trotz der Ruhe zeichnet sie ein überraschend positives Bild. Weil die Leitthemen Verkehrswende und Smart City in der Pandemie Fahrt aufgenommen haben, stehen viele Firmen gut da. So berichte etwa das Campus-Unternehmen Schneider Electric von einem Nachfrageschub nach smarter, fernsteuerbarer Gebäudetechnik. Die Nachhaltigkeitsziele im Verkehr und im Energiesektor sind aktuell wie nie. „In unserer Mieterstruktur gibt es wenige, die durch die Pandemie verlieren“, erklärt Teichmann.
Der zukunftsgewandte Themenfokus erweist sich als stabilisierend. Doch trotz aller Widerstandsfähigkeit fehlt etwas Wichtiges: „Ein Campus lebt auch von zufälligen Begegnungen und spontanem Austausch. Häufig führen Zufallsbegegnungen zu neuen Ideen und Innovationsprojekten“, sagt Teichmann. Dieser Teil des Campuslebens liegt ebenso brach, wie die universitäre Lehre vor Ort oder die praktische Erprobung von Zukunftstechnologien im „Reallabor EUREF“. Über 100.000 Besucher/-innen strömen in normalen Jahren hierher. Sie fehlen.
Dennoch hat Teichmanns Team alle Hände voll zu tun. Es schmiedet Zukunftspläne: „Weil unser Campus wegen seiner Insellage nicht mehr weiterwachsen kann, exportieren wir unser Know-how.“ Zukunftsorte braucht es schließlich nicht nur in Berlin.
Dass „es läuft“ bestätigen auch die beiden Geschäftsführer der Campus Berlin-Buch GmbH, Christina Quensel und Ulrich Scheller. In Buch gehen 6.500 Beschäftigte in Kliniken, Forschungsinstituten und 61 Unternehmen ein und aus. Sie münzen naturwissenschaftliche Erkenntnisse in wirksamere Medikamente und Therapieansätze um: Wirkstoffentwicklung, Drug-Delivery-Systeme, neue Ansätze für Therapie und Diagnostik, softwaregestützte Tools und Methoden – all das hat Konjunktur. Auf dem Campus wimmelt es von Spin-offs aus den Instituten; vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), dem Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie oder der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Entsprechend eng sind die Netzwerke. Das kommt dem Campus jetzt zugute. Die Akteure kennen einander und wissen, an wen sie sich mit welchen Fragen wenden können. Lösungen aus Biowissenschaften und Medizin sind gefragt wie nie. Firmen am Standort liefern Technologien für Corona-Tests zu. Andere stellen im Auftrag globaler Konzerne ganze Testkits her. Viele arbeiten seit Monaten im Mehrschichtbetrieb, um die Nachfrage zu bedienen. „So gesehen ist unser Campus sehr resilient“, sagt Quensel.
Wider Erwarten gibt es auch gute Nachrichten an der Finanzierungsfront. So erhielt T-knife, ein MDC-/Charité-Spin-off, das Krebstherapien auf Basis modifizierter T-Zellen entwickelt, im August 2020 satte 66 Millionen Euro Wagniskapital. „Die größte A-Runde in Deutschland – trotz Pandemie“, freut Quensel sich für das T-knife-Team. Scheller ergänzt: „Es ist nicht so, dass Investoren plötzlich Schlange stehen. Sie haben statt kurzfristiger Trends langfristige Ziele im Blick und prüfen weiterhin genau, an wen sie sich binden.“ Dennoch sei die Gründungsszene auf dem Campus quicklebendig. Immer mehr Start-ups wollen sich hier ansiedeln. Mit dem neuen Gründungszentrum „BerlinBioCube“ werden dafür aktuell 8.000 Quadratmeter zusätzliche Büro- und Laborfläche geschaffen. Dies auch, weil der Technologietransfer aus den Instituten in neue Spin-offs laut Scheller trotz aller Corona-Widrigkeiten auf Hochtouren weiterläuft. Die Zukunft – das wird klar – behält dieser Zukunftsort trotz der Pandemie fest im Blick.
Von Peter Trechow