CHIC in Sphären künstlicher Intelligenz - Teil 1
Die KI-Plattformen der AGENTS HQ GmbH und der Quantistry GmbH schürfen aus Rohdaten wertvolles Wissen
Berlin zählt zu den urbanen Hotspots, an denen besonders viele Start-ups die Entwicklung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) vorantreiben. Auch im Charlottenburger Innovationszentrum CHIC weht jede Menge KI-Geist durch die Flure. Im Gespräch mit den Teams wird klar, warum allein in Deutschland schon mehr als 6.000 KI-Start-ups im Markt Fuß fassen konnten: Die Menge und Vielfalt an Rohdaten, denen die Teams mit ihren Algorithmen Wissen entlocken, scheinen unendlich. Gleiches gilt für die Möglichkeiten, daraus in unterschiedlichsten Märkten Wettbewerbsvorteile zu generieren.
Stimmig ist das Sprachbild von den „Daten als Rohstoff der 21. Jahrhunderts“ nur, wenn „Rohstoff“ wörtlich genommen wird. Wie bei Erzen und Rohöl bedarf es aufwändiger Prozesse und spezifischen Know-hows, um den Datenrohstoff zu veredeln. Der Vorteil: Anstelle der Hütten, Raffinerien, Katalysatoren & Co. rücken in der digitalen Rohstoffwelt Algorithmen und leistungsstarke Rechner. Daher können auch kleine, hochspezialisierte Unternehmen aus massenhaft anfallenden Rohdaten wertvolles Wissen und letztlich Wettbewerbsvorteile für ihre Kundschaft generieren.
Bei Fragestellungen, für die im analogen Zeitalter kilometerweise Aktenregale hätten gesichtet und analysiert werden müssen – was Unternehmen aufgrund des erdrückenden Arbeitsaufwandes erst gar nicht in Angriff nahmen – gehen heutige KI-Start-ups unerschrocken ans Werk. Ihre Algorithmen sieben, filtern und trichtern riesige Datenströme und sorgen so für Orientierung in den längst unüberschaubar gewordenen Wissensräumen der digitalen Gesellschaft.
Weltwissen akkurat gefiltert und übersichtlich aufbereitet
Um das grundlegende Problem zu verstehen, ist ein Blick auf die Homepage der AGENTS HQ GmbH ratsam. Sie visualisiert in Echtzeit, wie rasend schnell das globale Wissen wächst. Ob News, Blogs, Neugründungen oder Patente – die Zähler rattern so schnell, das eine Sekunde wie eine Ewigkeit erscheint. Schon das Mitzählen ist unmöglich, und jede einzelne dieser Zahlen steht für ein eigenes kleines Universum des Wissens. Kein Mensch kommt da noch mit. Deshalb setzt das Team von Agents HQ eigene KI-Algorithmen darauf an, das exponentiell wachsende Weltwissen zu filtern. Oder genauer: Das Team baut eine Plattform auf, die es seiner stetig wachsenden Kundschaft ermöglicht, im Handumdrehen qualifizierte Antworten auf konkrete Suchanfragen zu erhalten. Sucht etwa ein Pharmaunternehmen an einem Auslandsstandort nach lokalen Zulieferern mit spezifischen Zertifikaten, Produktionsanlagen oder Know-how, dann durchforsten die Algorithmen alle verfügbaren Informationen zu allen in Frage kommenden Firmen – und dies sowohl in der jeweiligen Landessprache als auch auf Englisch. Die KI-Plattform generiert eine Ergebnisliste und liefert den Fragenden übersichtliche zusammengefasste Texte und Grafiken zu allen Anbietern, die dem Suchprofil entsprechen.
Die Keimzelle des Start-ups bilden Tatjana Samsonowa-Denef und Sebastian Denef. Beide sind promoviert, blicken auf Studien und Karrierestationen an der TU Darmstadt, der TU Delft, beim Softwarekonzern SAP und an Fraunhofer-Instituten zurück und haben 2014 gegründet. „Wir entwickeln intelligente Agenten, daher der Name Agents HQ“, erklärt Samsonowa-Denef und zeigt anhand einer Präsentation, wie das mittlerweile fünfköpfige internationale Team vorgeht, um den globalen „Daten-Tsunami“ zu bändigen und vollautomatisiert verwertbare Informationen daraus zu gewinnen. „Einfache generische Modelle genügen nicht mehr, denn ihre statistischen Analysen generieren recht unpräzise Informationen“, sagt sie. Daher setzt das Team vortrainierte, semantisch spezialisierte Agenten ein. Diese sind auf drei Gebiete trainiert: Marktanalysen, die eine gezielte Suche nach und das Monitoring von Unternehmen ermöglichen. Eine zweite Lösung dient dem Technologiescouting, stellt wissenschaftliche Scripts und Patente zusammen und macht so auch Trends sichtbar. Und der dritte Agent legt den Fokus auf politische Debatten, Regulierungsvorhaben und Medienberichte. Er ist aber auch in der Lage besonders einflussreiche Personen und Netzwerke zu identifizieren. Auch ein News-Radar, der relevante News in 150 Ländern in deren Sprachen aufspürt und zu Dossiers mit Bildern, Texten und Grafiken in der Sprache der Anfragenden zusammenstellt, gehört in die dritte Kategorie.
Intuitiv bedienbar
„Es war uns von Anfang an wichtig, dass die Bedienung unserer Plattform keinerlei Expertise voraussetzt“, erklärt die Gründerin. Die Sucheingabe erfolgt in normaler Sprache. Erkennt das System, dass die Frage komplex ist, dann klont es automatisch die Agenten und kann die Suche durch diesen Kunstgriff der Parallelisierung entscheidend beschleunigen. Wo spezialisierte Agenturen früher mehrere Wochen beschäftigt waren, spuckt die Agents-HQ-Plattform in wenigen Sekunden oder bei sehr komplexen Fragestellungen zuweilen auch Minuten strukturierte, textlich und graphisch aufbereitete Antworten aus. „Wir sind nicht nur schneller, sondern liefern laut unseren Kunden auch qualitativ deutlich hochwertigere Resultate“, berichtet sie. Entsprechend zählen heute Global Player aus verschiedenen Branchen und auch Regierungen zu ihrem Kundenstamm. Sie mieten im Agents-Store Zugang zu bestehenden Agenten oder können spezifische Agenten programmieren und trainieren lassen. Mal geht es darum, in der globalen Datenflut Hinweise auf mögliche Partnerfirmen zu finden, mal darum, den Wettbewerb und potenziell disruptive Trends im Auge zu behalten, mal um das Identifizieren einflussreicher Netzwerke oder darum, Weichenstellungen für die Energiewende mit Wissen zu unterfüttern. Auch für das Optimieren von Lieferketten wird die KI eingesetzt. Dank der wachsenden Kundenbasis ist das CHIC-Start-up profitabel. Dennoch ist laut Samsonowa-Denef der Zeitpunkt gekommen, um Investoren ins Boot zu holen. Die Geschäftsidee sei global skalierbar – und es gebe mehr Anfragen, als das kleine Team bewältigen kann. Eine Wachstumsfinanzierung könnte das ändern.
KI ermittelt Synthesepfade und molekulare Systeme
Das Bild der Erze, aus denen in vielen Prozessschritten zunächst Metalle und mittlerweile oft Hightech-Legierungen werden, umreißt recht genau, womit sich das benachbarte Team der Quantistry GmbH beschäftigt. Seit Gründung im Jahr 2019 ist das Spin-off der Freien Universität Berlin auf 16 Beschäftigte gewachsen, die je zur Hälfte auf Informatik und auf Computational Chemistry spezialisiert sind. Der Fokus liegt auf molekularen physikalischen Systemen. Mit der KI-unterstützten Simulationslösung des Start-ups kann die Kundschaft den Kosmos der Elemente und Moleküle auf Kandidaten und Synthesepfade für ihre spezifische Problemstellung hin durchsuchen. Zur Kundschaft gehören auch hier Weltkonzerne, mit denen allerdings Stillschweigen vereinbart ist.
In der Batterieforschung kürzt die intuitiv bedienbare Quantistry-Simulation die Suche nach molekularen Zusätzen zu Elektrodenmaterialien oder Elektrolyten ab, mit denen sich die Speicherkapazität ohne Mehrgewicht steigern oder die Lebensdauer erhöhen und die Kosten senken lassen. Ehe diese Kandidaten den Weg in Serienbatterien finden, ist eine Fülle an Tests nötig. Wie verhalten sie sich im Betrieb? Wie ändert sich das Batterieverhalten bei schwankenden Temperaturen? Gibt es Einflüsse auf die kalendarische Lebensdauer auf die Zyklenfestigkeit oder Sicherheit? „Diese und viele weitere Fragestellungen in Realversuchen zu klären, würde wegen der Vielzahl an denkbaren Kandidaten den Zeit- und Kostenrahmen sprengen“, sagt Arturo Robertazzi, der im Team für Marketing und Vertrieb verantwortlich ist.
Demokratisierung der Simulation
Um das Dilemma zu lösen, setzt Quantistry auf Simulationen – und stellt diese auf eine neue, zukunftsfeste Basis. Nicht nur, weil sie in jedem Webbrowser durchführbar sind. Sondern, weil die für komplexe Simulationen notwendige Rechenleistung aus der Cloud kommt – und die Kundschaft dort Zugriff auf das ganze moderne Instrumentarium von Machine Learning, Quantenchemie und Molekulardynamik hat. Der Vorteil liegt auf der Hand: Statt in Software und deren Wartung investieren zu müssen, kann die Kundschaft bei Bedarf auf die KI-unterstützte, smarte und zentral gewartete Quantistry-Simulation zugreifen. Molekülkandidaten lassen sich per drag & drop in die Simulation ziehen. Ob Batteriematerialien, Schmierstoffe, Metalllegierungen, Arzneien oder Spezialchemie und Halbleitermaterialien: Die Simulationen führen schnell und zielgerichtet zur engeren Auswahl, die dann in Realtests erprobt wird.
„Unsere Plattform ist schon heute so ausgelegt, dass sie in Zukunft auch auf Quantencomputern betrieben werden kann“, berichtet Robertazzi. Denn deren Rechenperformance werde Simulationen massiv beschleunigen. „Unser Ziel ist die Demokratisierung der Simulation. Wo bisher hochqualifizierte Fachleute gebraucht werden, setzt unsere cloudbasierte mit modernsten Methoden und Tools unterstütze Simulation kein spezifisches Know-how mehr voraus“, fasst er die Vision des Teams zusammen. Perspektivisch möchte das Team auch Hochschulen und Studierenden Zugang zu der Plattform verschaffen, um ihre Forschung zu unterstützen – und schnelleren Fortschritt zu ermöglichen.
Von Peter Trechow für CHIC!
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