Innovativ. Mutig. Weiblich.
Nach wie vor sind Frauen im Gründungsgeschehen unterrepräsentiert. Höchste Zeit, genauer hinzusehen und die Rollenbilder in der Gründungslandschaft zu hinterfragen
Verschiedenste Initiativen bestärken und unterstützen Frauen darin, sich selbständig zu machen und eigene Unternehmen aufzubauen. Der Gründerinnenstammtisch im CHIC gehört ebenso dazu wie das monatliche Berliner Gründerinnenfrühstück oder – auf einer anderen Ebene – das neue Frühphasen-Förderprogramm EXIST-Women für Existenzgründerinnen aus der Wissenschaft. Aktuelle Studien zeigen, dass diese Maßnahmen nötig sind. Denn nach wie vor sind Frauen im Gründungsgeschehen unterrepräsentiert. Das gilt vor allem im Bereich wachstumsstarker Technologiegründungen und bei der Verteilung von Wagniskapital, bei der die Männerquote mit jeder Finanzierungsrunde steigt. Höchste Zeit, genauer hinzusehen und die Rollenbilder in der Gründungslandschaft zu hinterfragen.
„Die gute Nachricht: Frauen gründen mehr Startups als in den Vorjahren. Der Frauenanteil liegt jetzt bei 20 Prozent“, schreibt Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in ihrem Grußwort zum aktuellen Female Founders Monitor vom deutschen Startup Verband und StepStone. Zwar schiebt sie nach, das Ziel sei Parität. Doch wenn es schon als Erfolg gilt, dass auf eine Gründerin „nur“ noch vier Gründer kommen, ist die Schieflage offensichtlich.
Und überhaupt: Wieso ergreift die Ministerin für Familie und Frauen das Wort, wo es doch um eine im Kern wirtschaftspolitische Frage geht? Start-ups sind Treiber für Innovation, Beschäftigung und Wachstum. Sie beflügeln mit ihren Ideen etablierte Unternehmen, sorgen für Erneuerung und liefern Impulse für die volkswirtschaftliche Entwicklung. Wenn weibliche Initiative und Perspektive im Gründungsgeschehen regelmäßig außen vor bleiben, dann wird damit jede Menge Potenzial verschenkt.
Offensichtlich ein strukturelles Problem
Der Female Founders Monitor zeigt, dass die Lücke zwischen männlich und weiblich geführten Start-ups mit fortschreitender Unternehmensreife wächst. Auf rein weibliche Teams entfallen nur fünf Prozent der Venture-Capital-(VC)-Deals in Europa. Dem stehen 18 Prozent für gemischte und 77 Prozent für rein männliche Teams gegenüber. Doch damit nicht genug: An Frauenteams ging laut Monitor nur ein Prozent der investierten VC-Gesamtsumme, während sich reine Männerteams 87 Prozent sichern konnten.
Die Zahlen deuten auf strukturelle Probleme hin. Es gibt mehr Frauen als Männer. Mehr Abiturientinnen als Abiturienten. Doch in Gründungsteams sind sie eine Minderheit. Fast zwei Drittel aller Teams sind rein männlich. Die Zahl deckt sich mit der aktuellen Jahresumfrage unter den rund 60 Start-ups im CHIC. Von ihren insgesamt gut 700 Beschäftigten ist jede Dritte weiblich – je nach Blickwinkel immerhin oder nur. Denn die Teams leisten im CHIC ihren Beitrag zur wirtschaftlichen, technologischen und damit letztlich auch zur gesellschaftlichen Zukunft in der Region und in unterschiedlichsten Branchen. Je mehr Perspektiven und Lebenserfahrungen in diese Entwicklung einfließen, desto eher werden sie die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen treffen – von denen bekanntlich 51 Prozent weiblich sind.
Auf die Art der Gründungen kommt es an
So gesehen ist es ein Mangel, dass Gründerinnen im Technologiebereich so klar unterrepräsentiert sind. Das volkswirtschaftliche Kompetenzzentrum der Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW Research, sucht in einer aktuellen Studie mit dem programmatischen Titel „Female Entrepreneurship – Mobilisierung von Gründerinnen ist wirtschaftliche Chance und gesellschaftliche Aufgabe“ nach den Gründen dafür. Erste Überraschung: Die Gründungsneigung von Frauen ist stärker, als es der auf Technologie-Start-ups fokussierte Female Founders Monitor vermuten lässt. Bei Existenzgründungen bewegt sich ihr Anteil um 40 Prozent. Allerdings gründen sie eher frei- oder nebenberuflich, solo oder in kleinen Teams. Und sie setzen beim Aufbau ihrer Unternehmen eher auf organisches Wachstum als auf schnelle kreditfinanzierte Expansion. Die KfW-Studie zeigt auch, dass sich Gründerinnen öfter mit Dienstleistungen oder als Social Entrepreneurinnen selbständig machen als Gründer.
Insgesamt bewegen sich die Gründungsaffinität, Planung und die tatsächlich realisierten Gründungen von Männern und Frauen auf vergleichbarem Niveau, resümiert die Studie. Große Unterschiede treten erst zutage, wenn die Art der Gründung betrachtet werde. Frauen machen sich deutlich öfter in Freiberufen wie Ärztin, Anwältin, Journalistin oder Übersetzerin selbständig als Männer. Dafür basieren durchschnittliche Geschäftsmodelle von Männern häufiger auf Forschung und Entwicklung, sind digitaler und fast doppelt so oft vom Wunsch zu wachsen getrieben, als weibliche Gründungen. Die Studie zeichnet an rund einem Dutzend Kriterien nach, dass und inwiefern Gründungen von Männern und Frauen strukturelle Unterschiede aufweisen.
Hemmende soziale Faktoren – und schwierige Finanzierung
Was folgt aus diesen Unterschieden? Offensichtlich sind Frauen nicht weniger geneigt selbständig zu arbeiten als Männer. Sowohl die KfW-Studie als auch der Female Founders Monitor zeigen aber, dass Frauen beim Gründen darauf achten, wie ihre unternehmerische Tätigkeit in den Alltag integrierbar ist. Denn noch immer bleibt das Gros der Care-Arbeiten und Kinderbetreuungszeiten an ihnen hängen. Sie organisieren sich um diese Aufgaben herum und bauen oft im Nebenerwerb ihre eigene berufliche Existenz auf. Die Kapazitäten, in einer solchen Konstellation das Geschäftsmodell zu skalieren und auf personelles Wachstum zu setzen, sind begrenzt. Etwa, weil Gründerinnen dadurch, dass sie mehr Verantwortung für die Care-Arbeit übernehmen, im Schnitt sechs Arbeitsstunden pro Woche einbüßen – was sich auf 40 Arbeitstage pro Jahr summiert. Auch für Reisen, Abendtermine oder Teilnahmen an Fortbildungen und Kongressen, die Gründer zum Knüpfen ihrer Netzwerke nutzen, bleibt Gründerinnen häufig weniger Raum.
Wo die Möglichkeiten zum Netzwerken, die Know-how-Vermittlung oder auch das Erleben unternehmerischer Vorbilder eingeschränkt sind, sind die Wege in sicheres Fahrwasser und unternehmerische Routinen länger. Auch das trägt dazu bei, dass Gründerinnen oft ihre fachlichen Kompetenzen unterschätzen. Obwohl mehr Frauen als Männer Wirtschafts- und Rechtswissenschaften studieren und obwohl aus Ausbildungsberufen mehr Kauffrauen als -männer hervorgehen, schätzt nur jede zweite Gründerin ihr Wissen über finanzielle Zusammenhänge als gut oder sehr gut ein. Dagegen sind drei Viertel aller Gründer vom eigenen Finanzwissen überzeugt. Laut KfW-Studie hält dieses fehlende Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten viele Gründerinnen davon ab, sich um Bankkredite zu bemühen. Andererseits nehmen Gespräche mit VC-Investoren häufig eine andere Richtung: Während Gründer eher nach Stärken und Wachstumspotenzialen gefragt werden, richten sich die Blicke bei rein weiblichen Teams eher auf Risiken und Schwächen ihrer Geschäftsmodelle.
Offensichtlich gelingt es Gründern in solchen Gesprächen besser, sich als kompetent, erfolgreich und dynamisch zu verkaufen. Ein Phänomen, dass europaweit zu beobachten ist. Ob Frankreich, UK, Spanien, Schweden oder Deutschland: Weibliche Teams haben laut dem jüngst erschienenem vierten „Barometer zur Geschlechterparität bei der Gründung und Finanzierung von Start-ups“ im Jahr 2022 noch einmal 20 Prozent weniger von der investierten VC-Summe abbekommen als 2021. Ihr Anteil sank von 2,4 auf 1,9 Prozent.
Hinter dem Barometer stehen der auf Start-ups von Frauen fokussierte und von Investorinnen initiierte Pariser Fonds SISTA und die Boston Consulting Group. Sie haben ermittelt, dass in den untersuchten Ländern nur hinter 10 Prozent der 1.788 untersuchten Start-ups Frauenteams standen. Gemischte Teams machen 12 Prozent aus. Weibliche Teams warben viermal weniger Kapital ein als männliche. Nach neun Jahren steigt die Differenz in der VC-Kapitalausstattung auf das Zehnfache. Extrem war die Schieflage bei jenen 217 Finanzierungsrunden mit über 50 Millionen Euro Umfang: denn davon entfielen 215 auf rein männliche Teams. Mehr Abstand zur beschworenen Parität geht kaum.
Es braucht gezielte Förderung – von klein auf
All das zeigt, dass jede Initiative zur Förderung, Vernetzung und Bestärkung von Gründerinnen in die richtige Richtung weist. Laut KfW-Research müssen diese Maßnahmen schon in der Schule beginnen. Kindliche Begeisterung für Technik, Naturwissenschaften und Mathematik zeigen alle Geschlechter. Es geht darum, sie bis ins Erwachsenenalter zu erhalten. Auch die spielerische Vermittlung von Finanzwissen und unternehmerischem Know-how oder frühe Begegnungen mit Gründerinnen und Unternehmerinnen an Schulen können junge Frauen dazu ermutigen, zu gegebener Zeit selbst zu gründen. Wichtig ist auch, die Wahrnehmung eigener Stärken zu trainieren, Strategien für den Umgang mit Diskriminierung zu entwickeln und Stereotype zu entlarven.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz möchte Frauen zur Existenzgründung aus der Wissenschaft ermutigen. Das niederschwellige Programm EXIST-Women fördert gründungsinteressierte Frauen, die erst dabei sind, eine Gründungsidee zu präzisieren. Diese muss nicht technisch sein. Dafür erhalten sie ein Jahr lang studien- oder berufsbegleitend einen nicht rückzahlbaren Zuschuss. Studentinnen bekommen monatlich 1.000 Euro, Frauen mit Berufsabschluss 2.000 Euro, Hochschulabsolventinnen 2.500 Euro und Promovierte 3.000 Euro monatlich. Antragsberechtigt sind Frauen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Kinderzuschläge, Sachmittelförderung sowie eine Pauschale von 10.000 Euro pro Jahr für die betreuende Hochschule oder Forschungseinrichtung gehören ebenso zum Programm, für das 2023 ein Budget von 6,5 Millionen Euro bereitsteht. Für die Bekanntmachung hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck das Wort ergriffen: „Frauen sind bei Start-up-Gründungen weiterhin unterrepräsentiert. Das wollen wir ändern!“.
Männer sollten ihre Rolle hinterfragen
EXIST-Women ist nicht der erste Baustein in der staatlichen Förderung eines Female Entrepreneurship. Möglicherweise ist der langsame, stetige Anstieg des Frauenanteils in Start-ups schon ein erster Erfolg der im letzten Jahrzehnt forcierten MINT-Initiativen, Girls‘ Days und naturwissenschaftlich-technischen Experimente in Kindergärten und Grundschulen.
Doch staatliche Programme allein genügen nicht. Um das Ziel der Parität zu erreichen, braucht es Stammtische und Events, auf denen Gründerinnen ihre Erfahrungen teilen, Netzwerk knüpfen und ins Gespräch über all die Faktoren kommen, die sie beim Aufbau ihrer Unternehmen fördern und hemmen. Und es braucht Männer, die Verantwortung im Alltag übernehmen. Gründer tun gut daran, ihre Rolle zu hinterfragen. Könnten sie 60 Wochenstunden in ihr Start-up investieren, wenn Care-Arbeit und Kinderbetreuung hinzukommen und sie oft mehr als die Hälfte davon übernehmen müssten? Wie würden es bei ihnen ankommen, wenn von 217 Finanzierungsrunden 215 an Frauen gehen? – Es gibt viel zu besprechen. Auch im CHIC. Hier machen Frauen zwar ein Drittel der Teams aus. Doch Gründer und Geschäftsführer sind klar in der Überzahl: Zwei weiblich und neun gemischt geführten Teams standen im Juli 2023 fast 50 Start-ups mit Männern an der Spitze gegenüber.
Von Peter Trechow für CHIC!