Gebäude als Energiezelle
Modular, klimapositiv, vernetzt, recyclebar: ein architektonischer und energetischer Gewerbehof-Prototyp
Moderne innerstädtische Gewerbehöfe sollen nicht nur Orte kreativer und produktiver Energie sein, sondern auch rein physikalisch Energie produzieren. Dabei geht es nicht um Autarkie, sondern um gute Vernetzung – innerhalb der Gebäude und mit der Umgebung. „Am Ende soll das Gebäude klimaneutral sein, wenn möglich sogar eine CO2-Senke und damit klimapositiv.“ Das zumindest ist die Vision von Steffen Klingler und seinem Architekturbüro KOP. Sein Motto: „Energie wird gestaltbildend – Architektur und Energie sind zwei Seiten derselben Medaille.“
Da wäre zunächst einmal die äußere Form. Die Gebäudeensembles sind modular aus Quadern aufgebaut. Dadurch kann dasselbe Energiekonzept in verschiedenen Größenordnungen realisiert werden. In der Höhe sind Bauten mit drei bis vier Geschossen vorgesehen. So kann die Dachfläche im Verhältnis ausreichen, um mittels dort installierter solarer Strom- und Wärmetechnik den Energiebedarf für die Gebäude zu decken. Überschüssigen Strom nutzen die Gewerbe für ihren Betrieb, gegebenenfalls ergänzt um Zukäufe von anderen Anbietern – als kostengünstiges Mieterstromkonzept.
Zur Form gehören nach KOP-Konzept auch die Baumaterialien: Decken und Wände aus R-Beton, Hallendächer und Fensterrahmen aus Holz, Fassaden aus Glas und Stahl.
Das klingt wenig spektakulär, ist aber der Schlüssel dafür, dass das Gebäude als Ganzes recyclebar und wiederverwendbar wird. „Das Gebäude als Stoffspeicher“, wie Klingler es ausdrückt. Denn all diesen Materialien ist gemein, dass sie entweder nachwachsende Rohstoffe oder Recycling-Ware sind beziehungsweise gut recycelt werden können: Stahl und Glas sind klassische Baustoffe, die mit großen Altanteilen hergestellt werden können. Aber auch Beton ist wiederverwertbar: In Deutschland ist im sogenannten R-Beton bislang ein Altanteil von 25 Prozent erlaubt. In der Schweiz sind es bereits 100 Prozent. Explizit nicht verbaut werden Kunststoffe, insbesondere keine Wärmedämmverbundplatten.
Damit das Energiekonzept funktioniert, sei es wichtig, alle Aspekte im System zu denken, betont Klingler. Den Baustoffen kommt dabei eine wichtige Rolle zu – denn sie können sowohl Wärme als auch Kälte im Gebäude speichern und verteilen. Die Quelle dieser thermischen Energie ist die lokale Umgebung. Zum einen wird sie über ein System aus Wärmepumpe und unterirdischen Wärmetauschern aus dem Erdreich abgezapft. Zum anderen liefern auch viele Gewerbe selbst Wärme: Egal ob Drehbank, Lötbad oder Wäscherei – vor allem bei energieintensiveren Maschinen oder Prozessen gibt es reichlich Abwärme, die sich im Gebäudeensemble verteilen und zum Heizen nutzen lässt. Gesteuert wird das ausgeklügelte Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten über eine Technikzentrale, die modular mitwachsen kann. Sie regelt die Aufnahme und Abgabe von Strom und Wärme im internen Verbund und auch zu externen Energiepartnern.
„Auf diese Weise schaffen wir eine Synergie aus Erzeugung, Nutzung und Speicherung von Energie – mitten in der Stadt und für die Stadt“, resümiert Klingler. Die konkreten Klimavorteile für die Erbauer wie die Nutzer/-innen kann das Architekturbüro über eine Ökobilanz ausweisen. Für einen Beispielfall gerechnet können bei gut 5.050 Quadratmetern nutzbarer Dachfläche über die Solaranlagen rund 450 Megawattstunden Strom pro Jahr erzeugt werden. Die dazugehörigen Gebäude mit einer Gesamtnutzfläche von 16.600 Quadratmetern verbrauchen im Jahr 40 Megawattstunden weniger. Insgesamt wird mit dem vollständig regenerativen und recyclebaren Grundkonzept sogar eine Senke für jährlich rund zwanzig Tonnen CO2 geschaffen.
Auch bei der Außengestaltung wird im System gedacht: Innenhöfe, Versickerungsflächen, Teiche und entsprechende Bepflanzung schaffen mitten in der Arbeitswelt Erholungsraum für Mensch sowie Flora und Fauna – mit positiver Wirkung nicht nur auf das Arbeitsklima.
Von Dr. Uta Deffke für Potenzial – Das WISTA-Magazin