CHIC-Teams für zukunftsfeste Energiesysteme
Im Charlottenburger Innovations-Centrum treiben diverse Teams innovative Geschäftsideen für die Energiewende voran – unter ihnen die CESS Clean Energy System Solutions GmbH, die REJOOL GmbH und die Maon GmbH
Die Energiewende ist das zentrale Transformationsprojekt unserer Zeit: Eine Operation am offenen Herzen des Industriestandorts Deutschland, von deren Gelingen weit über Nationalgrenzen hinaus viel abhängt. So vielfältig Energie genutzt wird, so vieler Ideen bedarf es für den Umbau der Energieversorgung weg von der Verbrennung fossiler Energieträger hin zu erneuerbaren Energien samt geeigneten Speicherlösungen. Start-ups sind bei diesem Umbau zugleich Ideengeber und Beschleuniger.
Wasserstoff (H2) ist die Energiequelle unseres Planeten. Seit 4,75 Milliarden Jahren dient er als Treibstoff einer anhaltenden Kernfusion auf der Sonne, bei der Kerne von Wasserstoffisotopen zu Helium verschmelzen und jene Energie abstrahlen, die jegliches Leben auf der Erde speist. Auch die Biomasse, die in der Erdkruste über viele Millionen Jahre zu Erdöl, Erdgas und Kohle wurde, ist seinerzeit nur dank des H2-basierten Sonnenfeuers gewachsen.
So wie Wasserstoff die Entstehung der fossilen Brennstoffe ermöglichte, soll er in naher Zukunft Energiesysteme unterstützen, die auf eben diese fossilen Energieträger verzichten. Denn ihre intensive Nutzung ist als ernste Gefahr für das Fortbestehen menschlichen Lebens erkannt und muss schnellstmöglich enden. Einer Energieversorgung allein auf Basis erneuerbarer Energien kann aber nur funktionieren, wenn sich diese in großen Mengen speichern lassen. Das Speichermedium der Wahl ist einmal mehr Wasserstoff.
Nationale Wasserstoffstrategie braucht praktikable Ansätze
In der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) hat die Bundesregierung 2020 den Kurs festgelegt und ihn in deren Fortschreibung Mitte 2023 klar bestätigt: „Wasserstoff wird als vielfältig einsetzbarer Energieträger eine Schlüsselrolle beim Erreichen unserer ambitionierten Energie- und Klimaziele einnehmen“. Dafür gelte es, entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung und Weiterverwendung geeignete Handlungsrahmen zu setzen. Vor allem aber sind frische Ideen und Ansätze gefragt, um die bis in jede Pore der Industrieländer vorgedrungenen fossilen Energiesysteme schnell und effizient abzulösen.
Dafür ist jener Pioniergeist gefragt, den das Gründerduo der REJOOL GmbH an den Tag legt. Stephan und Luca Hillebrand, Vater und Sohn, bringen ihre jeweilige Kompetenz an zwei Standorten in das Start-up ein, mit dem sie einen selbstentwickelten Wasserstoffkompressor für den Einsatz in Eigenheimen, in Quartieren sowie kleinen und mittleren Unternehmen vermarkten. Der Sohn hat 2022 ein Masterstudium zum Wirtschaftsingenieur mit Spezialisierung in „Renewable Energy Technologies“ an der Technischen Universität (TU) Berlin abgeschlossen. „Gegründet haben wir noch während meines Studiums“, sagt er. Ihr Produkt war reif für den Markt - und wenn sich neue Märkte formieren, ist Zeit ein wichtiger Faktor.
Wasserstoffwirtschaft in die Fläche bringen
Vater Stephan bringt Erfahrung aus verschiedenen Industriezweigen ein und hat sich bereits vor der Gründung mit Wasserstoffverdichtung für stationäre Anwendungen und den Mobilitätssektor beschäftigt. Mit Batterietechnologien und erneuerbaren Energien haben sich die beiden ebenfalls intensiv befasst. Ihr breites Know-how kommt ihnen nun zupass. Denn REJOOL – eine Fusion aus Renewable und Joule – tritt an, um die dezentrale Speicherung von Solar- und Windstrom auf breiter Front möglich zu machen. „Unser Kompressor ist für kleine dezentrale Wasserstofferzeugungsanlagen konzipiert“, erläutert er. Der Vorteil gegenüber Batterien: Wasserstoff kann Solar- und Windstrom in großen Mengen lange und saisonübergreifend speichern. Praktikabel ist das aber nur, wenn das flüchtige Gas auf 300 bar verdichtet und in entsprechende Behältnisse gefüllt wird. Dezentrale Kleinanlagen hätten den Vorteil geringeren Planungs- und Kapitalaufwandes. „Solche Projekte lassen sich schneller und günstiger umsetzen“, argumentiert der Gründer. Bei richtiger Auslegung sei autarke Energieversorgung möglich, die erneuerbaren Strom in Kombination mit Brennstoffzellen und Wärmepumpen höchst effizient nutze. Erste Kunden schlagen diesen Weg bereits ein. „Das sind bisher aber noch Ausnahmefälle“, sagt Hillebrand.
Doch das Ziel ist es, dass immer mehr KMU, Quartiere und Eigenheime ihren selbst erzeugten Strom in Wasserstoff speichern, um dunkle Jahreszeiten und längere Schlechtwetterperioden damit zu bestreiten. Noch allerdings ist dieser Markt überschaubar. Elektrolyseure, Brennstoffzellen und Kompressoren sind wenig verbreitet und das Angebot überschaubar. Davon lassen sich Vater und Sohn nicht schrecken. „Wir haben den Markt analysiert und erkannt, dass die angebotenen Kompressoren nicht für dezentrale H2-Anwendungen konzipiert und optimiert sind“, berichtet Luca Hillebrand.
Flüchtigen Wasserstoff gebändigt
Hier setzt ihre Entwicklung an. Besonders auf die Handhabung des äußerst flüchtigen Gases ist kompliziert. Vater und Sohn haben daher eine Leckage-tolerante Konstruktion erdacht, die austretenden Wasserstoff in da System zurückführt. Dessen Komponenten lassen sie extern fertigen. Montage und Qualitätskontrolle sind Sache des Vaters, der in einer Kleinstadt bei Kassel arbeitet. Der Sohn übernimmt vom Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC) aus den kaufmännischen Part sowie Vertrieb und Marketing. „Unser System ist reif. Wir haben viel gerechnet, simuliert, getestet und validiert. Nun sind wir so weit, es auf internationalen Messen vorstellen zu können“, sagt er. Der Vertrieb laufe über Systemintegratoren, die sich nach und nach in das bisher dünnbesiedelte Marktsegment vorwagen.
Luca Hillebrand ist einer der ersten Nutzer des Coworking-Space im CHIC. Das professionell designte, flexible Raumangebot passt für ihn. Denn aktuell ist er ohnehin viel auf Achse – und suchte dennoch nach der Pandemie nach einer praktikablen Alternative zum Homeoffice. „Ich arbeite gern dort“, sagt er.
Noch ein energetischer Familienbetrieb
Auch hinter der CESS Clean Energy System Solutions GmbH aus dem CHIC verbirgt sich ein lupenreines Familienunternehmen. Geschäftsführer Ali Ameli treibt deren Gründung mit seinem Bruder Hossein und seinem Vater Prof. Mohammad Taghi Ameli voran: Drei promovierte Elektrotechnikingenieure mit Wurzeln an der TU Berlin. „Wir entwickeln auf künstlicher Intelligenz basierte Lösungen für die Dekarbonisierung der Energiesysteme“, berichtet Ali Ameli. Dank ihres elektrotechnischen Know-hows und der jeweils engen Anbindung an die Forschung sei ihr junges Unternehmen in der Lage, diese Lösungen durch intensive Beratung zu flankieren und dabei spezifisch an die jeweiligen Kundenanforderungen anzupassen.
Basis ist ein selbstentwickeltes Optimierungsmodell für sogenannte Multi-Vektor-Energiesysteme. Wenn beispielsweise ein Betreiber zugleich Strom- und Gasnetze manage, sei das Modell in der Lage, beide Systeme verzahnt zu betrachten und das jeweilige Verbesserungspotenzial von Maßnahmen vergleichbar zu machen. „Geht es beispielsweise darum, Wasserstoff in die bestehenden Gasnetze einzuspeisen, hilft unser Modell, ideale Standorte und Betriebsstrategien für Elektrolyseure zu identifizieren“, erklärt er. Ihre Plattform werde also in der Lage sein, künftige Anforderungen an die Energiesysteme zu identifizieren und daraus die kosteneffizientesten Roadmaps zu gesetzten Dekarbonisierungs-Zielen abzuleiten.
Auch eine Software für das Monitoring, die Analyse und das Management von Stromnetzen gehört zum Lösungsangebot des Start-ups. Auch hierfür nutzt es KI- und Machine-Learning-Module, die kombiniert mit Visualisierungslösungen in Echtzeit Lastflüsse, Frequenz- und Spannungsverläufe oder auch etwaige Engpässe berechnen, diese veranschaulichen und damit das zügige Einleiten von Gegenmaßnahmen ermöglichen.
Erste Kunden sind gewonnen
Mit ihren smarten Tools haben die Amelis in Großbritannien erste namhafte Kunden gewonnen. „Wir verschaffen auch kleineren Netzbetreibenden und Stadtwerken Zugang zu State-of-the-Art-Technologien, mit denen sie ihren Netzbetrieb datenbasiert überwachen, analysieren und optimieren können“, erklärt er. Teils laufen im Realbetrieb alle vier Millisekunden Daten ein. Um diese Flut in sinnvolle Befunde und Handlungsoptionen zu wandeln – und dabei den Echtzeitanspruch zu erfüllen, bedarf es künstlicher Intelligenz. Ob es nun darum geht, die steigende Netzauslastung durch immer mehr ladende Elektroautos zu managen, volatile erneuerbare Energieflüsse zu managen und dafür gezielt Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen oder Gas- und Stromnetze dahin zu optimieren, dass sie Großverbrauchenden Versorgungssicherheit gewähren – die smarte CESS-Software hilft.
Im nächsten Schritt ist der Eintritt in den deutschen Markt geplant, um hiesigen Betreiber- und Versorgungsgesellschaften mit der Plattform effiziente Pfade auf dem vorgezeichneten Weg aus den fossilen Energien aufzuzeigen. Noch ist da allerdings eine Hürde: Es ist in Deutschland schwer, an die Daten zum Anlernen unserer KI zu kommen“, sagt er. Durch das Mitwirken in Netzwerk-Projekten hofft das Gründertrio, diese Hürde bald überspringen zu können. Auch personell will CESS in naher Zukunft wachsen. Um das zu finanzieren, sind Kontakte zu Business Angels und anderen Investierenden willkommen.
Pluspunkt TU-Nähe
„In den ersten vier Jahren seit der Grünung haben wir bei Bedarf unsere Kräfte gebündelt und konnten uns dabei immer auf unsere akademischen Netzwerke verlassen“, sagt Ameli. Mittlerweile sind erste studentische Hilfskräfte an Bord. Für sie sei die Lage des CHIC in unmittelbarer Nähe zur TU Berlin ein großer Pluspunkt. Denn die kurzen Wege erleichtern es ihnen, Job und Studium unter einen Hut zu bringen – und einen potenziellen Arbeitgeber kennenzulernen.
Mihail Ketov hat schon eingangs seines Studiums darüber nachgedacht, wie er sein künftiges Berufsleben gestalten möchte. Seine Suche führte ihn 2008 zu einer Online-Vorlesung über Energieökonomie, die ihm die Augen öffnete. „Diese großen Zusammenhänge des globalen Energiesystems, mit Importen von Gas, Öl und Kohle, von denen unser Lebensstandard und die industrielle Leistungsfähigkeit abhängen, und die Frage, wie erneuerbare Energien das alles ergänzen und substituieren können – darin lag für mich sofort eine große Faszination“, berichtet er. Zumal politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Aspekte so eng miteinander verwoben sind.
Er blieb dieser Thematik während seines Studiums und seiner Promotion in Aachen treu. Doch je näher er dem Abschluss kam, desto klarer wurde ihm, dass ihn all das gewonnene Wissen nicht in ein Anstellungsverhältnis in der Energiewirtschaft führen sollte. „Ich wollte einen anderen Weg gehen und meinen Teil dazu beitragen, die reichlich vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Märkte zu transferieren“, sagt er. Der beste Weg dies zu tun, war die Gründung seines eigenen Unternehmens - der Maon GmbH.
Digitale Plattform erlaubt Blick in die Zukunft von Energiesystemen
Da Unternehmen in der Energiewirtschaft und große Energieverbraucher in der Regel Investitionsentscheidungen mit langfristigen Auswirkungen treffen, brauchen sie eine möglichst fundierte Entscheidungsgrundlage. Doch dafür müssten sie wissen, wie sich Energiekosten, Versorgungswege, Energiemixe und Regulierungen sowie viele weitere Faktoren in der Zukunft entwickeln. Da Glaskugeln nur in Märchen vorkommen, machte sich Ketov an die Arbeit, eine digitale Plattform für solche Prognosen zu entwickeln. „Die Fragestellungen im Vorfeld von Investitionen sind hochkomplex, weil Lieferketten, Absatzmärkte, Betriebsbedingungen, politische und gesellschaftliche Randbedingungen oder ökonomische Standortfaktoren sich im permanenten Wandel befinden“, erklärt er. Mit seinem Doktorvater, Prof. Albert Moser und Softwareentwickler Fabian Breitkreutz ging er die komplexe Modellierung für das geplante Prognosetool 2019 und die Unternehmensgründung an.
Die Kundschaft ließ nicht lange auf sich warten. Kraftwerksbetreibende, Banken, Versicherungen, Energiehandelsgesellschaften und Industriebetriebe mit großen Energiebedarf sowie alle großen Übertragungsnetzgesellschaften und viele Behörden setzen die Lösung von Maon mittlerweile ein. „Wir sind tatsächlich sehr stolz auf unseren Kundenkreis“, sagt er. Mithilfe der Plattform und auf Basis von jeweils eigenen Daten entwickelt die Kundschaft Zukunftsszenarien, an denen sie Strategien und Investitionen ausrichten. In der Regel geht es um Größenordnungen ab dem zweistelligen Megawatt- bis in den Gigawatt-Bereich. „In letzter Zeit geht es immer öfter um strategische Standortentscheidungen für Batteriefabriken“, berichtet der Gründer. Denn der Energiezugang sei hier ein zentraler Faktor. Möglichst soll das Prognosetool die Kosten und Verfügbarkeit für den ganzen Lebenszyklus einer solchen Fabrik ermitteln oder zumindest Näherungswerte liefern. Auch um Emissionen, Verschiebungen im Energiemix, um etwaige technologische Fortschritte in der Energieerzeugung und bei Wirkungsgraden geht es. Ins Prognosetool fließen daher Teilmodelle und Befunde aus Studien und Analysen verschiedener Organisationen ein, um aus der Fülle an Parametern sinnhafte Prognosen und Antworten herzuleiten.
Wachstum – bewusst aus eigener Kraft
Seit 2019 ist Maon von anfangs vier auf zehn Beschäftigte gewachsen. Aus eigener Kraft und auf Basis der eigenen Umsätze. „Das beruht auf der klaren Entscheidung, unabhängig, agil und effizient bleiben zu wollen“, erklärt er. Die Unabhängigkeit ist wichtig, weil das Start-up teils direkte Wettbewerber zu seiner Kundschaft zählt, die auf Unabhängigkeit pochen. Das ist auch dadurch gewährleistet, dass die Gründer nicht selbst beraten, sondern ihr Tool häufig über Beratungsunternehmen den Weg zur Kundschaft findet. „Wir bleiben als Dienstleister im Hintergrund und fühlen uns in dieser Rolle durchaus wohl“, sagt er. Denn das Werkzeug müsse dauerhaft neutral bleiben, um im Markt langfristig auf Akzeptanz zu stoßen. Das muss die Perspektive sein, um in den nächsten beiden Jahrzehnten zum Gelingen der Energiewende beizutragen.
Kontakt:
CESS Clean Energy System Solutions GmbH
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
info(at)cess-group.com
https://www.cess-group.com/
Maon GmbH
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
info(at)maon.eu
https://www.maon.eu/
REJOOL GmbH
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
Produktion:
Am Epberg 2
37218 Witzenhausen
info(at)rejool.de
https://rejool.de/