CHIC-Teams für eine lebenswerte Zukunft
Vermi Biotechnology UG und Plattenbaum UG bringen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in die Stadt
Auch in der Stadt können Leute mit grünem Daumen zusammen gärtnern, eigene Lebensmittel anbauen und Klimaschutz betreiben, indem sie mit der Unterstützung nimmersatter Verbündeter im großen Stil Kohlenstoff einlagern. Um die notwendige Infrastruktur kümmern sich zwei Start-ups im Charlottenburger Innovations-Centrum CHIC. Dabei geht es sowohl der Vermi Biotechnology UG als auch der Plattenbaum UG vor allem um die Umsetzbarkeit und Alltagstauglichkeit ihrer Lösungen.
„Kommen Sie im CHIC vorbei. Dann zeige ich Ihnen live, wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Praxis umzusetzen sind. Meine Mitarbeiter sind da recht überzeugend“, hatte Conrad Schäfer geschrieben. Doch als sich die Tür zum Büro der Vermi Biotechnology UG öffnet, steht deren Gründer Conrad Schäfer allein im Raum. Darin ein Schreibtisch, rundum Regale und viele Kisten. Aber keine Spur von weiteren Beschäftigten.
Und es geht rätselhaft weiter. „Kommen Sie mal mit. Ich möchte Ihnen etwas zeigen“, sagt der Gründer. Sein Weg führt per Aufzug in die Tiefgarage. „Hier“, sagt er, „wollte ich meine erste Anlage bauen. Der Ort wäre ideal“. Fläche gibt es in dem weitläufigen, verwinkelten Untergeschoss zur Genüge. Doch wie der Gründer berichtet, haben Brandschutzauflagen seine Pläne durchkreuzt.
Hunderttausende nimmersatte Verbündete im Klimaschutz
Zurück im Büro löst Schäfer die Rätsel. Er teilt den Raum tatsächlich mit vielen tausend „kompetenten Mitarbeitern“. In den Kisten verarbeiten sie organische Abfälle zu Humus und leisten so einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Klimaschutz. Im Gespräch wird klar, wie tief der Gründer in die Biologie dieser nimmersatten Kreaturen eingestiegen ist – für die er seinem bisherigen Beruf als technischer Leiter einer Botschaft den Rücken gekehrt hat. Würmer statt Diplomaten. Konkrete, direkt umsetzbare und hochwirksame CO₂-Reduktion anstelle endloser Diskussionen. Der Mittfünfziger will handeln – und kann mit Zahlen belegen, was seine Wurmkulturen zu leisten imstande sind und dass sie sich für die Natur ebenso wie für etwaige Investoren rechnen.
In einer vier Meter langen Anlage in der Breite einer Normpalette produzieren rund 70.000 Würmer monatlich vier Kubikmeter Wurmhumus. Dieser besteht zu 58 Prozent aus Kohlenstoff und bindet pro Tonne dauerhaft zwei Tonnen CO₂. „Nachdem Bakterien und Pilze die Bioabfälle im thermophilen Prozess bei rund 60 Grad Celsius (°C) kompostieren, verarbeiten die Würmer sie bei etwa 15 bis 30 °C zu wertvollem Naturdünger, den sie mithilfe ihrer Kalkdrüsen mit Mineralstoffen anreichern“, erklärt Schäfer. Dieser sei quasi homogenisiert, enthalte also weder Keime noch Saaten, bestehe im Verhältnis von zehn zu eins aus Kohlenstoff und Stickstoff und sei ph-neutral. Die darin enthaltenen Ton-Humus-Komplexe sorgen dafür, dass Boden durch Dünger eingebrachte Nährstoffe dauerhaft binden kann – der Schlüssel zu hohen Agrarerträgen.
Kommunaler Klimaschutz mit Reingewinn
„Ein Wurmreaktor mit 100 Quadratmeter Fläche kann bis zu 1.000 Tonnen Biomasse im Jahr verarbeiten“, rechnet der Gründer vor. Der erzeugte Humus könne nicht nur ressourcenintensiven Mineraldünger ersetzen, sondern weil er den Kohlenstoff langfristig binde, entziehe der der Atmosphäre auch dauerhaft große CO₂-Mengen. Ihm schwebt eine „Humuspumpe“ vor, deren natürliches Endprodukt jahrzehntelang lagerbar ist, ohne an Qualität zu verlieren.
Seinen Berechnungen zufolge könnten die 11.000 Städte und Gemeinden in Deutschland mit je einer 100-Quadratmeter-Anlage jährlich 20 Millionen Tonnen CO₂ in Form von Humus einlagern. Kosten pro Anlage inklusive Personal, Energie, Logistik und Rohstoffen: knapp 150.000 € jährlich. Diesen stehe ein Ertrag von knapp 200.000 € gegenüber, der sich aus dem Wert des Humus und aus CO₂-Gutschriften im Emissionshandel zusammensetze. Der Gewinn je Anlage von knapp 50.000 € werde mit künftig steigenden CO₂-Preisen zunehmen. Schäfer schwebt eine „Humusbank“ vor, die den erzeugten Wurmhumus aufkauft, als langfristige krisenfeste Wertanlage einlagert und darüber wacht, dass er erst nach einer vereinbarten Frist wieder agrarisch genutzt und in den natürlichen Kohlenstoffkreislauf eingespeist wird. Großanlagen in Belgien, den USA und in Neuseeland dienen seinen Plänen als Vorbild. Teils verarbeiten sie Mist aus der Nutztierhaltung, der in Form von Gülle massive Umweltprobleme auslöst. Der dezentrale Zweischritt aus Kompostierung und Wurmreaktor bietet auch dafür einen praktikablen Lösungsansatz. „Es braucht wirklich nicht viel, um die Wurmpumpe zu realisieren. Selbst eine Tiefgarage würde genügen“, sagt er. Der natürliche dezentrale Ansatz sei mit Sicherheit günstiger und schneller zu realisieren als jedes großtechnische Verfahren zum Verpressen von CO₂ in unterirdischen Speichern.
Gemeinschaftsstiftendes Gärtnern
Diese Umsetzbarkeit ist auch dem Gründungsduo der Plattenbaum UG wichtig. Vom CHIC aus treiben Maayan Strauss und Kerem Halbrecht ihre Ideen von urbanen Gemeinschaftsgärten oder überbauten Supermarktparkplätzen für den Lebensmittelanbau voran. In ihren Projekten treffen Architektur, Stadt- und Regionalplanung, Soziologie und Kunst auf die Suche nach nachhaltigen Lösungen und eine Neubelebung vernachlässigter urbaner Räume. Beratend und handelnd stehen sie Kommunen und Unternehmen zu Seite, setzen mit ihnen Pilotprojekte um. Oft geht es um Klimaanpassung, effizientere Nutzung von Wasser – und immer um Gemeinschaft.
Ein Grundgedanke von Plattenbaum ist es, dass urbane Landwirtschaft nicht nur machbar ist, sondern auch Gemeinsinn stiftet. Was 2021 in Berlin mit der Idee von Vertikalen Farmen für Plattenbausiedlungen begann, findet heute unter anderem Fortsetzung in Konzepten für die Internationale Bauausstellung (IBA) 2027 im Raum Stuttgart. In drei Pilotprojekten haben sie dort eng mit der Politik, der Bevölkerung und mit Vertretern der lokalen Wirtschaft kooperiert – darunter ein Betreiber einer Autowaschanlage, deren Abwässer sie natürlich aufbereiten, aber auch Landwirte und eine Einzelhandelskette. Sie hat einen Parkplatz zur Überbauung mit einem Garten bereitgestellt, der Regenwasser auffängt und per Photovoltaik Strom erzeugt. Dem Team schwebt vor, dass Handelsketten künftig solche Gärten vermieten. Das würde die bisher tristen Parkflächen außerhalb der Geschäftszeiten beleben und räumlich aufwerten.
Grenzgänger zwischen Kunst, Design und Architektur
Es geht bei all dem im Kern um kollaborative Prozesse. Nachhaltigkeit ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die mit kontroversen Diskussionen einhergeht und nur durch Kompromisse zwischen den multiplen Nutzungskonflikten erreichbar ist. Durch ihre tatsächliche Umsetzung können die hart erarbeiteten Kompromisse Kräfte freisetzen, die den sozialen Zusammenhalt dauerhaft stärken. Indem es verödete oder vernachlässigte Stadträume mit neuem Sinn auflädt, sie zum Saatbeet für ökologische Nachhaltigkeit umfunktioniert, sät das Duo zugleich Lebensqualität für dort lebende Gemeinschaften.
Strauss und Halbrecht sind vor Jahren aus Israel nach Berlin gekommen. Sie hatten dort punktuell zusammengearbeitet, sich aber zwischenzeitlich aus den Augen verloren. Als interdisziplinäre Grenzgänger treffen sie sich in ihrer Suche nach Konzepten, die Räume beleben und dabei Zusammenhalt stiften. Doch es geht ihnen nicht nur um Projekte und Installationen. Vielmehr soll auch die Saat ihres Start-ups in einem tragfähigen Geschäftsmodell aufgehen.
Neue Märkte und Kunden
„Wir sind über die Phase der Gründungsförderung hinaus und möchten unser Unternehmen auf eigene Beine stellen“, erklärt Strauss. Dafür haben sie für die luxemburgische Gemeinde Remich den Prototypen einer „Mini-Biosphäre“ entwickelt. Als Gewächshaus, das sich per Anhänger an jeden Ort einer Stadt transportieren lässt, ermöglicht die Biosphäre ganzjährigen urbanen Gemüse- und Kräuteranbau. Auf exakt der Fläche eines PKW-Parkplatzes verbinden die mobilen Stadtoasen Low- und Hightech: Bewässert wird mit aufgefangenem Regenwasser. Kompost sorgt für Wärme, integrierte Photovoltaik-Module speisen die Wasserfiltrierung und Bewässerungspumpen und bei Bedarf UV-Beleuchtung für die dunkle Jahreszeit. Es sind mietbare Kleingärten mitten im urbanen Raum, die den Charakter von Straßen und Nachbarschaften ändern können – und sollen.
„Wir sind auf der Suche nach Kundschaft und weiteren Pilotanwendungen der Mini-Biosphäre, um sie in höherer Stückzahl bauen und so die Kosten senken zu können“, erklärt Strauss. Die Kleinserienfertigung soll effizientere Prozesse und günstigeren Materialeinkauf ermöglichen. Das Duo hofft auf Feedback von möglichst vielen urbanen Gärtnerinnen und Gärtnern, um das Konzept mobiler Kleingärten weiter zu verbessern. Denn damit die urbanen Agraroasen tatsächlich Gemeinsinn stiften, müssen sie vor allem Zweierlei bewirken: Spaß und reiche Ernte.
Kontakt:
PlattenBaum UG
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
info(at)plattenbaum.de
https://www.plattenbaum.de
Vermi Biotechnology UG
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
cs(at)vermi-biotech.de
https://www.vermi-biotech.de