Wenn nicht wir, wer dann?
Wie Adlershofer Unternehmen und Institute mit globalen Herausforderungen umgehen
Klimawandel, Kunststoffe in der Umwelt, Wasserknappheit – die Welt steckt in einer menschengemachten Klemme, wenn wir nicht gegensteuern. Adlershofer Unternehmen und Institute tun das und reagieren auf globale Herausforderungen. Beispiele aus der Material- und Kreislaufwirtschaft.
Blauer Planet? Ja! Dumm nur, dass nur drei Prozent des gesamten Wassers der Erde Süßwasser sind. Und dem setzt der Mensch mit Verschmutzung und Klimawandel mächtig zu. Wassermangel wird eine der großen Herausforderungen unserer Zeit sein. Nina Heine und Fabian Habicht nehmen sie an. Die beiden Gründer:innen des Start-ups Shit2Power begreifen Abwasser als Ressource, durch die Süßwasserverluste vermindert und aus Klärschlamm erneuerbare Energie erzeugt werden kann. Daher der eingängige Firmenname.
Darum geht es: „Wir gewinnen aus Schlamm klimaneutral Energie. So werden Kläranlagen zu Kraftwerken und halten Süßwasser im Kreislauf“, erklären Heine und Habicht. „Im Klärschlamm steckt bis zu dreimal mehr Energie als für die Klärung des Abwassers benötigt wird“, erklärt Heine. „Für kleine Kläranlagen ist jedoch keine ausgereifte Technologie zur Nutzung dieses Potenzials vorhanden“, ergänzt Habicht. In Deutschland betreffe das rund ein Viertel aller Anlagen, was 2.400 Klärwerken entspricht. Die könnten mit der Plug-&-Play-Containeranlage der Adlershofer bestückt werden.
Und zwar so: Clou des pferdeanhängergroßen Containers ist ein Verfahren zur Klärschlammtrocknung, das ohne Zufuhr externer Energie auskommt. Der Zivilisationsmüll wird vergast, wobei unter Sauerstoffzufuhr ein wasserstoffhaltiges Synthesegas entsteht, das entweder zur Stromerzeugung genutzt wird oder um daraus grünen Wasserstoff zu gewinnen. Übrig bleibt Asche, die sich zur Rückgewinnung des im Klärschlamm enthaltenen Phosphors eignet. Der gesamte Prozess ist CO2-neutral. Wobei das für das Gründungsteam nicht das Entscheidende ist: „Oft reduzieren sich die Diskussionen um den Klimawandel auf den CO2-Fußabdruck. Das ist wichtig, aber eben nicht alles, um den Grand Challenges zu begegnen. Wir müssen umfassender denken und handeln.“
Nichtsdestotrotz: Den großen Herausforderungen unserer Zeit im Kleinen zu begegnen, kann zu gewaltigen Fortschritten führen. Das zeigt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) mit quantitativen, hochgenauen und verlässlichen Messungen bis hin zur Nano-Ebene. „Wir betreiben Messtechnik für Materialien von morgen“, bringt es PTB-Forscher Frank Scholze auf den Punkt. Sein Kollege Michael Krumrey präzisiert: „Die PTB ist unter anderem im Bereich Energiematerialien forschend tätig, sowohl bei Solarzellen als auch Batterien.“ Im Grunde gehe es darum, bei Sonnenkollektoren sowie Akkus eine möglichst hohe Effizienz und speziell bei Batterien eine möglichst geringe Alterung zu realisieren. Wesentlich hierfür seien Messungen „in operando“, also im Betrieb unter realen Bedingungen. „Wir analysieren sozusagen Zellen in lebendem Zustand“, sagt Krumrey.
So lässt sich etwa bei Batterien zerstörungsfrei auf atomarer Ebene untersuchen, was chemisch bei Lade- und Entladezyklen geschieht, wodurch sich deren Design stetig verbessern lässt. Dabei greifen die Forschenden auf die Adlershofer Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II zurück. „Mit der weichen Röntgenstrahlung haben wir weltweit einmalige Messmethoden entwickelt. Das ist unsere Kernkompetenz“, erklärt Krumrey.
Wenn also der Wirkungsgrad von Solarzellen zunimmt und Autobatterien reichweitenstärker werden und länger halten, dann hat die PTB in vielen Fällen einen Anteil daran. „Um Batterien zu optimieren oder neue Typen zu entwickeln, wird das nur möglich sein, wenn man das komplexe System versteht“, unterstreicht Krumrey. „Aber auch die von uns bereitgestellte Messtechnik für optische Systeme in der High-End-Halbleiterproduktion ist ein Baustein, um etwa energiesparende Hochleistungsprozessoren in Smartphones und Computern zu ermöglichen“, ergänzt Scholze.
Für die beiden ist die Energiefrage vor dem Hintergrund des Klimawandels die Grand Challenge schlechthin. Auf ihren Anteil daran, diese zu bewältigen, blicken die beiden Forscher bescheiden: „Wissenschaftler:innen sind nicht der Treiber, um diese Herausforderungen zu meistern, sie sind eher Ideengeber und Realisatoren“, sagen sie. Den Schlüssel sehen sie in politischer und gesellschaftlicher Entschlossenheit, große Herausforderungen anzugehen – auch, wenn es schmerzt. Scholze: „Der Klimawandel ist menschengemacht, also können und müssen Menschen hier aktiv werden.“
Ähnlich sieht das auch Siegmund Greulich-Weber: „Es gibt bereits viele wissenschaftliche Lösungen für Teilaspekte globaler Herausforderungen“, sagt er. „Selbst wenn der politische Wille und die Einsicht vieler Menschen für Veränderungen da sind, muss global agiert werden.“ Der Geschäftsführer der The Yellow SiC Development GmbH betont zudem: „Und immer noch müssen die Lösungen wirtschaftlich überzeugen.“ Was seiner jungen Firma gelingen könnte. Denn die Yellow SiC hat ein neues Produktionsverfahren für 3C-Siliziumkarbid (3C-SiC) entwickelt. Greulich-Weber: „Dieses Material konnte bisher nicht in größeren Mengen hergestellt werden und erlaubt verschiedene neue Anwendungen.“
Vor allem lässt sich damit Wasserstoff in einem kostengünstigen einstufigen Prozess erzeugen – nur aus Sonnenlicht und Wasser. Auf diese Weise könnten Solarzellen auf dem Dach zur Fabrik für grünen Wasserstoff werden.
„Wasserstoff ist ein Schlüsselrohstoff für eine erfolgreiche Energiewende“, unterstreicht der Gründer. Den Rohstoff dafür möchte die Adlershofer Firma wirtschaftlich und umweltfreundlich verfügbar machen.
Siliziumkarbid ist ein extrem hartes Halbleitermaterial, was sich insbesondere als 3C-SiC ideal zur Wasserspaltung eignet. „Der Nachweis, dass Wasserstoff auf diese Weise ohne weitere Hilfsmittel, wie etwa eine zusätzlich angelegte elektrische Spannung, erzeugt werden kann, wurde von uns bereits erbracht“, berichtet Greulich-Weber. Als Nächstes wird das Start-up die Leistung der photoelektrokatalytischen Elektroden optimieren sowie eine im industriellen Maßstab herstellbare Zelle konstruieren und erproben. Der Clou: „Die wasserstofferzeugende Zelle enthält keine elektrischen Kabel und besteht nur aus einer 3C-SiC Platte, die von einer Seite mit Sonnenlicht beleuchtet wird“, erklärt der YellowSiC-Chef.
Kürzlich durchgeführte Experimente am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie haben zudem gezeigt, dass mit dem Material auch sehr effizient CO2 gespalten werden kann. So ließen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und fossile Energieträger und Treibhausgase gleichermaßen eingespart werden.
Damit sind die beiden herausragenden Grand Challenges für Greulich-Weber adressiert. „Aber für mindestens ebenso schwerwiegend und bisher völlig vernachlässigt halte ich die globale Versorgung mit sauberem Wasser.“ Seine Vision ist, dass er mit seiner Firma Anlagen realisiert, mit denen direkt Wasser aufgereinigt oder entsalzt werden kann.
Chris Löwer für Adlershof Journal