Ein „Lineal“ für Nanoobjekte
Neuer Röntgendetektor zur Früherkennung von Krankheiten
Adlershofer Forscher entwickeln ein Röntgenverfahren, mit dem winzige Objekte vermessen werden können. Das könnte unter anderem bei der Erkennung von Krankheiten helfen.
In der medizinischen Diagnostik wurden in den vergangenen Jahrzehnten mithilfe der Naturwissenschaften große Fortschritte erzielt. Nun könnte sich ein weiterer Sprung nach vorn anbahnen. Mikrovesikel, extrem kleine Zellbestandteile, die in allen Körperflüssigkeiten zu finden sind, rücken in den Fokus der Mediziner. Denn die Nanobausteine gesunder Menschen unterscheiden sich von denen Kranker und könnten etwa Hinweise auf Krebserkrankungen liefern. Das Problem: Die relevanten Mikrovesikel sind oft kleiner als 100 Nanometer (ein Zehntausendstel Millimeter) und bisher nur mit großem Aufwand zu bestimmen.
„Mit unserem neuen Röntgendetektor könnte es gelingen, diese Biomarker effektiv zu charakterisieren“, sagt Michael Krumrey, Leiter der Arbeitsgruppe Röntgenradiometrie an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Berlin-Adlershof. „Es sind aber noch viele weitere Anwendungen denkbar“, fügt er hinzu. „Prinzipiell können alle möglichen Nanoobjekte zwischen 10 und 200 Nanometern in ihrer Größe bestimmt und teilweise auch ihre chemische Zusammensetzung erfasst werden.“
Den neuen Detektor haben die PTB-Forscher gemeinsam mit der Schweizer Firma Dectris entwickelt. Sie nutzen dafür die Röntgenstrahlung, die am Elektronenspeicherring „Bessy II“ entsteht. „Trifft diese auf ein Nanoobjekt, wird sie um wenige Grad abgelenkt, wir sagen ,gestreut'“, erläutert Krumrey. „Die Methode heißt folglich Röntgenkleinwinkelstreuung.“ Die Erklärung ist fast einfacher als der Name: Das Streuverhalten der Strahlung ist in erster Linie von der Größe der Partikel abhängig. Umgekehrt können die Wissenschaftler also anhand des Streubildes auf die Größe der Teilchen schließen.
Neue Untersuchungen, um Größe und Zusammensetzung der Mikrovesikel zu ermitteln
Das Besondere an dem Detektor ist, dass er „durchgeschnitten“ wurde. Der vordere Teil, der der Probe zugewandt ist, befindet sich in einer Vakuumkammer, der hintere mit den Kabeln und der Steuerelektronik in einem gewöhnlichen Laborraum. „Da wir im Vakuum arbeiten, gibt es keine störenden Luftmoleküle, die ebenfalls Streuungen hervorrufen“, sagt der PTB-Forscher.
„Im Energiebereich unterhalb von fünf Kiloelektronenvolt wird die Röntgenstrahlung sogar von der Luft absorbiert, was eine Messung unmöglich macht.“ Aber genau auf diese Energiebereiche haben es die Wissenschaftler abgesehen. Denn die Röntgenstrahlung regt die Probe auch an. Je nachdem, welche chemischen Elemente enthalten sind, steigt bei bestimmten Energien die Absorption sprunghaft an.
Um Kalzium, Schwefel, Phosphor oder Silizium auf die Spur zu kommen, müssen die Forscher in dem Bereich zwischen 1,8 und 5 Kiloelektronenvolt fahnden. „Diese Elemente sind vor allem für biologische Proben wichtig“, erklärt Krumrey. „Das Verfahren könnte neben der Größe der Mikrovesikel auch ihre Zusammensetzung ermitteln“, hofft er. Dazu läuft derzeit ein europäisches Forschungsprojekt unter der Leitung von niederländischen Wissenschaftlern.
Die PTB-Forscher denken auch in viele andere Richtungen. Nanopartikel sind heute in vielen Produkten zu finden, vom Poliermittel über Ketchup, wo sie die Fließfähigkeit erhöhen, bis hin zu Textilien, wo Nanosilber Bakterien töten und so üblen Geruch verhindern soll. „Es wird aber diskutiert, ob diese Partikel schädlich sein könnten“, sagt Krumrey. „Das hängt wesentlich von ihrer Größe ab – und diese kann unsere Methode bestimmen.“
Von Ralf Nestler für Adlershof Journal