Wir stellen die Bedürfnisse der Menschen in unterschiedlichen Arbeitsphasen in den Mittelpunkt
WISTA-Geschäftsführer Roland Sillmann über das Konzept und den Impact der neuen ST3AM-Arbeitswelten
Die Digitalisierung verändert das Arbeiten. Die Pandemie hat den Trend zum Homeoffice verstärkt und Webmeetings sowie digitale Plattformen im Arbeitsalltag etabliert. Nun reduzieren viele Unternehmen ihre Büroflächen: Das ifo-Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München prognostiziert einen Nachfragerückgang um zwölf Prozent. Im Interview erläutert WISTA-Geschäftsführer Roland Sillmann, was der Trend für die WISTA als Standortbetreiberin bedeutet – und warum sie verstärkt in innovative, attraktive und flexibel nutzbare Arbeitswelten investiert.
Herr Sillmann, können Sie das Konzept ST3AM in fünf Worte fassen?
Kooperation. Inspiration. Konzentration. Behaglichkeit und Impact.
ST3AM hat fünf Buchstaben. Wofür stehen die? – Diesmal haben Sie mehr als fünf Wörter…
Es geht nicht um Dampf, wobei das auch passen könnte. ST3AM leitet sich vielmehr aus dem Kürzel STEM her, das die Briten analog zu unserem MINT nutzen: Science, Technology, Engineering und Mathematics. Die Amerikaner fügen oft das A für Arts im wirtschaftswissenschaftlichen Sinn hinzu, das sich auch im Abschluss Master of Arts findet. Technologie und Interdisziplinarität stehen auch bei uns im Fokus, aber es gibt auch das zur 3 umgedrehte E, das neben dem rein optischen auch einen inhaltlichen Akzent setzt: Das Konzept T³ von Richard Florida besagt, dass wirtschaftlicher Aufschwung aufs Engste mit drei Ts verbunden ist: Technologie, Talente und Toleranz. Hierfür stehen unsere Standorte – und dafür steht ST3AM, in dem sich im Übrigen auch das Wort „Team“ findet. Um Teams und optimale Bedingungen für deren kreative, produktive und erfolgreiche Zusammenarbeit geht es. Das funktioniert nur, wo sich Leute wohlfühlen. Und es funktioniert umso besser, wo sie Diversität als Bereicherung betrachten und sich auf die Vielfalt der Perspektiven einlassen.
Handelt es sich um einen klassischen Coworking-Space – oder geht die Idee von ST3AM darüber hinaus?
Wir vermeiden das Wort Coworking-Space, da das viele mit großen Flächen, grellen Farben und viel Unruhe verbinden. Genau das ist unsere Arbeitswelt ST3AM nicht. Vielmehr stellen wir die Menschen mit ihren Bedürfnissen in den unterschiedlichen Arbeitsphasen in den Mittelpunkt. Dafür haben wir jeweils separate Zonen eingerichtet. Es gibt Arbeitsplätze für die ruhige, konzentrierte Einzelarbeit. Räume für kommunikative Teamprozesse und Begegnungszonen sowie Orte zum Rückzug, zur Stimulation sowie auch einen Maker-Space, in dem es unter anderem eine Auswahl an modernen 3D-Druckern gibt. ST3AM versteht sich als ein Arbeitsort, an dem Teams besser arbeiten können als im herkömmlichen Büro und an dem sich die Leute mindestens gleich wohlfühlen wie zuhause. Denn sie müssen bereit sein, den Weg auf sich zu nehmen und das Homeoffice mit allen seinen organisatorischen Vorzügen zu verlassen.
Die Räume wirken sehr edel. Warum ist Ihnen das Design so wichtig?
Es geht um Aufenthaltsqualität! Einerseits als Anstoß für den initialen Schritt, sich überhaupt auf den Weg zu machen und sich hier einzumieten. Aber auch, um eine gesunde Arbeitsumgebung zu schaffen. Unser Raumdesign arbeitet mit Erdtönen, gedecktem Grün oder Akzenten in Gold, mit intelligent verteiltem Licht aus eleganten Lampen und Möbeln, die sich organisch in unsere Räume fügen, dabei aber alle Ansprüche an die Funktionalität und Ergonomie erfüllen. Die Räume strahlen Ruhe und Behaglichkeit aus und wirken zugleich wirklich sehr inspirierend. Der Gesundheitsaspekt ist angesichts der hohen mentalen Belastung im modernen Arbeitsleben elementar. Es geht uns um Prävention, damit die Leute gar nicht erst erkranken – und damit sie nach einem Burnout in einer möglichst stressfreien Atmosphäre zurück in den Arbeitsalltag finden. Ein Team der Humboldt-Universität (HU) Berlin erforscht die Wirkung unseres Interior-Design-Konzeptes und wird in den nächsten vier Jahren Interviews mit den Mietern dort führen, deren Nutzungsverhalten in den Räumen beobachten und selbst immer wieder in ST3AM arbeiten. Die wissenschaftliche Evaluation wird uns helfen, diese innovativen Arbeitswelten weiter zu optimieren und sie in Zukunft noch genauer an den Bedürfnissen der Mieter auszurichten.
Schafft die WISTA diese modern und edel designten Arbeitswelten auch an anderen Standorten?
Ja, wir richten momentan ähnliche Arbeitswelten im Ludwig-Erhard-Haus der IHK Berlin und im Innovations- und Gründungszentrum FUBIC an der Freien Universität (FU) Berlin ein. Am Charlottenburger Innovations-Centrum CHIC sind die Räume schon in Betrieb und wir planen weitere, unter anderem am Food-Campus in Tempelhof-Schöneberg oder in Oberschöneweide. Zudem planen wir mit Partnern vergleichbare Arbeitswelten entlang des Innovations-Korridors in die Lausitz einzurichten. Das würde es Beschäftigten erleichtern, ländlich zu leben und dennoch in urbanen Zusammenhängen unter gesunden, inspirierenden Bedingungen zu arbeiten, ohne dafür nach Berlin, Cottbus oder Senftenberg pendeln zu müssen. Für die Mieter der Arbeitswelten planen wir eine Mitgliedschaft: sie sollen frei wählen können, wann sie wo arbeiten. So haben sie volle Flexibilität und können beispielsweise in Phasen, in denen sie Prototypen bauen, den Maker-Space im ST3AM nutzen. Wenn sie gerade mit der IHK zu tun haben, können sie im Ludwig-Erhard-Haus arbeiten, oder sich Richtung Dahlem orientieren, wenn sie dort Kontakte pflegen oder aufbauen möchten. Arbeit, Mobilität und die Koordination von Treffen lassen sich leichter miteinander verbinden.
Handeln Sie proaktiv oder als Reaktion auf eine veränderte Nachfrage?
Es ist eine Mischung aus beidem. Wir haben früh erkannt, dass Firmen ihre Flächen reduzieren. Das bestätigen mittlerweile ja auch diverse Studien. Die Gebäude der WISTA betrifft das nur bedingt, weil viele unserer Mieter Büro- und Laborflächen von uns nutzen und wir uns in einem sehr preisgünstigen – da öffentlich geförderten – Segment bewegen. Aber für Unternehmen ist die Miete ein Kostenfaktor. Wenn bei jungen IT-Firmen fast alle Beschäftigten im Homeoffice arbeiten, liegt eine Flächenreduzierung nahe. Aber die Grundidee von Technologie- und Wissenschaftsparks baut auf Nähe, Begegnung, auf der Vernetzung und Interdisziplinarität am Standort auf. Wir möchten die Firmen mit IT- und Dienstleistungsschwerpunkt hierbehalten. Weil wir den Trend zum Homeoffice früh erkannt haben, konnten wir frühzeitig Konzepte entwickeln, um ihnen unsere Standorte mit flexibleren Flächen schmackhaft zu machen. Für sie ist es auch ein Vorteil, wenn sie für Kundenbesuche repräsentative Räume nutzen oder sich für Teammeetings und kreative Prozesse vor Ort treffen können. Dass wir die Gesundheitsthemen mitbedacht haben und im ST3AM auch die WISTA-Academy untergebracht haben, um das für Firmen immer wichtigere Thema Weiterbildung zu adressieren, sind weitere Vorteile. Daran zeigt sich, dass wir das Konzept proaktiv entwickelt und sehr sorgfältig durchdacht haben. Die neuen Arbeitswelten führen all das zusammen, was wir in den letzten Jahren gelernt haben; speziell auch seit der Pandemie. Denn im Homeoffice geht es nicht allen Beschäftigten gut. Und für junge Firmen drohen Probleme wie die Decision-Fatigue, wenn ihre Teams so weit verstreut sind. Entscheidungen, die dank der ständigen Begegnungen im Büroalltag schnell getroffen sind, brauchen nun organisatorischen Vorlauf – der in der Regel an der Geschäftsführung hängenbleibt und deren Kräfte bindet.
Kannibalisieren Sie sich nicht selbst, wenn sie flexibel nutzbare Räume anbieten?
Ja. Aber das ist vollkommen OK. Denn die Alternative ist, dass die Firmen den Standort ganz verlassen. Wenn wir sehen, dass Angebote für ST3AM für viele Firmen attraktiv sind, werden wir auch in Adlershof weitere Flächen in diesem Stil umbauen. Denn wir müssen anbieten, was Firmen unter den veränderten Vorzeichen wirklich benötigen und unser Angebot an die Nachfrage anpassen. Wenn dein bisheriges Produkt manchen oder allen deiner Kunden nicht mehr schmeckt, dann kannibalisiere es selbst – sonst macht es ein anderer. Steve Jobs hat es mit dem iPod vorgemacht.
Ist das Konzept auf ländliche Räume übertragbar oder ist der Run auf Flächen in Metropolregionen erforderlich, um damit erfolgreich zu sein?
Wenn es darum geht, Metropolen enger mit ihrem Umland zu verbinden, dann passt dieses Konzept sehr gut. Aber auch in anderen ländlichen Räumen kann es aufgehen, weil es vielerorts an Treffpunkten fehlt, an denen Gleichgesinnte zusammenkommen, wo sich Freelancer vernetzen und Beschäftigte etablierter Unternehmen einen inspirierenden Rahmen für das mobile Arbeiten finden. Es geht in ländlichen Räumen nicht nur um den wirtschaftlichen, sondern auch um den gesellschaftlichen Nutzen. Zusammenhalt und Toleranz entstehen, wo sich Leute treffen, ins Gespräch miteinander kommen und sich im besten Fall für gemeinsame Projekte zusammenschließen. Wenn alle immer nur zuhause arbeiten und online kommunizieren, bleiben ökonomisch so wichtige Faktoren wie Vielfalt und Toleranz auf der Strecke. Es braucht Räume für Begegnung und Teilhabe.
Zur Person: Seit 2015 ist Roland Sillmann als Geschäftsführer der WISTA Management GmbH für die Entwicklung von Deutschlands größtem Wissenschafts- und Technologiepark in Berlin Adlershof, aber auch für die weiteren WISTA-Standorte in Berlin und mittlerweile auch im Innovationskorridor zwischen Berlin und der Lausitz verantwortlich. Sillmann hat in den USA, Deutschland und Japan studiert, war in der Solarenergieforschung tätig und hat sowohl als Gründer als auch im Management etablierter Unternehmen Industrieerfahrung gesammelt. Vor seinem Wechsel zur WISTA war er Geschäftsführer der Innovationszentrum Berlin Management (IZBM) GmbH.