Die Frostexpertin
Julia Boike, Professorin am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, erforscht den arktischen Untergrund
Die Gegend fast menschenleer. Das Kleinflugzeug mit Ausrüstung, Lebensmitteln, Kleidung für dreieinhalb Monate muss auf Matsch und Schotter landen. Eine einzige Hütte; ist sie überfüllt, geht man in Zelte. Täglich morgens und abends Funkkontakt mit der Basisstation in Resolute Bay, ansonsten Stille. Die Erinnerung an ihren ersten Forschungsaufenthalt in der kanadischen Arktis lässt Julia Boike noch heute ins Schwärmen geraten: „Ich wollte immer schon in kalten Regionen arbeiten.“
Als Studentin der Hydrologie in Freiburg erkundete sie die Gletscher der nahe gelegenen Schweizer Alpen. Zum Schlüsselerlebnis wurde zu Beginn der Neunziger ein dreijähriger Aufenthalt an der Wilfrid Laurier University in Waterloo in der kanadischen Provinz Ontario. Mit einer Handvoll Kollegen verbrachte sie Sommer für Sommer einige Monate nördlich des Polarkreises auf der Axel-Heiberg-Insel, wo sie den Wasserhaushalt untersuchte. Was geschieht unter wechselnden Klimabedingungen mit sogenannten Permafrostböden? Das ist die Frage, die sie seither beschäftigt.
Permafrost findet sich laut Definition in Gegenden, wo die Temperaturen im Untergrund für mindestens zwei Jahre geringer sind als null Grad Celsius. In Nordsibirien kann er anderthalb Kilometer in die Tiefe reichen. Mit solchen Kältezonen hat Boike mittlerweile reichlich Erfahrung. Als Doktorandin am Potsdamer Alfred-Wegener-Institut erforschte sie auf der nordsibirischen Halbinsel Taymyr die „thermischen und hydrologischen Eigenschaften der oberflächennahen Auftauschicht“.
Drei Jahre lebte sie in Fairbanks in Alaska, wo der ältere ihrer beiden Söhne geboren wurde. Seit 1997 arbeitet sie regelmäßig auf Spitzbergen, außerdem in den Mündungsgebieten der Lena im arktischen Osten Sibiriens und des Mackenzie River im arktischen Nordwesten Kanadas: „Ich liebe diese Orte“, sagt sie. Die Schönheit der Natur. Die Einsamkeit. Den „krassen Wechsel der Temperaturen“. Auf der Halbinsel Taymyr hat sie ihr erstes Polarlicht gesehen: „Das war unglaublich. Ich stand oben auf dem Berg und der Himmel hat sich geöffnet.“
In den fast drei Jahrzehnten ihres bisherigen Forscherlebens ist Boike Zeugin des rasanten Wandels geworden. Auf Spitzbergen etwa sei die Lufttemperatur im Jahresdurchschnitt seit ihrem ersten Aufenthalt von fünf auf zwei Grad unter Null gestiegen: „Ich sehe die Erwärmung. Ich sehe an meinen Daten, dass sich was tut.“ Die Forschung müsse indes noch viel weiter gehen.
Dem Alfred-Wegener-Institut ist sie nach wie vor verbunden, ebenso der Stadt Potsdam, wo ihr Garten liegt und sie mit ihrer Familie lebt. Sie ist neuerdings aber auch regelmäßig in Adlershof anzutreffen als Privatdozentin, demnächst Professorin am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie im Wintersemester bereits eine Lehrveranstaltung über Polargeographie gehalten hat. Bis Mai ist sie jetzt allerdings erst einmal weg – mit einer Forschergruppe im sibirischen Lena-Delta.
Von Dr. Winfried Dolderer für Adlershof Journal