Zum Altern etwas Tee: Die Tricks eines Dekorationsmalers
Es gibt keinen begnadeteren Maler als die Zeit. Das zumindest behauptet ein Aphorismus. Mario Schuenemann kann dem nur begrenzt zustimmen. Auch dass der beste Maler die Natur ist, sei nur teilweise richtig. Die Spezialität des Dekorationsmalers aus Adlershof ist es, den Zahn der Zeit für das schnelllebige Film- und Fernsehgeschäft zu beschleunigen. Dafür arbeitet er mit einigen, manchmal fast unappetitlichen Tricks. „Dinge in die richtige Zeit versetzen“, nennt er das, oder „einen Schleier drüberlegen“. Demnächst zu sehen im Film „Hanni und Nanni“, der im Sommer 2010 in die Kinos kommt.
Schon der glorreichste Sieg des Sozialismus war für Mario Schuenemann mit ziemlich viel Arbeit verbunden. Vor den von ihm mitgestalteten Kulissen feierte die DDR-Staatsführung Sigmund Jähn, seinen Kommandanten Valerie Bykowski und vor allem sich selbst mit einer pompösen Show im Palast der Republik. Jähn war gerade als erster deutscher Kosmonaut aus dem All zurückgekehrt. Das war 1978, als Schuenemann Lehrling beim Fernsehen der DDR war. An die Abwechslung während der Lehrzeit erinnert sich Schuenemann ganz gern, denn damals „malte“ er vorwiegend für die Unterhaltungssendung „Ein Kessel Buntes“ oder hin und wieder für den „Polizeiruf“. Jeder Lehrfacharbeiter, mit denen die Auszubildenden „mitliefen“, betreute bestimmte Sendungen. Dreizehn Jahre arbeitete Schuenemann beim Fernsehen der DDR, zuletzt beim DFF. 1991 war Schluss.
Mit dem Telefonbuch in die Selbstständigkeit
Den Kopf in den Sand stecken, das wollte er nicht. Schon früher hatte er über eine freiberufliche Tätigkeit nachgedacht. Mit dem Berliner Telefonbuch hat er sich selbstständig gemacht, sagt Schuenemann. Er habe einfach alle abtelefoniert. Die Chuzpe hatte Erfolg. Für die Dekorationsbaufirma Clausing und Wrede, die unter anderem Teile des Filmes „Der Name der Rose“ ausgestattet hatte, arbeitete er mehr als zwei Jahre. Ein guter Start, zu dem auch die erfolgreiche SAT1-Eigenproduktion „Wolffs Revier“ gehörte, die in den Spandauer CCC-Filmstudios gedreht wurde. Noch heute sind vorwiegend Dekorationsbaufirmen, wie z.B. die Baubühnen GmbH, Schuenemanns Auftraggeber. Es folgten zehn Jahre mit dem „Perfektionisten“ Hallervorden in den Wühlmäusen, „Bernd das Brot“ und diverse Galas, wie „Goldener Löwe“, „Goldene Kamera“ oder der „Deutsche Filmpreis“.
Patinieren ist seine Spezialität
Schuenemann arbeitet Hand in Hand mit den Szenenbildnern. Die planen die Optik einer Szene. Ein gutes Gefühl für Relationen und Proportionen gehöre zum Handwerk. Und ziemlich viele Tricks: Eisblumen am Fenster entstehen am besten mit Bittersalz und Bier. Zum Sprenkeln greift der Dekorationsmaler gern zu schwarzem Kaffee oder Apfelsaft, bestäubt wird oft mit Heilerde. Um Textilien zu altern, setzt er Tee oder auch seine „Mumpe“ an, einen Spezialmix. „Mumpe“ bedeutet so viel wie von allem etwas und manchmal kommt sogar Bier rein. Patinieren ist die Spezialität von Schuenemann. Dafür fährt er immer wieder auf Farbmessen. Experimentieren sei enorm wichtig. Es gibt immer wieder neue Maltechniken, neue Produkte. Werden die Farben in einer bestimmten Reihenfolge aufgetragen, können damit Reaktionen wie die Bildung von Rissen forciert werden.
Leider muss heute alles immer sehr schnell gehen, sei die Zeit für Projekte sehr knapp bemessen, bedauert er. Immer öfter bedient sich Mario Schuenemann daher auch neuer Technik. So wird dann schon mal einfach gedruckt – und dann „nachgealtert“.
Gerettete Zeit
Beim Betrachten der fertigen Arbeit gerät er immer wieder in einen Zwiespalt. Gern würde er etwas mehr sehen von seiner Kunst, aber auf der Leinwand oder im Fernsehen muss sie unsichtbar bleiben. Von ein paar „Werken“ konnte sich Schuenemann auch nach Drehschluss nicht trennen. Zum Beispiel eine Fliesenspiegel-Imitation vom U-Bahnhof Berlin-Alexanderplatz, die Ende der 1990er-Jahre für „Helden wie wir“ entstand. Oder von den Wanduhren, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. Gerettete Zeit, so Mario Schuenemann. „Zwei Personen stecken in einem Maler“, sagt Emile Zola – der Handwerker und der Poet.
Rico Bigelmann
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