Videoaufklärung vor der OP
Das Start-up medudoc visualisiert Abläufe von Operationen und deren Risiken für das Aufklärungsgespräch im Krankenhaus
Die medudoc-Gruppe erstellt Erklärvideos, die Patientinnen und Patienten vor medizinischen Eingriffen fachlich fundiert über den Ablauf und etwaige Risiken informieren. Das Team wächst, stellt ein und ist auf Internationalisierungskurs.
Ehe ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt, kaputte Knie operiert oder vom Grauen Star getrübte Linsen ersetzt werden, müssen Ärztinnen und Ärzte über den Ablauf und die Risiken des Eingriffs samt Narkose aufklären. Bisher passiert das in Gesprächen, die für die Beteiligten kaum unterschiedlicher sein könnten. Während die Behandelnden die geplante Operation zum x-ten Mal erklären und eine redundante Routine abspulen, ist solch ein Aufklärungsgespräch für Patientinnen und Patienten eine Ausnahmesituation. Oft erfahren sie erst hier im Detail, was ihnen bevorsteht. Das Gemisch aus Angst, Respekt vor den „Göttern in Weiß“ und teils auch Verständnisproblemen sorgt dafür, dass ihnen viele Details entgehen. Obwohl sie im Gespräch das Gefühl haben, alles zu verstehen, können sie dessen Inhalte anschließend nur lückenhaft wiedergeben und müssen bei Nachfragen von Angehörigen oft passen.
Diese für beide Seiten unbefriedigende Situation könnte sich bald erübrigen. Denn die junge medudoc-Gruppe entwickelt in Adlershof eine Plattform mit individualisierbaren Erklärvideos, die die häufigsten Operationen in kurzen Sequenzen visualisieren. Zudem werden der OP-Verlauf und die Risiken in deutscher oder englischer Sprache erläutert. „Künftig werden wir sie auch auf Türkisch, Russisch und in weiteren Sprachen anbieten“, erklärt die kaufmännische Geschäftsführerin des 2020 gegründeten Start-ups, Sonja Brei.
Die Vorteile dieser audiovisuellen Aufklärung liegen auf der Hand. Patientinnen und Patienten können sie in aller Ruhe und so oft sie wollen anschauen, Angehörige oder Freunde dazu holen und vor dem Gespräch konkrete Fragen notieren, die sie klären möchten. Umgekehrt müssen Behandelnde nicht vor jeder OP die Basics wiederholen, sondern können im vorbereiteten Gespräch gezielt offene Fragen klären – und ihren haftungsrechtlichen Aufklärungs- und Dokumentationspflichten dennoch Genüge tun. Obwohl die Gespräche im Schnitt halb so lange dauern, steigt ihre Qualität messbar. „Die Verständnisrate steigt durch die audiovisuelle Unterstützung gegenüber der rein mündlichen Aufklärung signifikant auf 80 Prozent. Und 99 Prozent der Befragten geben an, dass sie unsere Videos als hilfreich empfinden“, berichtet Brei.
Das könnte damit zusammenhängen, dass medudoc erfahrene Ärztinnen und Ärzte mit IT- und Videofachleuten zusammenbringt, um die Videos zu erstellen. Nach und nach entsteht eine Plattform mit Sequenzen, aus denen behandelnde Medizinerinnen und Mediziner per Mausklick individuelle, auf das Alter, Geschlecht und weitere persönliche Merkmale der jeweiligen Patient:innen zugeschnittene, Videos zusammenstellen können. „Bis Ende des Jahres wollen wir die 50 häufigsten Eingriffe aus der Allgemeinchirurgie, Orthopädie, Augenheilkunde, Urologie, Neurochirurgie, Radio-Onkologie sowie aus der Geburtshilfe und Anästhesie abdecken“, sagt sie. Langfristig sind Erklärvideos für die 200 häufigsten Operationen geplant. Obwohl die chirurgischen Methoden nicht überall gleich sind, plant das Start-up die zügige Internationalisierung seines Angebots. Kliniken in der Schweiz und in Deutschland nutzen die Erklärvideos bereits. Auch in die USA streckt das bereits auf 16 Köpfe gewachsene Team seine Fühler aus. Vertrieben wird die Lösung wahlweise direkt an Kliniken oder als Modul an IT-Dienstleister, deren Klinikinformationssysteme oder Patientenportale bereits im Markt etabliert sind.
Während das Team den Fundus an Videosequenzen erweitert und Vertriebskräfte in Kliniken vorsprechen, ist Brei dabei, eine Finanzierung für die geplante Expansion auf die Beine zu stellen. „Wir wollen personell wachsen und haben diverse zu besetzende Stellen“, berichtet sie. Auch deshalb ist medudoc-Gründer Michael Horacek letztes Jahr sofort zweigleisig gestartet, mit Hauptsitz in der Schweiz und Entwicklung in Berlin. Denn die Stadt zieht mit ihrer Hochschuldichte und ihrem Flair Talente aus aller Welt an. Dass wegen der Distanz der Standorte Verständigungsprobleme drohen, fürchtet das Team nicht. Wie auch – wo es doch genau darauf aufbaut, dass die Verständigung zuweilen digital besser funktioniert als im direkten Gespräch.
Von Peter Trechow für Adlershof Journal