Sehen und verstehen
Erneute Absage der „Langen Nacht der Wissenschaften” – Wie kann Wissenschaftsvermittlung auch digital gelingen?
Die Planungen liefen auf Hochtouren, Ende April kam die Absage: Auch dieses Jahr wird die „Lange Nacht der Wissenschaften” nicht wie gewohnt stattfinden. Wir haben bei den Organisatoren nachgefragt, wie Wissenschaftsvermittlung auch digital glücken kann und wie wissenschaftliches Denken davor bewahrt, sich in Halbwahrheiten, Ideologien und Querdenkertum zu verrennen.
Für viele ist es ein fixer Termin im Kalender, auf den man sich schon Wochen vorher freut: Die „Lange Nacht der Wissenschaften” (LNdW). Zu ihr strömen jährlich rund 25.000 Menschen, viele davon nach Adlershof. Sie ist ein Magnet, der Menschen anzieht, die Wissenschaft erleben und hinter die Kulissen von Forschungslaboren schauen möchten. Leider fiel die LNdW als Mitmach-Event letztes Jahr flach. Corona. Stattdessen wurde ein Jahr lang monatlich ein Wissenschafts-Podcast mit Inforadio umgesetzt. Mehr Normalität hatte man sich für 2021 erhofft.
Den Vorsitz des LNdW e. V. hat derzeit Prof. Ulrich Panne, Vorstand IGAFA e. V. sowie Präsident der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Nur: Ein Jahr später ist die Unsicherheit immer noch groß. Was geht? Was nicht? Wie plant man überhaupt in Zeiten der Pandemie? Nun steht fest: Auch die LNdW 2021 fällt aus. „Unter den gegebenen Bedingungen ist die Durchführung so einer Großveranstaltung nicht verantwortbar“, so Ulrich Panne. Mehr als 50 Einrichtungen hatten ihre Teilnahme zugesagt, berichtet er: „Das ist eine enorme Anzahl in diesen unsicheren Zeiten. Das zeigt: Der Wille ist groß.“ Es geht auch darum, den Draht zu den wissenschaftsinteressierten Menschen nicht zu verlieren – gerade in Zeiten, in denen Fake News verbreitet werden, Verschwörungstheoretiker und Coronaleugner Zulauf erhalten. Gerade jetzt wird klar, wie wichtig Wissenschaftskommunikation ist – und Veranstaltungen wie die Lange Nacht leisten dazu einen großen Beitrag.
Neben analogen wurden von Anfang an auch digitale oder hybride Programmpunkte von den Einrichtungen geplant, berichtet Nicola Rother, Leiterin der Geschäftsstelle des LNdW e. V.: „Virtuelle 360-Grad-Touren etwa durch den Speicherring BESSY II sind so kein Einmalerlebnis, sondern beliebig wiederholbare Erlebnisse.“
Hybride Formate könnten auch ab der Pandemie an Popularität gewinnen. Ist das die Zukunft? Müssen sich solche Veranstaltungen wandeln, digitaler werden? „Von ‚müssen‘ möchte ich nicht sprechen“, winkt Rother ab, „wir selbst setzen lieber auf eine Präsenzveranstaltung, weil wir der Meinung sind, dass die LNdW Wissenschaft zum Anfassen ist und wir die Nähe zu den Besucherinnen und Besuchern wichtig finden.“ Aber die Pandemie habe durch die vielen digitalen Meetings und Veranstaltungen auch gezeigt, was für ein Potenzial im Digitalen stecke: „Wir können Menschen einbeziehen, die nicht vor Ort sein können, entweder weil sie in einer anderen Stadt, in einem anderen Land oder schlicht in Quarantäne sind.“ Daher werde die Digitalisierung von Veranstaltungen, oder Teilen davon, nach Rothers Meinung voranschreiten: „Das ist gut und wichtig. Es darf nur nicht dazu führen, dass wir nicht mehr zusammenkommen und uns im Privaten einschließen.“
Das Erlebnis einer LNdW als Präsenzveranstaltung sei zumindest dauerhaft digital nicht ersetzbar. Der Kontakt, das Kennenlernen, das Eintauchen in neue, fremde Welten, der Geruch von Laboren und Hörsälen, das direkte Erleben von Experimenten und Vorträgen, das alles geschehe nun mal vor Ort, so Rother: „Das ist es auch, woran wir uns erinnern, wenn wir Jahre später zurückschauen. Das kann ein digitaler Besuch nicht voll ersetzen.“
Nicht zuletzt sei die LNdW das beste Format, damit Wissenschaftseinrichtungen ihre oft komplizierten Forschungsinhalte einem möglichst großen Publikum verständlich vermitteln können. „Wir wollen, dass Wissenschaft nah dran bleibt an den Menschen und nicht unerklärlich wirkt. Wissenschaft erzeugt einen Zugewinn für unser Leben“, sagt Ulrich Panne. Forschende gäben Antworten, klärten auf und seien gerade in diesen Zeiten der Pandemie unersetzlich: „Wir halten das heute, wo Fake News und populistische Vereinfachungen an der Tagesordnung sind, für enorm wichtig.“ Gerade jetzt komme Wissenschaftler/-innen eine besondere Bedeutung zu, unterstreicht Panne: „Denn sie tragen mit ihrer Arbeit zu unserem Schatz an Wissen bei. Wissen, das mit der Welt übereinstimmt und auf Evidenz gegründet ist.“
Bei „radioeins“ vom Rundfunk Berlin-Brandenburg gibt es die klügste Nacht am 5. Juni 2021 ab 19:00 Uhr mit vielen Forschenden aus Berliner Wissenschaftseinrichtungen als Sondersendung zu hören. „Nächstes Jahr werden wir unseren Besucherinnen und Besuchern alles wieder live anbieten können“, freut sich Nicola Rother.
Von Chris Löwer für Adlershof Journal