Schlaflos im Labor
„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“, heißt es in einem bekannten Schlager. Dieser Meinung sind auch Wissenschaftler und Fachkräfte in Adlershof: Sie nutzen deshalb die Nachtstunden für die Forschung und die Produktion spezieller Substanzen.
Wenn sich die Nacht über Adlershof senkt, wird es ruhig im Wissenschafts- und Technologiepark. Die Coffeeshops haben die Stühle hochgestellt, die Straßen sind leer, und nur hin und wieder kommt ein Paar mit voll bepackten Einkaufstüten aus dem bis 22 Uhr geöffneten Supermarkt in der Rudower Chaussee. Das ist die Stunde, zu der der Betrieb in der E&Z EURO-PET Berlin GmbH in der Max-Planck-Straße so richtig losgeht. Denn das Unternehmen produziert nachts – der Notwendigkeit gehorchend. Der Betrieb ist auf Radiopharmaka spezialisiert, die zur Tumordiagnostik verwendet werden. „Wir stellen u. a. einen Zucker – die Fludeoxyglucose (FDG) – her, der mit dem Isotop F-18 radioaktiv markiert ist“, erklärt Betriebsleiter Bruno Simgen. Das Isotop F-18 muss vor der eigentlichen Synthese erst am betriebseigenen Zyklotron hergestellt werden. Das fertige Produkt wird Patienten intravenös gespritzt und zeigt dann in einem PET-Scanner an, wo sich Krebszellen gebildet haben.
Radiopharmakaproduktion just in time
Dabei beliefert das Adlershofer Unternehmen nicht nur Berliner Einrichtungen und andere Zentren in Deutschland, sondern auch Zentren in ganz Polen. Das ist der Grund, warum die Mitarbeiter nachts im Einsatz sind: F-18 hat eine kurze Halbwertszeit von 109 Minuten – würde die Substanz tagsüber produziert, wäre sie am nächsten Morgen schon nicht mehr zu verwenden. Die genauen Arbeitszeiten sind deshalb vom Bestelleingang abhängig: Etwa um 16 Uhr wird der Nachtschicht mitgeteilt, wann sie anzufangen hat. Meist ist das ungefähr ab 22 Uhr der Fall. „Wir produzieren just in time“, erläutert Simgen: Für jede Bestellung wird ein auf die Minute genauer Zeitplan erarbeitet. Kaum ist das FDG in kleine Fläschchen abgefüllt, steht auch schon ein Auto vor der Tür, um sie, sicher verpackt in Behältnisse aus Blei oder Wolfram, ans Ziel zu befördern. Feierabend ist in der Regel zwischen sechs und acht Uhr in der Früh; dann beginnt die Tagschicht, um die Produktion der kommenden Nacht vorzubereiten.
Pausenlos im Einsatz: BESSY
Um diese Zeit dürfen auch die Wissenschaftler im Elektronenspeicherring BESSY des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie langsam an Feierabend denken. Denn dort wird rund um die Uhr geforscht – zu begehrt und zu teuer ist die Zeit in der Synchrotronstrahlungsquelle, um einen Achtstundentag zu fahren. „Die Arbeit in der Nacht ist für uns fast zur Routine geworden“, erzählt der Doktorand Friedmar Delißen. Er untersucht als Mitglied der Arbeitsgruppe Röntgenstrukturanalytik der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) das Agglomerations- und Aggregationsverhalten von Proteinen. Diese Grundlagenforschung ist insbesondere für die Medizin von Interesse, da beispielsweise das „Verklumpen“ von Proteinen als potenzielle Ursache der Alzheimerkrankheit gilt.
Kaffee statt Schlaf
„Wenn man kontinuierlich beschäftigt ist, vergeht die Zeit schnell“, sagt Delißen. Und das ist meistens der Fall, da die Messungen in einer hohen Frequenz vorgenommen werden und eine entsprechend intensive Konzentration verlangen. „Wir trinken schon ziemlich viel Kaffee“, schmunzelt Delißens Kollege, der Materialwissenschaftler Moritz-Caspar Schlegel. Er nutzt die Röntgenstrahlen im Rahmen seiner Promotion zur Erforschung zementgebundener Baustoffe (beispielsweise Beton). Weil die Messungen auch vorbereitet werden müssen, ergeben sich nämlich lange Arbeitszeiten. Immerhin ist der nächtliche Einsatz nicht das ganze Jahr über gefordert, sondern lediglich in den sechs Wochen, die sich die BAM für die Forschung bei BESSY gesichert hat.
Natürlich sind die Wissenschaftler bei BESSY und die Medizintechniker in der Max-Planck-Straße nicht die Einzigen, die in der Nacht in Adlershof fleißig sind: Solon zum Beispiel produziert im Drei-Schicht-Betrieb, das Lufthansa-Callcenter berät Kunden auch am späten Abend, Sicherheitspersonal ist immer im Einsatz. Und dann gibt es noch ganz andere nachtaktive Lebewesen: „Wenn wir“, berichtet Dr. Axel Rother von E&Z Euro-Pet, „nachts um vier einen Kaffee trinken, sehen wir oft Kaninchen vor dem Fenster vorbeihoppeln.“
Christian Hunziker
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