Initialen der Zukunft
Die Interpretation der Daten wird die Kompetenz der Businesswelt von morgen
Essay von Prof. Dr. Holger Rust, Wirtschaftssoziologe, Praktiker und Publizist, bekannt als Kritiker von Managementmoden.
Auf der Suche nach ihren Chancen in der Arbeitswelt der Zukunft durchkämmten meine Studierenden, allesamt optimistische Digital Natives, mit einem raffinierten Algorithmus Hunderte von Dokumenten zur Veränderung des Wirtschaftssystems und fanden ein zentrales Stichwort: Industrie 4.0.
Immerhin Industrie 4.0. Das war insofern erstaunlich, da noch vor knapp einem Jahrzehnt alle erdenklichen selbsternannten Analysten und Trendforscher mit geradezu enthusiastischem Tenor eine „postindustrielle“ Ära eingeläutet und dem Dienstleistungssektor die gestalterische Kraft für Millionen Jobs zugeschrieben hatten.
Reden wir nicht mehr drüber, es war ohnehin eine komische Idee, weil ja irgendwo ein produktiver Kern bestehen muss, der Dienstleistungen überhaupt erst stimuliert, darunter auch die beiden meistgenannten Charakteristika dieser Industrie 4.0: Datafication und Digitalisierung, die zwei großen D des künftigen Business.
Buchstäblich etikettierte Aide Memoires für erfolgreiches Management sind zurzeit ganz große Mode. Die einschlägige Literatur ist voll davon: die fünf A des erfolgreichen Projektmanagements, die vier F der Kommunikation oder Richard Floridas drei T der kreativen Klasse. Es fällt übrigens auf, dass die eben erwähnten D ein wenig ärmlich nur zu zweit daherkommen, ein drittes wäre ganz schön, damit das Konzept konkurrenzfähig und die metaphorische Referenz zur Dreidimensionalität erhalten bleibt. Ist ja eine gute Managementvokabel: Sagt wenig, klingt gehaltvoll.
Nun ist aber die Sache leider so einfach auch wieder nicht, denn es tauchten jede Menge Unterbegriffe auf, bei Datafication und Digitalisierung im Wesentlichen geprägt durch ein B- und D-Doppelwort: Big Data. Bei dessen weiterer Differenzierung nun widerfuhr den Analysten Erstaunliches. Denn weder B noch D avancierten zu Initialen erhellender Erläuterungen, sondern – das V. Initialzündung war vermutlich eine Studie der META Group, die schon 2007 drei Charakteristika der Datenkommunikation ausmachte: Volume, Velocity, Variety.
In der Folge dann immer wieder diese drei. Und zwar meist da, wo man nach einer klaren Definition von Big Data und nach einer Antwort auf die Frage nach den Konsequenzen für die Arbeit der Zukunft suchte. So ging das eine Zeitlang im Kreis. Doch da man einen Erkenntniszuwachs anstrebte oder auch, weil sich die Big-Data-Welt doch schneller und unübersichtlicher entwickelte als erwartet, suchte der eine oder andere nach tiefergehenden Charakteristika und fand zum Beispiel und in lockerer Folge: Value, Veracity, Viability, Visibility, Validity oder Volatility.
Die Inflation der V-Worte schürte den Verdacht, das Geschäft mit den Definitionen stelle – nach einer trefflichen Bemerkung des Soziologen Hans Albert – nichts weiter dar als ein Sprachspiel zur Weltorientierung. Was die junge Forschungsgruppe nun dazu bewegte, dem Algorithmus einmal umgekehrt nur Initialen einzuimpfen um Tags im Umkreis des Themas künftiger Arbeitskultur zu identifizieren. Im Ergebnisranking lieferte am Ende das I (immerhin schon als ikonografische Identifikation hypermoderner Produkte wie iPad, iPhone und Elektroautos bewährt) als A & O einer erstrebenswerten Arbeitswelt der Zukunft eine klingende Folge von Modulen einer Scorecard für die Potenziale des Individuums. Dessen Mut erschien als Ausgangspunkt für originelle Interpretationen von Daten und für konkurrenzfähige Ideen sowie überraschende Initiativen, um mit faszinierenden Innovationen unverwechselbare Impulse zu setzen.