Die neue Realität
Digital und hybrid statt analog – ungewohnte Wege in der Öffentlichkeitsarbeit
„Book a Scientist“ heißt eine Veranstaltungsreihe der Leibniz-Gemeinschaft. Interessierte können sich dabei 25 Minuten lang mit Forschenden zu ihrem Lieblingsthema austauschen. „Ein schönes Format, das in Coronazeiten auch digital wunderbar funktioniert – so melden es unsere Institute zurück“, sagt Anja Wirsing vom Forschungsverbund Berlin. Oliver Perzborn von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) empfindet die jetzige Pandemie als Katalysator, der sehr schnell zeigt, was in der Wissenschaftskommunikation funktioniert und was nicht. Dass Wissenschaft vom Austausch lebt, darüber sind sich beide Kommunikatoren einig. Und auch darüber, dass es in Zeiten des Virus neuer Ideen und unkonventioneller Formate für deren Vermittlung bedarf.
Selten hat Wissenschaft so viel Aufmerksamkeit erhalten. Der Anspruch an Wissenschaftskommunikation hat sich auch in Coronazeiten nicht geändert. Noch immer muss der Brückenschlag zwischen wissenschaftlicher Seriosität und verständlicher Ansprache der breiten Öffentlichkeit gemeistert werden. Arbeitsabläufe, Planungssicherheit oder die Möglichkeiten zum direkten Austausch haben sich jedoch komplett verändert.
„Wir müssen andere Wege finden, mit den Menschen zu reden“, erzählt Anja Wirsing. Sie ist verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Forschungsverbund Berlin (FVB). Inzwischen bereichern wissenschaftliche Online-Vorträge von Forschenden aus dem FVB den Schulunterricht. Der Marthe-Vogt-Preis, der jährlich an eine junge Wissenschaftlerin vergeben wird, ist im Rahmen der Berlin Science Week digital verliehen worden und ein gleichnamiger Podcast stellt in Gesprächen junge Forscherinnen und ihre Arbeit vor. „Wer in einer realen Veranstaltung sitzt, der steht nicht so schnell auf“, weiß Anja Wirsing, „digital kann man sich schnell rausklicken – das ist bei der Wahl der Formate zu bedenken.“
Dass sich physische Veranstaltungen nicht Eins-zu-eins ins Digitale transformieren lassen, weiß auch Oliver Perzborn. Der ehemalige Trendforscher hat im vergangenen September die Leitung des neu geschaffenen Referates Kommunikation & Marketing an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) übernommen. Damit hat er seit seinem Jobwechsel noch ganz andere Herausforderungen zu bewältigen: Mit seinem Team kommuniziert Perzborn nämlich, von wenigen Präsenztreffen zu Beginn abgesehen, inzwischen ausschließlich über den Monitor. Alles Persönliche ist durch die Pandemie eingeschränkt. „Beim Essen zusammensitzen ist anders als digital“, erklärt er. „Die Pandemie schafft aber auch die Möglichkeit, Bestehendes zu hinterfragen und Neues auszuprobieren.“ Und bringt auch Vorteile: Meetings und Abstimmungen laufen effizienter, statt E-Mails werden Themen- und projektbezogene Chats benutzt, die mehr Transparenz mit sich bringen. Die neue Vernetzung führte letztendlich auch zu mehr Sichtbarkeit und Partizipation jedes bzw. jeder Einzelnen und damit zu einem größeren Wir-Gefühl. „Meine Aufgabe als Chef ist es, die Möglichkeiten, die uns die neue Realität bietet, auszuloten und gewinnbringend für unsere Aufgaben als Wissenschaftskommunikatoren zu nutzen“, erzählt der 52-Jährige.
Trotz der 150-jährigen Geschichte der BAM, vieler faszinierender Forschungsthemen und -ergebnisse und neuer, digitaler Kommunikationskanäle, mit denen man näher an seine Zielgruppen rückt, sei der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit in der Pandemie alles andere als einfach. Die Nachrichtenlage ist oft einseitig, Themenvorschläge durchzubringen, die sich nicht mit Corona befassen, schwierig. „Die Relevanz unseres Tuns, unserer Forschung ist der Schlüssel“, sagt Perzborn. Und schiebt einen Anglizismus hinterher. Unsere Arbeit an der BAM ist „purpose-driven“, sie erfüllt einen höheren Zweck. Die BAM, davon ist er überzeugt, sei eine Institution mit „Zweck ohne Ende“. Diesen zeitgemäß für Zielgruppe und Medien zu vermitteln, sei die Hauptaufgabe seines Teams. „Wir müssen Wissenschaft mit klaren, verständlichen Botschaften konsumierbar machen. Wir leben schließlich in einem Häppchen-Zeitalter.“
Anja Wirsing ist offen für experimentelle Formate für die Vermittlung von Wissenschaft. Doch ihr, wie auch Oliver Perzborn, fehlt der direkte Austausch. Kommunikation habe mit Begegnung zu tun. Richtig erlebbar werde Wissenschaft nur in der persönlichen Begegnung. Einige der aktuellen Formate und Arbeitsweisen werden sich nach der Pandemie etabliert haben. Den persönlichen Dialog ersetzen werden sie nicht. „Aber“, sagt Anja Wirsing, „Kommunikatoren sind ja gewohnt zu improvisieren.“
Von Rico Bigelmann für Adlershof Journal