CHIC im Lehrmodus - Integrativ
Die digitalen Wegweiser und Lehrmittel des CHIC-Start-ups Open Deutsch UG erleichtern Migrierenden Spracherwerb und Integration
Bei ihrem Zuzug nach Deutschland müssen Migrantinnen und Migranten die immer gleichen sprachlichen und bürokratischen Hürden überwinden. Olga Aktas, Gründerin der Open Deutsch UG, kam vor einigen Jahren aus Russland und entwickelt auf Basis ihrer Einwanderungserfahrungen nun digitale Sprach- und Integrationskurse. Ihr Know-how ist wegen der vielen Geflüchteten aus der Ukraine aktuell besonders gefragt.
Nach ihrer Abschlussarbeit über Vladimir Putins Weg an die Macht schlossen sich für Olga Aktas viele Türen. Auch Vorträge über die Rechte von Schwulen und Lesben waren ihren Karriereaussichten nicht eben förderlich. Die Dekanin der Hochschule nahm sie nach der Verteidigung ihrer Arbeit über Putin beiseite: Derart frei von der Leber weg zu reden, berge große Gefahren. Tatsächlich war Aktas nun studierte Spezialistin für politische PR, doch echte Jobchancen in Russland hatte sie nicht mehr. Sie wanderte nach Berlin aus, hängte Studien in Medienwissenschaften und Deutsch als Fremdsprache an – und wurde Mutter eines mittlerweile schulpflichtigen Jungen. Heute spricht sie nahezu akzentfrei Deutsch – und leitet ihr eigenes Start-up.
Open Deutsch hat sie ihr Unternehmen genannt. Es geht um Zugang. Darum, andere von ihren eigenen Integrationserfahrungen profitieren zu lassen, und es ihnen bereits in ihren Heimatländern zu ermöglichen, die sprachlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Einwanderung nach Deutschland zu schaffen. „Es gibt so viele Formulare, von der Krankenversicherung über die Meldebehörde bis zum Finanzamt. Auch die Wohnungssuche samt allen Formalitäten war eine Hürde“, erinnert sie sich an ihren Start. Jede Migrantin und jeder Migrant müsse sich auf eigene Faust durch diesen bürokratischen Wust arbeiten. Im 21. Jahrhundert in einem hochentwickelten Land wie Deutschland müsse das doch effizienter machbar sein, dachte sie – und krempelte die Ärmel hoch, sobald ihre Deutschkenntnisse es zuließen.
Digitale Eingliederungshilfe
Mit Open Deutsch verfolgt sie einen mehrgleisigen Ansatz. Neben digitalen Integrationswegweisern in mehreren Sprachen entwickelt sie Lehrmittel für Sprachschulen im Ausland. Lehrende in Russland fragten sie immer wieder nach praktikablen, an Alltagsfragen orientierten Lehrmitteln aus Deutschland. Statt diese semi-legal zu kopieren oder schwere Fachbücher zu versenden, entschloss sich Aktas, eine Sammlung frei lizensierter digitaler Lehrmittel zu entwickeln. Es war der Beginn ihrer Gründung an der Technischen Universität Berlin, für die sie ein Berliner Startup-Stipendium erhielt. Nach einem halben Jahr war die Sammlung so weit, dass Lehrkräfte testweise damit arbeiten konnten. Dabei kam heraus, dass es cleverer wäre, die Inhalte unmittelbar mit Onlinekursen zu verschränken. In Zusammenarbeit mit Sprachschulen entwickelte sie die Plattform weiter, bis Corona ausbrach und den Sprachschulen finanziell stark zusetzte. Aktas steckte nicht auf, sondern schärfte das Profil der Sprachkurse. „Die Menschen lernen in der Regel nicht Deutsch, weil sie unbedingt die Sprache Goethes sprechen möchten, sondern um sich hier zurechtfinden, zu studieren oder eine Arbeit zu finden“, erklärt sie.
Dieses „um zu“ wurde zur Richtschnur für die Weiterentwicklung. Befragungen von Migrantinnen und Migranten unterstrichen ihre These. Als machte sich ihr mittlerweile auf vier Beschäftigte gewachsenes Team daran, die Lehrinhalte in Form eines konkreten Integrationswegweisers zu bringen. Leistbar war das für ihr Start-up nur, weil es EU-Fördermittel aus einem Topf für die Integration von Ankömmlingen aus Drittstaaten einwerben konnte. Nun arbeitet das Team an einer Plattform, die Beratung, Eingliederungstipps, kulturelle Aspekte und den Spracherwerb zusammenführt. Ein weiterer Vorteil: Nutzerinnen und Nutzer haben rund um die Uhr Zugang und können ihre Lektionen genau dann lernen, wenn es am besten in ihren Tagesablauf passt.
Für alle bürokratischen Pflichten und per Befragung ermittelten Bedarfe – vom Handyvertag über einen Kita- und Hortplatz bis zur Mietüberweisung gibt der interaktive Wegweiser Tipps und listet relevante Behörden und Kontakte auf. Das geschieht in einfachem Deutsch und alternativ auf Englisch, weil immer mehr deutsche Unternehmen es zur Geschäftssprache machen.
Das Geschäftsmodell schärfen
Weil die Fördergelder natürlich nicht ewig fließen, wirbt Open Deutsch unter anderem um Unternehmenskundschaft. Sie können die Module für potenzielle Beschäftigte buchen, die sie im Ausland anwerben und so deren strukturierte Integration erleichtern. Personalabteilungen sparen so Zeit für die Betreuung und auch für die Fachkräfte ist die oft schambesetzte Phase, in der sie viele Strukturen und Abläufe noch nicht verstehen, einfacher zu meistern. „Speziell Menschen aus Asien empfinden es als unhöflich, Vorgesetzten mit Fragen zur Last zu fallen. Sie müssen oft mehrere Anläufe nehmen, bis sie ein Problem auf eigene Faust meistern“, erklärt Aktas.
Auch für die Fachkräfteanwerbung im Ausland ist die Open Deutsch Plattform vielversprechend. Denn Interessierte können sich an Sprachschulen vor Ort konkret auf den Start in Deutschland vorbereiten und dabei das notwendige Vokabular erwerben. Das Start-up baut derzeit Kontakte zu Sprachschulen in den wichtigsten Anwerbeländern auf. Diese sollen gezielt nach Fachkräften suchen. Etwaige Anwerbeprämien werden geteilt. Open Deutsch garantiert die Vermittlung an faire Unternehmen. Umgekehrt können sich Unternehmen auf qualitätsgesicherte sprachliche Ausbildung und organisatorische Vorbereitung der Fachkräfte verlassen. „Sobald sie in Deutschland sind, können sie nahtlos mit unserer Plattform weiterlernen, unsere Partnersprachschulen besuchen – und unseren integrierten Wegweiser nutzen“, erklärt sie.
Aktuell ist Aktas als russische Muttersprachlerin aktiv, um Geflüchteten aus der Ukraine beim Ankommen zu helfen. Die Open-Deutsch-Plattform ist dafür prädestiniert, diese Menschen systematisch beim Start zu unterstützen. „Wir haben damit angefangen, unseren Wegweiser ins Russische und Ukrainische zu übersetzen und wollen dafür eine fünfte Mitarbeiterin einstellen“, berichtet Aktas. Eines ist für sie klar: „Angesichts der schieren Masse an Geflüchteten führt kein Weg an der digitalen Wissensvermittlung und am digitalen Lernen vorbei“. In Zeiten weit geöffneter deutscher Grenzen hat Open Deutsch eine passende Lösung parat.
Von Peter Trechow für CHIC!
Kontakt:
Open Deutsch UG
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info(at)open-deutsch.de
https://open-deutsch.de/