Adlershofer DLR-Forscher nehmen Asteroiden Ryugu unter die Lupe
Prof. Ralf Jaumann, wissenschaftlicher Leiter des Landers im Interview zur MASCOT-Mission
Rund 16 Stunden wird der Lander MASCOT (Mobile Asteroid Surface Scout) voraussichtlich Anfang Oktober 2018 auf dem Asteroiden Ryugu in Betrieb sein. Im August 2018 beginnt die Auswahl des richtigen Landeplatzes mit allen Beteiligten der Mission: Der Landeplatz muss einerseits den Ingenieuren des MASCOT-Teams gute Voraussetzungen für eine sichere Landung und einen stabilen Betrieb auf dem Asteroiden bieten und zugleich den Wissenschaftlern eine Fundgrube an neuen und ergiebigen Messungen sein. Mit an Bord des Landers, der mit der japanischen Hayabusa2-Sonde zum Asteroiden reiste: vier Instrumente, die den Himmelskörper auf seiner Oberfläche untersuchen werden. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) steuert die Kamera MASCAM bei, die bereits beim Abstieg auf den Asteroiden erste Aufnahmen machen wird und vor Ort die Umgebung der Landestelle und die Feinstruktur des Bodens untersuchen soll, sowie das Radiometer MARA, das unter anderem die Temperatur auf der Asteroidenoberfläche messen wird. Die TU Braunschweig wird mit dem Magnetometer MasMag die Magnetisierung des Gesteins erforschen, die französische Raumfahrtagentur CNES analysiert mit dem Spektrometer MicrOmega die Minerale und Gesteine von Ryugu. Prof. Ralf Jaumann vom DLR-Institut für Planetenforschung betreut das Kamera-Experiment MASCAM und ist wissenschaftlicher Leiter der Landesonde MASCOT. Er erläutert im Interview, wie ein guter Landeplatz aussehen könnte und was die Wissenschaftler auf dem Asteroiden erwartet.
Mittlerweile liegen die ersten Aufnahmen des Asteroiden Ryugu aus nur noch einem Kilometer Entfernung vor - wie gefällt Ihnen denn Ihr Forschungsobjekt?
Ehrlich gesagt - ich habe schon viele Asteroiden gesehen, aber so etwas noch nicht. Diese vielen großen Brocken auf der Oberfläche, die sind natürlich äußerst interessant! Das ist etwas, was andere Asteroiden so noch nicht gezeigt haben. Der Asteroid Itokawa, zu dem die erste Hayabusa-Mission flog, hat zwar auch Brocken, aber nicht so große und nicht so homogen verteilte. Außerdem hat Ryugu mehr Einschlagskrater als andere kleine Asteroiden. Die Krater sind alle schon degradiert, obwohl sie teilweise ziemlich frisch erscheinen. Ein normaler Einschlagskrater hat steile Wände und scharfkantige Ränder. Auf Ryugu haben die Krater eher gerundete Ränder - das heißt, nach dem Einschlag ist noch etwas passiert. Das kann damit zusammenhängen, dass im Inneren das Material nicht sehr fest ist. Oder damit, dass das Ding so richtig schön wackelt, wenn irgendwo etwas einschlägt. Wir nennen das "seismic shaking".
Aber wirklich beeindruckend sind die sehr vielen und auch sehr großen Brocken auf der Oberfläche. Dieses Material scheint doch viel standfester zu sein als das feine Material, das man sieht. Ich bin richtig gespannt darauf, wenn wir auf der Oberfläche sind und aus nicht zu großer Entfernung so einen Brocken anschauen können.
Wenn Sie ohne Einschränkungen eine Landestelle für MASCOT auswählen könnten - was wäre für Sie die spannendste Stelle auf dem Asteroiden?
Ich glaube, alle Stellen sind spannend. Nach unseren bisherigen Einschätzungen sieht Ryugu sehr homogen aus. Sowohl in der Verteilung der großen Brocken als auch in der Verteilung des feinen Materials. Wir würden wahrscheinlich überall gute und interessante Ergebnisse erhalten. Für die Landeplatzauswahl wird daher die Sicherheit das dominierende Kriterium sein. Für die Kamera an Bord von MASCOT kann man sagen: Wir wollen dort landen, wo es frisches Material gibt. Diese Körper werden ja alle nicht nur von der Strahlung, sondern auch von Partikeln des Sonnenwindes und interplantarem Staub getroffen, was mikroskopische Zerstörung auf der Oberfläche hervorruft. Nach einer gewissen Zeit tritt daher ein Veränderungsprozess ein, der dem, was wir auf der Erde Verwitterung nennen, gleicht. Aber bei jedem größeren Meteoriten gibt es einen Einschlag und frisches Material kommt nach oben.
Gibt es unterschiedliche Anforderungen von den vier Instrumenten an Bord an die Landestelle?
Ja und nein. Es gibt einen gemeinsamen Konsens, aber jedes Instrument hat natürlich auch individuelle Vorstellungen. MARA misst im Grunde genommen die thermische Eigenschaft der Oberfläche, und das Team ist daran interessiert, möglichst viel feines Material zu sehen. Das Magnetometer ist sehr flexibel - braucht aber lange Messzeiten und ist daher die ganze Zeit eingeschaltet. Mit dem Spektrometer möchte man natürlich gerne in einer Gegend messen, wo man möglicherweise flüchtige Materialien, beispielsweise Wasser, oder organisches Material feststellen könnte. Das ist mit unseren bisherigen Informationen nicht leicht zu sagen, wo man dieses finden würde. Die Kamera will in erster Linie frisches Material sehen.
Diese Wünsche müssen natürlich noch mit dem Hayabusa2-Team abgesprochen werden. Dort, wo das Team der japanischen Raumsonde Proben entnehmen will, können wir mit MASCOT nicht hin. Die räumliche Entfernung zwischen den drei Probeentnahmestellen und MASCOT sollte zudem nicht zu gering, aber auch nicht zu groß sein.
Was erhoffen Sie sich denn für Ihre Arbeit mit der Kamera?
Der Körper ist auf jeden Fall extrem interessant, und ich freue mich darauf, wenn ich mit der Kamera auf der Oberfläche sitze. Die Kamera blickt ja sozusagen von den Füßen von MASCOT bis zum Horizont. Auf der Oberfläche hat er in seinem Blickfeld mehrere große Brocken. Und wir schauen ja nicht von oben drauf, sondern von der Seite. Geologen haben ja generell am liebsten eine steile Wand, wo sie genau sehen können, was übereinander liegt. Und deswegen denke ich, dass diese Brocken mit ihrer Struktur und ihren Rissen und Spalten ziemlich spannend werden für uns.
Mich bewegen gleich mehrere Fragen: Wie kommen die Brocken dort hin? Und stecken sie im Boden oder liegen sie nur auf der Oberfläche? Kommen sie aus dem Inneren oder sind es Reste von etwas Zerbrochenem? - Ryugu war ja einmal größer. Wie sind die Brocken aufgebaut? So, wie ich die Oberfläche bisher sehe, ist es egal, wo wir mit MASCOT landen: Die Kamera wird immer einen Brocken sehen, ein bisschen Horizont und auch das feine Material.
Das Radiometer MARA sieht beispielweise, ob diese Brocken eine andere Temperatur haben als die Umgebung. Wir wissen, dass Wärmekapazität von feinem Material anders ist als die von festem Material. Das heißt, aus den Messungen von Kamera und MARA können wir nachher sogar die Festigkeit dieser Brocken ablesen. Wir werden auch die Bruchstrukturen im Gestein untersuchen, woraus man die Spannung im Gestein und möglicherweise sogar Aufprallgeschindigkeiten ableiten kann.
Geplant ist es auch, nicht nur an einer Stelle auf der Asteroidenoberfläche zu messen, sondern mit MASCOT zu einer oder zwei weiteren Stelle zu hüpfen. Damit werden erstmals Messungen an mehreren Stellen auf einem Asteroiden durchgeführt. Welchen Vorteil hat dies für die Planetenforscher?
Wenn wir hüpfen, dann heißt das: Wir werden mehr sehen. Und umso mehr Brocken wir sehen, desto besser wird die Beurteilung ihrer Konsistenz und auch die Beurteilung ihrer Herkunft. So wie ich es bisher einschätze, wird es keine sehr großen Unterschiede zwischen den beiden Messstellen geben, aber wer weiß. Wir sind noch nicht dort, und manche potenziellen Landebereiche sehen so aus, als gäbe es dort teilweise frisches und teilweise altes Material. Mit ein bisschen Glück landen wir genau an der Grenze und hüpfen von einem ins andere. Da sind alle Träume erlaubt - noch!
Nach den Messungen müssen sich die Wissenschaftler aber noch in Geduld üben, weil die Daten zunächst auf der japanischen Hayabusa2-Sonde gespeichert werden. Zur Erde gelangen sie erst, wenn die Sonde ihre komplexen Manöver absolviert hat und sich in einer günstigen Position für das Senden der Daten befindet. Wann werden Sie wissen, was die Instrumente auf dem Asteroiden gemessen haben?
Mit den Housekeeping-Daten, das heißt den Angaben zum Kamerabetrieb, erfahren wir zeitnah, ob die Kamera sich eingeschaltet hat und ob und wie viele Bilder sie aufgenommen hat. Die Frage bleibt aber erst einmal, wie die Daten aussehen. Das ist zum einen temperaturabhängig. Wenn es zu warm wird, dann erzeugt die Wärmestrahlung ein Rauschen - die Bilder werden etwas unscharf. Aber wir messen ja nicht nur am Asteroidentag, sondern auch in der Asteroidennacht. Unsere Aufgabe ist es dann, aus den verschiedenen Messungen optimale Bilder zu erzeugen. Zum anderen kann es auch sein, dass wir mit MASCOT irgendwo sitzen, wo es kein Licht gibt. Ryugu hat keine Atmosphäre, daher gibt es auch kein Streulicht - im Schatten von einem Brocken ist es daher vollkommen dunkel. Dafür haben wir unsere Leuchtdioden (LEDs) und beleuchten die Umgebung selber. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir gute Aufnahmen bekommen werden.
Ich schätze, wir erhalten die Daten über die Hayabusa2-Sonde ungefähr eine Woche nach der Landung. Dann geht die Bearbeitung und Auswertung los. Wir müssen die Brocken kartieren, die Risse in den Brocken vermessen - und dann setzen wir Wissenschaftler uns zusammen und werden erst einmal sehr viel diskutieren.
Was erhoffen Sie sich wissenschaftlich von der Mission?
Ein besseres Verständnis, wo Asteroiden herkommen. Ein besseres Verständnis, wann und wie so ein Asteroid entstanden ist. Und ein besseres Verständnis, wie er im Inneren aufgebaut ist. Das ist die wissenschaftliche Seite. Aber Ryugu ist auch ein erdnaher Asteroid, also ein Körper, der die Erdbahn kreuzt. Man will natürlich wissen, wie die Zusammensetzung solcher Körper ist, falls es notwendig wird, - wenn so ein Asteroid der Erde nahe kommt - Gegenmaßnahmen zu ergreifen müssen. Normalerweise kann man inzwischen Körper auf Kollisionskurs mit der Erde relativ früh erkennen. Gegenmaßnahmen könnten dann unterschiedlich sein: Man schiebt ihn an, man lenkt ihn ab, man reduziert seine Rotationsgeschwindigkeit, damit die Sonne ihn von einer Seite mehr erwärmt. Alles, um ihn an der Erde vorbeizulenken. Dafür muss man aber wissen, wie die der Asteroid aufgebaut ist, wie porös oder wie wie fest er ist, wie das Gestein der Oberfläche Wärme aufnimmt. Alles Faktoren, die wir mit der Hayabusa2-Mission und MASCOT messen.
Das Interview führte Manuela Braun.
Über die Mission Hayabusa2 und MASCOT
Hayabusa2 ist eine Weltraummission der japanischen Raumfahrtagentur JAXA (Japan Aerospace Exploration Agency) zum erdnahen Asteroiden Ryugu. Der deutsch-französische Lander MASCOT an Bord von Hayabusa2 wurde vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und gebaut in enger Kooperation mit der französischen Raumfahrtagentur CNES (Centre National d'Études Spatiales). Die wissenschaftlichen Experimente an Bord von MASCOT sind Beiträge des DLR, des Institut d'Astrophysique Spatiale und der Technischen Universität Braunschweig. Betrieb und Steuerung des MASCOT-Landers und seiner Experimente erfolgen durch das DLR mit Unterstützung der CNES und in kontinuierlichem Austausch mit der JAXA.
Das DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen entwickelte federführend zusammen mit CNES den Lander und testete ihn. Das DLR-Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik in Braunschweig war für die stabile Struktur des Landers zuständig. Das DLR Robotik und Mechatronik Zentrum in Oberpfaffenhofen entwickelte den Schwungarm, der MASCOT auf dem Asteroiden hüpfen lässt. Das DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin steuerte die Kamera MASCAM und das Radiometer MARA bei. Überwacht und betrieben wird der Asteroidenlander aus dem MASCOT-Kontrollzentrum im Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) am DLR-Standort Köln.
Kontakt:
Prof. Dr. Ralf Jaumann
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Planetenforschung, Planetengeologie
Tel.: +49 30 67055-400
Fax: +49 30 67055-402
Falk Dambowsky
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Media Relations
Tel.: +49 2203 601-3959
Fax: +49 2203 601-3249
Manuela Braun
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Raumfahrtforschung und -technologie Kommunikation Raumfahrt
Tel.: +49 2203 601-3882