Adlershof – Jobmaschine für Berlin?
Der Boom im Technologiepark kann die Probleme des Berliner Arbeitsmarktes nicht lösen
Adlershofer Unternehmen und Institute sind begehrte Arbeitgeber. Allerdings suchen sie nach hochqualifizierten und spezialisierten Fachkräften, die rar sind. Dazu wird auf allen Kanälen rekrutiert. Die Jobmaschine im Südosten der Hauptstadt läuft auf Hochtouren – die Probleme des Berliner Arbeitsmarktes kann sie aber nicht lösen.
Vor einem Jahr eröffnete das Forschungszentrum des US-Hightechunternehmens Corning in Adlershof. Der Standort wurde mit Bedacht gewählt. „Wir haben uns in Adlershof in der Erwartung angesiedelt, hier hochqualifizierte Fachkräfte zu finden: zum einem angezogen von Berlin als pulsierende Metropole, zum anderen von den technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten am Standort Adlershof, Berlin und der Region“, sagt Torsten Nath, Chef des Forschungszentrums. Die Rechnung ist aufgegangen. Corning konnte hochqualifizierte Mitarbeiter gewinnen, die Personalstärke legte wie geplant zu. Gleichwohl kann es zuweilen Monate dauern, bis, wie Nath sagt, „Weltklasse-Mitarbeiter“ mit mehrjähriger Erfahrung für sehr spezielle Aufgaben gefunden werden. Und bei Konstrukteuren sieht es eher mau aus.
Strukturschwäche im industriearmen Berlin
Der Grund ist die Strukturschwäche im industriearmen Berlin. Am stetig wachsenden Wissenschaftsstandort bekommen das die Unternehmen zu spüren. Die Jobs, die hier entstehen, sind meist sehr spezialisiert und können nicht beliebig mit Quereinsteigern besetzt werden. Was auch heißt, dass für den schwachen Berliner Arbeitsmarkt insgesamt von der pulsierenden Zelle im Südosten nur bedingt Impulse ausgehen können. „Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass Adlershof schon ein gewisser Motor der Hauptstadt in Bezug auf Gewerbeansiedlung, Hightechentwicklung, Bildung und Forschung ist“, bemerkt Rainer Hammerschmidt, Chef der Bestec GmbH. „Im Vergleich zu anderen Berliner Standorten oder größeren Arbeitgebern, sofern es diese noch gibt, nimmt Adlershof eine Ausnahmestellung bei der Bewältigung des Beschäftigungsproblems der Hauptstadt ein.“
Er weiß, wovon er spricht: In den vergangenen fünf Jahren konnte seine Firma ihren Umsatz um rund 30 % steigern. Von insgesamt 24 Mitarbeitern 2008 wuchs die Zahl der Beschäftigten bis 2012 auf 35. In den nächsten drei Jahren möchte Hammerschmidt fünf weitere ingenieurtechnische Mitarbeiter gewinnen. Derzeit baut Bestec in Adlershof eine eigene Firmenzentrale.
Gesamte Klaviatur des Recruitings bespielen
Auch an den Instituten herrscht kein Stillstand. Prof. Günther Tränkle, Direktor des Ferdinand-Braun-Instituts, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH), beabsichtigt, in nächster Zeit 10 bis 20 neue Mitarbeiter einzustellen, um die normale Fluktuation auszugleichen. Zudem hat das FBH, zusätzlich zu den bereits fünf aktiven Ausgründungen, in diesem Jahr drei Spin-offs auf den Weg gebracht. Eines davon hat bereits drei Mitarbeiter eingestellt. „Da wir in einem sehr speziellen Feld, der Höchstfrequenztechnik, aktiv sind, müssen alle Kollegen hochqualifiziert sein, vom technischen bis hin zum wissenschaftlichen Personal“, betont Tränkle. Daher müssen die Adlershofer Arbeitgeber bei der Personalsuche die gesamte Klaviatur des Recruitings bespielen. Neben klassischen Kanälen wie Stellenanzeigen und Ausschreibungen auf eigenen Homepages nutzt das FBH Jobportale wie academics.de, pro-physik.de und monster.de, aber auch Twitter. Tränkle: „Darüber erreichen wir eine gute Verbreitung unserer offenen Stellen.“
Bestec-Chef Hammerschmidt hat diese Erfahrung gemacht: „Die meisten Einstellungen haben wir durch persönliche Vermittlung oder Schaltung eigener Anzeigen realisiert. Externe Personalvermittler schießen meist am Ziel vorbei, wenn es darum geht, die Wünsche der Firma mit den vorhandenen Personalien in Übereinstimmung zu bringen.“
Direkter Draht zu Hochschülern
Ähnlich ergeht es Katharina Keddig, Personalchefin der Fuss-Gruppe: Sie setzt auf zufriedene Mitarbeiter als Multiplikatoren: „Spannende, herausfordernde Projekte und ein gutes Arbeitsklima sind zugkräftig“, sagt sie. Fuss rekrutiert frühzeitig an der Universität und bietet Studierenden Praktika oder die Möglichkeit, im Unternehmen ihre Abschlussarbeit anzufertigen. „Das schafft eine Bindung und man merkt gegenseitig früh, ob man zusammenpasst.“ Es gibt sogar Plätze für Schülerpraktika. Keddig: „Das zahlt sich langfristig aus.“
Den direkten Draht zu Hochschülern sucht auch Corning: „Um uns als attraktiven Arbeitgeber in Deutschland zu positionieren, nehmen wir an Firmenabenden und Hochschulmessen teil, wo wir unsere Geschäftseinheiten und Produkte vorstellen“, berichtet Nath. Rekrutiert wird aktiv, indem soziale Netzwerke wie Xing durchforstet werden. „Zudem gehen wir auch den Weg über Lebenslaufdatenbanken von Jobbörsen und seltener den der klassischen Anzeigenschaltung“, ergänzt Nath. Neben der fachlichen Spezialisierung achtet
Corning auf Soft-Skills – vor allem auf die Fähigkeit, in globalen virtuellen Teams zu arbeiten. Wichtig ist zudem, wie Nath sagt, „die Fähigkeit zur Selbstreflexion, um eigene Ergebnisse und Arbeitsweisen kritisch zu betrachten, ein hohes Maß an Eigenständigkeit, Offenheit und die Bereitschaft, Neues zu lernen“.
Kommunikations- und Teamfähigkeit gefragt
Auch FBH-Direktor Tränkle sucht nach mehr als nur hervorragender Expertise: „Durch unsere abteilungsübergreifende, stark vernetzte Arbeit ist vor allem Kommunikations- und Teamfähigkeit gefragt.“ Schließlich müssten sich die Kollegen eng miteinander abstimmen: „Jedes noch so kleine Missverständnis hat große Auswirkungen auf das Gesamtergebnis.“ Tränkle bedauert, dass die Absolventenzahlen in den Naturwissenschaften seit Jahren vergleichsweise niedrig sind. „Die Konkurrenz um die besten Köpfe ist daher hoch“, sagt er.
Selbst beim ingenieurtechnischen Personal gestaltet sich die Mitarbeitersuche zuweilen knifflig. Bestec-Chef Hammerschmidt sucht beispielsweise nach Fachleuten mit guter Auffassungsgabe, strukturierter Arbeitsweise und fachlicher Fundiertheit. „Klingt normal, ist aber heute nicht so einfach zu finden“, bedauert er. Absolventen des Bachelorstudiums verfügten über zu wenig fundiertes Grundwissen und seien nicht immer in der Lage, Lösungskonzepte zu erarbeiten, technische Probleme abzuschätzen und auszulegen. „Daher wird sich Bestec primär auf diplomierte Ingenieure oder Masterabschlüsse fokussieren“, ist Hammerschmidts Konsequenz.
Von Chris Löwer für Adlershof Journal