Traumhaft: Das "Reaktionsmikroskop" kommt
Adlershofer MBI-Forscher messen mit ultrakurzen Röntgenblitzen Elektronen und Protonen während chemischer Reaktion
Eine chemische Reaktion erzeugt aus einem oder mehreren Ausgangsstoffen neue Substanzen. Auf der Ebene der beteiligten Moleküle ändert sich dabei die räumliche Anordnung von Elektronen und Atomkernen. Während man die Struktur der ursprünglichen und der erzeugten Moleküle häufig gut bestimmen kann, sind die Strukturen und molekularen Bewegungen während der Reaktion meist unbekannt. Ihre Kenntnis ist für ein genaues Verständnis der Reaktion aber unverzichtbar.
Ein Traum ist deshalb das 'Reaktionsmikroskop', mit dem sich Moleküle während einer Reaktion beobachten lassen. Die technologischen Herausforderungen für solch ein ultraschnelles „Kino“ sind in jüngster Zeit erfolgreich gemeistert worden. Forscher am Berliner Max-Born-Institut haben jetzt mit Hilfe von Röntgenimpulsen eine chemische Reaktion in bewegten Bildern auf atomaren Längen- und Zeit-Skalen, also im Bereich von 10‑10 Metern und 10‑13 Sekunden, dargestellt.
Michael Wörner, Flavio Zamponi, Zunaira Ansari, Jens Dreyer, Benjamin Freyer, Mirabelle Premont-Schwarz und Thomas Elsässer berichten in der neuesten Ausgabe des Journal of Chemical Physics [1] über die direkt zeitaufgelöste Beobachtung einer chemischen Reaktion in Ammoniumsulfat-Kristallen [(NH4)2SO4]. Ausgehend von einem Kurzpuls-Lasersystem der neuesten Generation erzeugten sie einen 50 Femtosekunden (1 fs = 10-15 Sekunden) langen blauen Lichtblitz, der die chemische Reaktion auslöste. Nur minimal zeitversetzt schickten sie einen synchronisierten 100 fs langen Röntgenblitz hinterher, mit dem sie mit hoher räumlicher Auflösung das Geschehen abbilden konnten [2]. Der Röntgenimpuls wird dabei an einem Pulver aus kleinen Kristallen gebeugt (sog. Debye-Scherrer-Methode [3]). Aus der Vielzahl gleichzeitig gemessener Beugungssignale konnten die Physiker die momentanen atomaren Abstände im Kristall und die dreidimensionale Verteilung der Elektronen innerhalb des Kristalls rekonstruieren. Durch die Aufnahme von Röntgen-Schnappschüssen zu verschiedenen Zeiten nach dem Auslösen der Reaktion entstand mit Hilfe des Stroboskop-Effekts also ein bewegter Film.
Völlig überraschend beobachteten die Berliner Physiker eine reversible chemische Reaktion, die sich grundsätzlich von den bekannten langsamen, d.h. thermischen Phasenübergängen des Ammoniumsulfats unterscheidet. Der blaue Lichtblitz führt dazu, dass zunächst das Ammonium-Ion (NH4)+ ein Proton, also eine positive Ladung, und das Sulfat-Ion (SO4)- ein Elektron, eine negative Ladung, abgeben. Die freigesetzten Elementarteilchen vereinigen sich dann zu einem Wasserstoff-Atom, welches schließlich zwischen zwei deutlich voneinander entfernten Positionen innerhalb des Kristalls hin und her springt. Diese Bewegung ist in dem beigefügten Film dargestellt. Die Kreise zeigen die ursprüngliche Position der Protonen an. Die roten Flecke zeigen die Bewegung der Wasserstoff-Atome im Anschluss an die chemische Reaktion.
Die hier erstmals demonstrierte Röntgen-Pulverbeugung im Femtosekunden-Zeitbereich lässt sich auf viele weitere Systeme anwenden, etwa um die Eigenschaften molekularer Magnete aufzuklären oder die Elektronenbewegungen in (bio)molekularen Lichtempfängern zu verfolgen, die in Solarzellen eingesetzt werden.
Kontakt:
Dr. Michael Wörner
Tel. 030-6392-1470
Email: woerner(at)mbi-berlin.de)
Prof. Thomas Elsässer
Tel. 030-6392-1400
Email: elsasser(at)mbi-berlin.de)
Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie