Photonen lösen Kunsträtsel
Mit exquisiten Objekten zu arbeiten, daran ist Martin Radtke gewöhnt. Der 47-jährige Physiker arbeitet an der BAM – Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Adlershof und untersucht historische Kunstschätze mit energiereichen Röntgenstrahlen. Erzeugt werden diese am benachbarten Synchrotron-Speicherring BESSY II. Die zerstörungsfreie Methode entlockte etwa dem von Wikingern hergestellten Hiddenseer Goldschmuck, der berühmten Himmelsscheibe von Nebra oder dem Berliner Goldhut schon manches Geheimnis.
Auch in Albrecht Dürers Silberstiftzeichnungen, 1520 bis 1521 auf einer Reise durch die Niederlande angefertigt, drangen die scharf gebündelten Synchrotronstrahlen ein.
Dabei wird Fluoreszenzstrahlung freigesetzt, die für die jeweiligen Atome typisch ist. So lassen sich etwa Gold, Silber oder Zinn unterscheiden. Die Intensität der Strahlung gibt den Gehalt der Elemente an. Die chemische Zusammensetzung einer Probe kann also zerstörungsfrei festgestellt werden.
Damit lässt sich auch auf Art und Ort der Herstellung schließen. „Archäometrie“, die Untersuchung von Kunst und Kulturgütern mit naturwissenschaftlichen Methoden, kann zudem zur Bestimmung des Alters beitragen oder untersuchen, ob und wie die oft jahrhundertelange Lagerung die Fundstücke verändert hat. Zudem soll die Forschung dazu beitragen, die wertvollen Kulturgüter in Zukunft unbeschädigt zu erhalten. Das alles geht nur mit interdisziplinärer Kooperation. Die wird in Berlin beispielsweise zwischen der von Oliver Hahn geleiteten BAM-Arbeitsgruppe „Kunst- und Kulturgutanalyse“, der auch Radtke teilweise angehört, und Barbara Niemeyer, Restauratorin am Alten Museum, praktiziert.
Ein Beispiel ist die Untersuchung des Hildesheimer Silberfundes. Dieses 1868 entdeckte römische Tafelsilber aus der Zeit des Kaisers Augustus ist heute in der Antikensammlung im Alten Museum zu sehen. Neben teilweise verzierten und vergoldeten Tellern, Karaffen, Näpfen und Bechern beeindrucken die Athena-Schale, ein Beistelltisch und ein voluminöses Gefäß zum Mischen von Wein und Wasser. „Wir untersuchten die Methode der Vergoldung“, sagt Radtke. Haben die antiken Kunsthandwerker die Objekte mit einer Paste aus Quecksilber und Gold gestrichen und dann erhitzt, bis das meiste Quecksilber verdampft war und ein feiner Goldüberzug zurückblieb? Bei dieser Technik der Feuervergoldung wären Reste an Quecksilber nachweisbar. Etwa 15 Stücke des Hildesheimer Silbers wurden im Synchrotron bestrahlt, um ihren „chemischen Fingerabdruck“ abzugeben. Dabei zeigte sich, dass die Athena-Schale nicht feuervergoldet worden war. Lediglich in zwei Griffen waren bedeutende Mengen an Quecksilber nachweisbar.
Auch bei der ebenfalls bronzezeitlichen Himmelsscheibe von Nebra entschlüsselten Synchrotronstrahlen den Goldgehalt. Die 1999 entdeckte Bronzeplatte trägt Applikationen aus Goldblech, die offenbar astronomische Phänomene und Symbole religiöser Themenkreise darstellen. Die Adlershofer Forscher fanden heraus, dass die Scheibe in Phasen hergestellt wurde. Zudem legte der Gehalt an Silber, Kupfer und Zinn nahe, dass das Gold aus Rumänien stammen könnte. Neuere Ergebnisse deuten eher auf Cornwall als Herkunftsort. „Wir können meist nur Hypothesen ausschließen, selten deren Richtigkeit beweisen“, betont Radtke.
Bei der weiteren Suche könnte eine vom IfG (Institute for Scientific Instruments GmbH) entwickelte Röntgenfarbkamera helfen. Diese erfasst die in einer Probe enthaltenen Elemente mit nur einer Aufnahme und stellt deren quantitative Verteilung farblich dar. Geheimnisse, die in historischen Kunstschätzen jahrhundertelang schlummerten, dürften so noch schneller ans Licht kommen.
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