Ohne Chemie keine Zukunft
Von Prof. Dr. Michael Dröscher, Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker.
Alle Menschen wollen in sauberer Luft leben können, sauberes Wasser, gesunde Lebensmittel, verlässliche Medikamente sowie umweltfreundliche Produkte zur Verfügung haben. Die Werkstoffe und die Energiegewinnung sollen nachhaltiger werden. Dafür ist die Problemlösungskompetenz der Chemie mehr denn je gefordert. Ob Werkstoffe für Windmühlenflügel, neue Materialien für die Photovoltaik oder leistungsfähige Batterien für die Elektromobilität – die Chemie trägt entscheidend dazu bei, neue Energiequellen zu erschließen. Nur mit neuen Werkstoffen können die dazu notwendigen leichten Fahrzeuge gebaut werden. Und damit auch nachts oder bei Flaute Strom fließen kann, muss die Energie zwischengespeichert werden. Auch das geht nicht ohne Chemie. Den größten Beitrag zum Energiesparen leisten heute schon die Dämmstoffe, aber auch hier ist noch ein großes Potenzial zu heben.
Denken wir an die Ernährung. Um die wachsende Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, sind Dünge- oder Pflanzenschutzmittel nötig. Auch die neuen, verbesserten Arzneimittel, insbesondere für die personalisierte Medizin, die wir uns zukünftig erhoffen, sind ohne Chemie nicht denkbar. Wasser, über das wir uns in unseren Breiten nur wenig Gedanken machen, es sei denn, es regnet zu wenig oder zu viel, könnten die meisten Menschen auf der Welt ohne chemische Aufbereitung nicht trinken oder verwenden. Brauchwasser für die Landwirtschaft wird in vielen Teilen der Welt immer knapper und gewinnt zunehmend geopolitisch an Bedeutung. Das Thema Wasser ist uns so wichtig, dass die IUPAC, die International Union of Pure and Applied Chemistry, dazu ein globales Experiment gestartet hat, an dem sich weltweit junge Menschen beteiligen. Schließlich sorgen chemische Verfahren in der Abluftreinigung dafür, dass wir trotz einer hohen Industrialisierung saubere Luft atmen können.
Wir Chemiker tragen auch direkt dazu bei, unsere Wirtschaft nachhaltiger zu machen. Hier sind die Prinzipien der „Green Chemistry“ zu nennen, wozu unter anderem atomeffizientere und energiesparende Verfahren sowie neue katalytische Prozesse zählen. Auch Produkte aus nachhaltigen Rohstoffen werden mit chemischen Verfahren hergestellt. Selbst CO2, das früher vielleicht im Gärkeller des Winzers eine Gefahr darstellte und heute wegen der großen anthropogenen Stoffströme den Klimawandel treibt, kann als Baustein in chemischen Synthesen in den Kreislauf zurückgeführt werden.
Wissen das die Menschen? Oder sehen sie eher die Gefahren der chemischen Produkte mit den komplizierten Namen auf der Verpackung ihrer Lebensmittel? Sind sie geprägt von den furchtbaren Chemieunfällen der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts oder von den Bildern der Verpackungskunststoffe, die im Pazifik schwimmen und Fische, Vögel und Schildkröten bedrohen? Fürchten sie sich vor Nanopartikeln in der Spraydose oder vor den „Genen im Essen“? Diese Reihe von Chemiephobien könnte ich noch weiter fortsetzen. Uns Chemikern ist bewusst, dass der Bildschirm des Laptops, auf dem ich diese Zeilen schreibe, nur dank der Flüssigkristalle und der vielen Folien funktioniert. Sind die Vorteile der Chemie genauso erfahrbar wie die Risiken wahrgenommen werden?
Ich denke, sicher nein. Hier liegt noch eine gewaltige Kommunikationsaufgabe vor uns. Das beginnt damit, Vertrauen zu gewinnen: Vertrauen in unser Wissen und Können, in unsere Einsicht in die Risiken, die mit unserem Tun immer verknüpft sind. Aber auch Vertrauen darin, dass wir den Nutzen im Verhältnis zum Risiko richtig bewerten und damit auch neue Wege gehen. Dieses Vertrauen können wir nur im öffentlichen Diskurs gewinnen. Den müssen wir aktiv führen, denn Kommunikation ist eine Bringschuld. Wir dürfen uns nicht auf unsere guten Produkte verlassen, sondern wir müssen den Menschen auch immer wieder davon berichten. Dies ist die wesentliche Botschaft im Internationalen Jahr der Chemie.
Kontakt:
Prof. Dr. Michael Dröscher
Evonik Degussa GmbH
Rellinghauser Str. 1-11
45128 Essen
E-Mail: michael.droescher(at)evonik.com