In Adlershof stimmt die Chemie
Viele Jobs und gute Ausbildung für den Nachwuchs
Industrie und Forschung klagen über mangelnden Chemiker-Nachwuchs. Es heißt, das Fach leide unter Imageproblemen. Nicht so in Adlershof: Von mangelndem Interesse an dem Studium kann hier keine Rede sein. Und: Der Nachwuchs muss nicht das Weite suchen, um Karriere zu machen, denn etliche attraktive Adlershofer Arbeitgeber locken.
Es ist Donnerstag, 17 Uhr, die warme Frühlingssonne scheint, Draußenwetter – ein guter Zeitpunkt für die Jugendlichen, anderthalb Stunden lang etwas über die „Katalyse und Analyse in der Chemie“ zu lernen. Denn so heißt die Vorlesung von Professor Klaus Rademann vom Institut für Chemie der Humboldt-Universität (HU), die er vor Schülern hält. Der Marie-Curie-Hörsaal ist mit 80 Pennälern gut gefüllt – und das ist immer so, wenn die Chemische Schülergesellschaft Berlin zu einer Vorlesung einlädt.
Schüler würden gern mehr experimentieren
Was ist hier los? Eigentlich müsste im Hörsaal gähnende Leere herrschen, das würde zum allgemeinen Wehklagen über mangelnde Nachwuchswissenschaftler passen. „Was mit Medien“ wollen viele machen – sich aber mit Redoxreaktionen herumschlagen? „Schüler sind meiner Meinung nach sehr interessiert an chemischen Sachverhalten und würden gerne mehr experimentieren“, sagt Rademann. Seit zehn Jahren gibt es die Vorlesungen und Praktika – für viele öffneten sie die Tür zu einem Chemiestudium an der HU oder gar für eine wissenschaftliche Karriere in Adlershof.
So wie für Robert Fenger, Sprecher des JungChemikerForums Berlin, der selbst gerade an der HU in Chemie promoviert. „Wir wollen für das Fach begeistern und eine Brücke schlagen zwischen Schule, Hochschule und Beruf“, erläutert er das Ziel des Forums. Das gelingt unter anderem mit Vorträgen von herausragenden Chemikern rund um das Berufsbild. Manchem jungen Zuhörer wird dabei erst klar, dass es sich bei dem Fach nicht um einen komplizierten Zeitvertreib im Elfenbeinturm dreht. „Ohne Chemie funktioniert unser Alltag nicht“, ist Fengers zentrale Botschaft.
Für Studierende ist der Standort besonders attraktiv
Jedenfalls scheint sich die Mühe zu lohnen „Wir bekommen unsere Studienplätze jedes Jahr fast vollständig ausgebucht, was in der Chemie beziehungsweise in den Naturwissenschaften nicht so selbstverständlich ist“, berichtet Horst Hennig, Studienfachberater am Fachbereich Chemie der HU. Noch erfreulicher: „Bei den Studierenden plus Promovenden steigen die Zahlen richtig an.“ Insgesamt waren das im abgelaufenen Jahr 643 – vor zehn Jahren wurden gerade mal 299 gezählt. Vor allem in der Analytischen Chemie wird Adlershof zu einem Kristallisationspunkt, nachdem das Fachgebiet an keiner anderen Berliner Hochschule und nur noch an wenigen anderen bundesweit gelehrt wird.
Für die Studierenden ist der Standort noch aus anderen Gründen besonders attraktiv, betont Fenger: „Alles, was man braucht, findet sich hier.“ Etliche Forschungsinstitute und vor allem die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), die eng mit der Uni verzahnt ist, seien für Praktika und die weitere Karriere von unschätzbarem Vorteil.
Ein Treiber dieser Verbindung ist Ulrich Panne, der die Abteilung für Analytische Chemie an der BAM leitet und zugleich an der HU lehrt. Seine rund 200 Mitarbeiter arbeiten in der Forschung über neue Analyse- und Prüftechniken eng mit der Universität zusammen. Mehr noch: Professor Panne möchte mit der Industrie, der HU und anderen außeruniversitären Partnern einen Verbund schmieden. Sein Ziel: Adlershof soll zur „Analytic City“ ausgebaut werden, einem herausragenden Kompetenzzentrum für die Analytische Chemie. „Dieses Zentrum wird aufgrund seiner Leistungsfähigkeit in Deutschland und Europa einzigartig sein“, ist Klaus Rademann schon jetzt überzeugt.
Viel Entwicklungspotential für die nächsten Jahre
Letztlich bleibt Adlershof damit einer langen Tradition treu – denn zu Zeiten der Akademie der Wissenschaften der DDR wurde hier in der Chemie Spitzenforschung betrieben. Davon berichtet Bernhard Lücke, der heute wieder mit ähnlichen Fragestellungen wie damals zu tun hat: Etwa damit, wie sich auf der Suche nach neuen Energiequellen Methanol aus Braunkohle gewinnen lässt? Der Weg dahin führt über die Katalyse, Lückes Spezialgebiet, auf dem er als Koryphäe gilt.
Der Chemieprofessor war seit 1992 der Kopf des Zentrums für Heterogene Katalyse, aus dem später das Institut für Angewandte Chemie Berlin-Adlershof (ACA) hervorging. „Das wurde nach langem Hin und Her letztlich aus Spargründen dichtgemacht“, bedauert Lücke. Heute ist das ACA Teil des Leibniz-Instituts für Katalyse (LIKAT) an der Universität Rostock. Lücke ist Vorstandsmitglied und hält eisern die Stellung in Adlershof: „Mit dem Berlin-Büro möchte ich die gute Verbindung zu den Instituten hier aufrechterhalten“, sagt er und ergänzt: „Klar, bin ich ein wenig traurig darüber, dass von den alten Chemie-Instituten so wenige übrig geblieben sind, doch dafür gedeihen neue an dem Standort.“
Potenzielle Arbeitgeber finden sich in und rund um die Wissenschaftsstadt jedenfalls genug. Unter anderem auch bei der Firma ASCA GmbH (Angewandte Synthesechemie Adlershof). ASCA geht übrigens aus einer Verbindung hervor, die noch aus der Zeit der Akademie der Wissenschaften der DDR herrührt: Die Firmengründer Professor Hans Schick und Christine Wedler hatten bereits im ehemaligen Zentralinstitut für Organische Chemie der Akademie zusammengearbeitet, in dem unter der Leitung von Hans Schick seit vielen Jahren sowohl angewandte als auch Grundlagenforschung auf dem Gebiet der organischen Synthesechemie betrieben wurde. Heute profitieren davon vor allem forschende Pharmaunternehmen. Ein solches, die Berlin-Chemie AG, lockt vor den Toren der Wissenschaftsstadt als weiterer attraktiver Arbeitgeber. Klaus Rademann erwartet jedenfalls, dass die besten Jahre für den Chemie-Standort Adlershof noch kommen: „Ich sehe ein großes Entwicklungspotenzial in den nächsten fünf bis zehn Jahren.“
von Chris Löwer
Links:
www.chemie.hu-berlin.de
www.bam.de
www.berlin-chemie.de
www.catalysis.de