Lernen von den Mönchen: Die Kantine im Wandel der Zeit
Essay von Malte Welding, Autor, Kolumnist und Blogger u. a. für Berliner Zeitung, FAZ und taz
Asterix, der sinnenfrohe Gallier, wies beim Anblick des Essens, das römische Legionäre zu sich nehmen – ich glaube, es handelte sich um Blutsuppe –, darauf hin, dass die Kampfmoral einer Armee antiproportional zu der Qualität ihrer Ernährung sei; ein durch sein Essen in schlechte Laune versetzter Soldat sollte nach Kenntnisstand der antiken Militärforschung gerade dadurch zu einem ausgezeichneten Kämpfer werden. Waren Sie schon einmal so enttäuscht von Ihrem Essen, dass Sie jemandem Ihr Pilum in sein Sternum bohren wollten? Dann verstehen Sie Julius Cäsars Strategie.
In Dougland Couplands Roman „Microsklaven“ konsumieren die Hauptfiguren nur Essen, das flach genug ist, dass man es ihnen während endloser Codingsessions, in denen sie von ihrer Umwelt möglichst nichts mitbekommen wollen, unter der Tür durchschieben kann. Microsoft in den Neunzigerjahren muss man sich also als eine Art Pizza Hut mit Computern vorstellen.
„Tempora mutantur.“ („Die Zeiten ändern sich.“) Aber wie. Längst macht man sich im Silicon Valley mehr Gedanken über Essen als in der Toskana. Nachhaltig soll es sein, also natürlich Bio, gesund soll es sein, die Lebenserwartung erhöhen und das Gehirn auf Hochtouren bringen. Und wenn es geht ausdruckbar. Food-Printer wie der BotBQ Extruder oder Octoprint zaubern Essen auf den Tisch, dass selbst der namensgebende Tisch aus „Tischlein deck dich“ vor Neid ein Bein verlieren würde.
Facebook bietet seinen Angestellten elf verschiedene Küchen oder wie der Bundestrainer sagen würde „Essensphilosphien“. Asiatisch, italienisch, molekular, subkutan – Hauptsache, die teuren Angestellten sind jederzeit glücklich und also satt. Das Essen ist selbstverständlich umsonst, hat dafür aber auch kaum Kalorien. Die gesündesten Produkte sind in den Auslagen immer auf Augenhöhe präsentiert, im Grunde handelt es sich um eine Anti-Quengel-Kasse.
Google achtet auf eine Balance zwischen „Was ist gut für dich“ und „Was isst du gern“. Ein schwieriges Problem: Mein Arzt beispielsweise wünscht sich für mich völlig andere Nahrung als mein Bauch. Meine Balance sieht so aus: Ich stelle meinen Körper der Medizinwissenschaft zur Verfügung. Sollte es mir trotz meiner völlig unmodernen Ernährung gelingen, 80 Jahre alt zu werden, dürfte bei der Erforschung meiner inneren Organe ein Nobelpreis winken. (Der hoffentlich innendrin Schokolade enthält.)
Eine andere Art von Balance macht dem arbeitenden Menschen zu schaffen. Wie jeder, der einmal in einem Büro gesessen hat, bestätigen kann: Voller Bauch studiert nicht gern. Leerer aber auch nicht. Dan Lyons, einer der Autoren der Fernsehserie „Silicon Valley“, berichtet in seinem Buch „Disrupted“ von einer Lösung dieses Problems: Das Onlinemarketing-Unternehmen Hubspot hat eine riesige Candywall installiert. Dort können die im Schnitt blutjungen Hubspotter sich jederzeit vor Unterzuckerung bewahren. Darüber hinaus geht Hubspot das Ernährungsproblem noch von einer anderen Seite an: Es gibt kästenweise Bier.
Und es stimmt ja! Von wem könnte man in der heutigen Wissensgesellschaft mehr lernen als von den Mönchen des Mittelalters? Die haben das gesamte Wissen ihrer Zeit gesammelt in einem Zustand, den man heute als „nicht mehr verkehrstüchtig“ bezeichnen würde.
Niemand will heute noch seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen hinquälen, wie es die alten Römer getan haben. Der Trend geht zur „Kevin – Allein zu Haus“-Mottoparty. Bier, Lollis und zur Wiederherstellung des guten Gewissens Biomöhrchen frei Haus. Je jünger das gewünschte Mitarbeiterprofil, desto mehr kann man den Akzent Richtung Flüssignahrung schieben. Haupt sache, wir kommen nicht wieder bei der Blutsuppe an.