Ungeschriebene Bürogesetze
Was Sie schon immer über Bürojobs wissen wollten, aber nie zu fragen wagten
Sie verfügen über ein Topexamen, können Praktika an renommierten Institutionen vorweisen und haben womöglich sogar einen Doktortitel? Sie sprechen weltmännisch vom „Emm Ei Tih“, wenn Sie die Forschungsbude bei Boston meinen und wissen, dass ein „Teilchenbeschleuniger“ die Wartezeit beim Bäcker nicht wesentlich verkürzt? Herzlichen Glückwunsch, das ist ganz fabelhaft!
Ein klitzekleines bisschen weniger fabelhaft ist, dass Ihre fachliche Exzellenz im Job viel weniger hilft als gedacht. Denn Büro ist anders. Was Sie bis hierher gebracht hat, wird Sie nicht weiterbringen. Sicher, Sie könnten damit gut leben und irgendwann eine Art menschlicher Topfpflanze sein, die unbeachtet in der Ecke steht und darauf wartet, dass sie endlich jemand gießt beziehungsweise befördert. Aber wer brillieren will, muss neue Regeln lernen.
Als Erstes der Sound. Wirtschaft ist global, Wissenschaft schon lange, und dass all Ihre Kollegen Deutsch sprechen, ist exakt Ihre Chance, sich zu profilieren. Vergessen Sie also Mittagessen, Unterstützung und Ergebnisse und switchen Sie zu Lunch, Commitment und Results. Hat ein jüngerer Kollege eine Frage, leiten Sie Ihre Antwort stets ein mit „Das ist nun wirklich keine Rocket-Science!“. Das Wichtigste: Setzen Sie sich als Game-Changer in Szene und lehnen Sie sämtliche Routinearbeiten ab mit dem Hinweis, dass Sie dafür leider zu tight gescheduled seien. Na, merken Sie schon, wie die neue Sprache Ihr Mindset verändert?
Als nächstes die Benefits. Sobald Sie die ersten Quick Wins verbuchen können, ist der Zeitpunkt gekommen, über Dienstwagen & Co. zu sprechen. Lassen Sie sich nicht irritieren von Schauermärchen, in denen Mitarbeiter die Probezeit nicht überstehen, weil sie einen Porsche 911 verlangten und sich eine Dreiviertelstunde über die gewünschten Extras ausließen! Auch ein schmucker Titel muss her, ein Einzelbüro und selbstverständlich ein Vorzimmer. Dass man hier sehr großen Wert auf flache Hierarchien lege, wird Ihr Vorgesetzter dann zu letzterem Punkt verschnupft anmerken, aber das ist natürlich eine Finte. Denn Hand aufs Herz: Ist er jetzt Ihr Vorgesetzter oder nicht?
A propos Finte: Der dritte und wichtigste Punkt ist natürlich die interne Politik. Studien zeigen, dass Angestellte in großen Organisationen den kleineren Teil ihrer Arbeitszeit mit Arbeit im engeren Sinne des Wortes verbringen. Den Rest brauchen sie, um sich der lieben Kollegen zu erwehren, Intrigen zu spinnen und Ränke zu schmieden. Und das geht so: Ignorieren Sie fachliche Einwände in Meetings – beklagen Sie sich aber später im Fahrstuhl beim Chef über den Meyer, diese Niete. Reißen Sie prestigeträchtige Projekte an sich, aber überlassen Sie die Arbeit anderen: Niemand erwartet schließlich, dass sich ein Mann in Ihrer Position mit inhaltlichem Klein-Klein aufhält.
Ach so, das ist Ihnen zu aufwendig oder auch zu ethisch verwerflich und überhaupt ist morgen erst Ihr erster Tag? Nun, es gibt auch ein Basisprogramm, mit dem sich gleich zu Beginn das Territorium markieren lässt. Stellen Sie Ihre eigene Tasse mit Schriftzug („Meine! Finger weg!“) in die Kaffeeküche, verschanzen Sie sich hinter einem Wall aus Topfpflanzen und pflastern Sie Monitor und Regale mit lustigen Aufklebern („Ich bin auf der Arbeit, nicht auf der Flucht“).
Das ist immerhin ein Anfang. Und wer weiß: Wenn Sie die drei Punkte erst mal abgearbeitet haben, können Sie vielleicht wirklich das anwenden, wofür Sie qua Examen qualifiziert sind. So in fünf oder zehn Jahren.
Klaus Werle, Jahrgang 1973, ist Redakteur beim „manager magazin“, Kolumnist bei „Spiegel Online“ und Autor. Im Oktober erscheint sein Buch „Ziemlich beste Feinde“ über die lieben Kollegen und anderen Ärger im Büro.