Immer schön flexibel bleiben
So gelingen Arbeiten auf Distanz und der Umgang mit ständig wechselnden Anforderungen
Die Coronapandemie hat die Arbeitswelt erheblich verändert. Arbeiten auf Distanz und digitale Termine sind selbstverständlich geworden – und ein Gewinn, wie zwei Firmen aus Adlershof zeigen.
Die Fähigkeit, sich anzupassen, kann überlebenswichtig sein. Dieser Lehrsatz ist in Biologie- wie Managementbüchern nachzulesen, doch erschien oft abstrakt. Mit der Covid-19-Pandemie änderte sich das: Wirklich jeder und jede musste Gewohnheiten aufgeben, sich und den eigenen (Arbeits-)Alltag völlig neu organisieren, damit es weiterging. Mehr als ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland arbeitete zeitweise aus dem Homeoffice. Nicht immer war das ein abschließbares Arbeitszimmer, sondern oft ein freigeräumter Tisch irgendwo in der Wohnung, wo versucht wurde, die Anforderungen im Beruflichen und Privaten zu erfüllen. Die Improvisation ist der Routine gewichen – und der Erkenntnis, dass einige Umstellungen und Flexibilitäten vorteilhaft sind. Dies zeigen zwei Beispiele von Firmen aus Adlershof.
Beim Unternehmen Sapiram, das Learning-Management-Systeme bereitstellt und digitale Lernprogramme, unter anderem für die politische Bildung und die Energiewende entwickelt, wurde bereits seit der Gründung vor zehn Jahren viel auf Distanz und mobil gearbeitet, erzählt Firmeninhaber Carl Lauer. „Wir kooperieren mit unabhängigen Mitarbeitenden aus Ländern wie Belgien, Ukraine und Italien.“ Da sei es nur logisch, von verschiedenen Orten aus zusammenzuarbeiten und sich beispielsweise per Videocall zu treffen und die Projekte zu besprechen. Lediglich Kundenkontakte waren häufig noch persönlich. „Infolge der Pandemie ist die Akzeptanz für Distanzarbeit deutlich größer geworden“, sagt Lauer.
So wurde seine Vision wahr, mehr internationale Projekte anzugehen. Mittlerweile hat Carl Lauer seinen Hauptarbeitsplatz dauerhaft in die Abruzzen in Italien verlegt. „Das Meer, die Berge und potenzielle Kunden sind nicht weit“, sagt er. Den Standort Adlershof werde er dennoch behalten. Damit das ortsunabhängige Arbeiten gelingt, sei es umso wichtiger, dass alle Beteiligten gut miteinander kommunizieren, um Missverständnisse zu vermeiden und eigene Beiträge effektiv einzubringen. „Ich möchte ein gutes Beispiel geben, damit sich dadurch eine auf Vertrauen basierende kooperative Arbeitsweise entwickeln kann.“
Es geht Carl Lauer aber auch um soziale Verbesserungen, die durch Digitalisierung und effektive Distanzarbeit möglich geworden sind: Im italienischen Dorf, in das er umgezogen ist, hofft er, durch seine innovativen beruflichen und gemeinnützigen Aktivitäten neue qualifiziertere Arbeitsplätze zu schaffen.
Vertrauen ist auch für Bernd Haase maßgeblich, um den Wandel in seiner Firma Biotechrabbit zu gestalten – gegenüber seinen 45 Mitarbeitenden und umgekehrt. Das Unternehmen stellt Proteine und vollständige PCR-Formulierungen her, die unter anderem für Covid-19-Tests benötigt werden. „Wir gehörten zu den ersten, die vor zwei Jahren nach Wuhan geliefert haben“, sagt Haase. Es war der Beginn einer extremen Zeit: hohe Nachfrage, gesteigerte Produktion, völlig andere Akquise. „Ich musste nicht mehr zu potenziellen Kunden reisen, die kamen oft von selbst auf uns zu.“ Bis heute finden viele Geschäftstermine digital statt. „In unserer Branche ist das wohl eher akzeptiert als in anderen“, fügt er hinzu.
Homeoffice war bei Biotechrabbit schwer möglich, hochreine Proteine werden nicht am Küchentisch hergestellt, dafür müssen die Fachleute ins Labor. Von Beginn an wurden Mitarbeitende konsequent getestet, Arbeitsabläufe kontaktarm organisiert. Die Beschäftigten erhielten Abstandsrekorder, die im Ernstfall zeigen würden, ob sie einem Corona-Positiven in den vergangenen Tagen nahegekommen waren.
„Unser Team hat einen wahnsinnig guten Job gemacht und tut das bis heute“, sagt Haase. Der Firmenchef honoriert das mit Sonderzahlungen und schafft ein inspirierendes Umfeld, um seine Mitarbeiter:innen zu halten und zu motivieren: Auf fachlicher Ebene sind das moderne Labortechnik und Robotik, auf personeller sind es Vertrauensarbeitszeit und Teambudgets, mit denen die Gruppen eigenständig ihr Miteinander angenehmer machen. „Um mit ständig wechselnden Anforderungen zurechtzukommen, braucht es Flexibilität“, ist auch Haase überzeugt. Nach seinen jahrelangen Erfahrungen, auch durch die Arbeit für US-amerikanische Firmen, darunter im Silicon Valley, sieht er Deutschland übrigens besser aufgestellt, als es das Klischee nahelegt. „Die Menschen hier brauchen manchmal länger, um das Gute in einer Veränderung zu sehen“, sagt er. „Aber wenn sie es erkannt haben, gehen sie umso entschlossener los und machen etwas draus.“
Von Ralf Nestler für Adlershof Journal