Wie nah ist das Paradies?
Das bestimmen wir selbst
Beflügeln schöne Erinnerungen wirklich? Sind ständig Unpünktliche glücklicher? Und ist ein Alexander selbstbewusster als ein Kevin? Mit solchen Fragen wollen Psychologen der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) unserem Selbstwertgefühl auf die Schliche kommen.
Der Weg zum Paradies führt für Jochen Gebauer über Adlershof. Grund sei die Forschungsfreiheit, die der Persönlichkeitsexperte, der seit vergangenem Herbst am Institut für Psychologie arbeitet, hier genießt. Gebauer untersucht den Einfluss gefühlter zeitlicher und räumlicher Distanzen auf unser Ich. Vor drei Jahren zeigte er bereits in seinen Studien: „Positives fühlt sich näher an als Negatives.“ Mit der Konsequenz: Bin ich in positiver Stimmung, ist es egal, ob ich an etwas Schönes oder Trauriges in der Vergangenheit zurückdenke, hinterher geht es mir besser. Nicht so im Umkehrschluss: Der gut gemeinte Ratschlag, „an etwas Schönes zurückzudenken“, wenn jemand ein Tief hat, ist sogar schädlich, warnt Gebauer. Verschiedene Internetstudien des Psychologen lassen den Schluss zu: Auch die Erinnerung an schöne Ereignisse fühlt sich für die Probanden in negativer Stimmung ewig weit weg an. Ihnen ging es danach noch schlechter. Eine Erkenntnis, die in die Betreuung von Personengruppen, die alt, krank oder depressiv sind, einfließen sollte.
Wie weit entfernt ist das Paradies?
Jetzt ergründen Gebauer und sein Team die Psychologie in der geografischen Dimension. Das interessierte auch die Besucher der „Langen Nacht der Wissenschaften“ Ende Mai, die auf Gebauers Antwort auf die Frage nach der Entfernung zum Paradies gespannt waren. Gebauer bediente sich eines 2010 mit 117 Studierenden durchgeführten Experiments nach der vermuteten Distanz von 14 ausgewählten Berliner Orten. Zu den Orten mit positivem Image gehörten der Bergmannkiez und die Hackeschen Höfe. Die Marzahner Plattenbauten, die Rütli-Schule und die Justizvollzugsanstalt Tegel standen auf der Negativimageseite.
Auch hier die allgemeine Erkenntnis: Positiv besetzte Orte sind gefühlt näher dran, negativ besetzte Orte weiter weg, so die Empfindung der Positivdenker. Die sich daraus ergebende These „Leute, die glücklich sind, kommen ständig zu spät“ ist allerdings noch nicht bewiesen, schmunzelt Gebauer. Aber vielleicht könnte diese Erkenntnis Arbeitgeber in Zukunft etwas milder stimmen? Die Probanden in negativer Gemütslage wähnten hingegen positive Orte weiter weg und negative etwas näher dran. Und wie weit weg ist nun das Paradies? Gebauers Studien zeigen, dass die Antwort für Frohnaturen anders ausfällt als für traurige Menschen: Während für Erstere das Paradies gefühlt „um die Ecke liegt“, ist es für traurige Menschen „unendlich weit weg“.
Mangelndes Selbstwertgefühl ist im Namen schon vorprogrammiert
Momentan beschäftigt sich der geborene Schwabe Gebauer mit dem Länderverhalten seiner Probanden. Diese Forschungen könnten zum Beispiel Erklärungsansätze über die Spendenbereitschaft bei Naturkatastrophen liefern.
Und aufmerken sollten werdende Eltern bei einer weiteren Studie Gebauers, die in den Bereich des sogenannten Kevinismus- Phänomens fällt. Eine Datenauswertung der Partnervermittlungsbörse eDarling ergab: Bewerber mit dem zeitlosen Vornamen Alexander bekommen doppelt so viele Klicks auf ihr Profil wie Kevins. Nichtklicks sind auch eine Form sozialer Ausgrenzung. Ein weiterer Beweis: Der Effekt zum mangelnden Selbstwertgefühl der Kevins ist mit dem Namen schon programmiert.
von Sylvia Nitschke
Kontakt:
Humboldt Universität Berlin
Institut für Psychologie
Jochen Gebauer
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E-Mail: Jochen.gebauer(at)hu-berlin.de