Warum Forscher Solarzellen röntgen
Der Elektronenspeicherring BESSY II hilft bei der Energiewende mit
Im Labor „EMIL“ der Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH erkunden Forscher Bauteile für die Energiewende. Eine Gruppe lässt Röntgenstrahlung auf Materialgrenzflächen los, um Strukturen besser zu verstehen und Hinweise für Verbesserungen zu geben.
Durch ein Fenster des Besprechungsraums blicken wir auf metallene Rohre und glänzende Gebilde in der Form von Zylindern und Halbkugeln. Wir sind in einem Hightech-Labor: Aus dem Elektronenspeicherring BESSY II des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie (HZB) in Adlershof wird durch vier Rohre Strahlung in das Labor geleitet. Ihr Spektrum reicht vom weichen bis in den harten Röntgenbereich. Die HZB-Mitarbeiter des 2016 eröffneten „Energy Materials In-Situ Laboratory Berlin“ (EMIL) untersuchen mit dieser Röntgenstrahlung die chemische und elektronische Struktur von Materialien, die für die Energiewende wichtig sind, zum Beispiel solche für Solarzellen.
Professor Marcus Bär ist ein sportlicher Forscher, der häufig mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Er leitet die Nachwuchsgruppe „Grenzflächendesign“. Solarzellen bestehen wie die meisten modernen elektronischen Bauelemente aus vielen, extrem dünnen Materialschichten, erklärt er. „Sie erfüllen verschiedene Funktionen und haben daher verschiedene chemische und elektronische Eigenschaften.“ Besonders heikel sind die Grenzflächen der Materialschichten: Dort können unerwünschte Diffusionsprozesse und elektronische Barrieren auftreten.
Um die Struktur der Materialien und Grenzflächen zu ermitteln, lässt Bärs Team weiche – ab Ende dieses Jahres auch harte – Röntgenstrahlung darauf los. Herauskommen Photonen oder Elektronen, die detektiert werden. Diese „röntgenspektroskopische“ Untersuchung verrät dem Team, was in den Schichtstapeln wirklich los ist.
Bär hat Elektrotechnik studiert. Nach der Promotion an der Technischen Universität Berlin ging er 2005 in die USA, an die University of Nevada, Las Vegas. Schon dort hat er Solarzellen mithilfe von Synchrotronstrahlung untersucht. Wären die Bedingungen am HZB für seine Art Forschung nicht so einzigartig gut, wäre er immer noch drüben – oder schon wieder weg, meint Bär. EMIL hat quasi ein Dauerabonnement für hochbrilliante Röntgenstrahlung von BESSY II und ist darüber hinaus bei den Instrumenten optimal aufgestellt. „Das gilt auch für die Synthese von Materialien“, so Bär.
Angestoßen werden Forschungsprojekte nicht von Bärs Gruppe allein, sondern zusammen mit Partnern, die Fragen zu Materialien haben. Das sind bei den Solarzellen neben den HZB-Kollegen zum Beispiel das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung in Stuttgart oder die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in der Schweiz. Auch vielversprechende Solarzellen, die auf Perowskiten basieren, werden am EMIL durchleuchtet. „Dabei arbeiten wir mit Forschern der Oxford University zusammen, die sind bei den Perowskiten führend“, sagt Bär.
Derzeit tüfteln in seinem Team sechs Doktoranden und vier Postdoktoranden. Mit ihrer Hilfe sollen die Grenzflächenuntersuchungen bald auf weitere Materialsysteme ausgeweitet werden. Für relevante Messungen müssen dabei manche Prozesse unter realen Betriebsbedingungen beobachtet werden. „Operando spectroscopy“ lautet das Zauberwort.
Ein weiterer Ansatz dreht sich um Wasserstoff als Energieträger. Für die Elektrolyse von Wasser werden effiziente Elektroden benötigt. Bärs Gruppe soll im Rahmen eines Kopernikus-Projekts des BMBF mithelfen, optimale Katalysatoren zu finden.
So schnell werden den Forschern am EMIL die Forschungsaufgaben zu Materialien für die Energiewende sicher nicht ausgehen. 2018 soll EMIL für Projekte externer Partner aus Forschung und Industrie geöffnet werden.
Von Sven Titz für Adlershof Journal