Verbündelte Lasertechnik
Wie ein Forschungsinstitut und drei Firmen eine einfache Idee in ein funktionsfähiges Gerät verwandeln
Berliner Zeitung, 06.03.2004
Christoph Podewils
Die Mutter so mancher Innovation ist die Faulheit. Das Fahrrad zum Beispiel wurde ursprünglich erfunden, damit man beim Laufen sitzen konnte. Schwerer zu verstehen ist, was eine "lasergestütze Kalibrationsvorrichtung für Fotoapparate" mit Faulheit zu tun hat - die für Reinhard Schuster mehr der Wunsch nach effizienteren Arbeitsverfahren ist, als der Drang nach Müßiggang.
Der Physiker Schuster ist beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Adlershof dafür verantwortlich, dass Weltraumkameras richtig sehen. "Aus diesem Labor ist noch keine Kamera unscharf wieder herausgekommen", sagt er und fügt hinzu, dass es Wochen dauere, dieses Ziel zu erreichen. Die Ursache dafür liegt darin, dass man am DLR die Kameras so genau überprüft, wie es technisch möglich ist - das ist eine Wissenschaft für sich und selbst aus Japan sind schon Wissenschaftler nach Adlershof geflogen, um sich anzusehen, welche Geräte man dort dafür verwendet. Zum Beispiel einen weißen, tonnenschweren und kleinwagengroßen Stativkopf, dessen Schrittmotoren die bis zu 70 Kilogramm schweren Kameras auf ein tausendstel Grad genau ausrichten können. So genau muss er sein, damit ein haarfeiner Lichtstrahl nur eine bestimmte von vielen Tausend oder gar Millionen Sensorzellen berührt, mit denen die Kamera das Bild bannt. Zwar kann Schuster nach den Gesetzen der Optik schon vorher ausrechnen, auf welchen Sensorpunkt genau der Lichtstrahl fallen müsste - nach den Erfahrungen der Praxis trifft die Vorhersage aber nur selten zu. Denn der Lichtstrahl verfehlt den Punkt wegen kleiner Ungenauigkeiten im Linsensystem des Objektives oft um zwei oder drei Pixel.
Das scheint wenig zu sein. In 700 Kilometer Höhe aber, in der beispielsweise der Satellit Landsat 7 um die Erde saust, hätte so ein optischer Fehler dramatische Folgen. Er könnte dazu führen, dass auf einer Karte, die nach der Satellitenaufnahme angfertigt wird, das Rote Rathaus in Berlin an die Position rückt, die eigentlich dem Fernsehturm zusteht.
Um zu überprüfen, inwieweit Optiktheorie und -wirklichkeit sich decken, tastete Schuster bisher die Sensoren Punkt für Punkt ab - das ist der langwierigste Teil der Aufgabe. Aus den Unterschieden zwischen Soll- und Ist-Werten errechnete ein Computerprogramm anschließend eine Korrekturtabelle - das dauert nur wenige Minuten. Mit dieser Tabelle kann ein Bildverarbeitungsprogramm die Pixel in der Satellitenaufnahme an die eigentlich richtige Stelle rücken - "entzerren" nennen die Fachleute das.
"Es würde uns viel Arbeit sparen, wenn wir mit einer einzigen Messung auskämen", hatten sich Schuster und seine Kollegen schon Mitte der neunziger Jahre überlegt. Der Weg dahin war ihnen - zumindest theoretisch - auch klar: Wenn viele Punkte gleichzeitig auf die Sensorfläche fallen würden, dann hätte das den gleichen Effekt wie das punktweise Abtasten mit dem tonnenschweren Stativkopf. "Das setzt allerdings voraus, dass man ganz genau weiß, wo jedes Lichtpünktchen liegt", sagt Schuster. Genau an dieser Stelle aber versagte die klassische Optik, die das Licht in Linsen bricht oder an Spiegeln reflektiert. Mit ihr lassen sich keine Punktraster erzeugen, die genauer sind, als die optischen Systeme der Kamera, die man mit dem Raster überprüfen möchte.
Seit wenigen Jahren gibt es nun aber doch eine Möglichkeit, hochgenaue Punktraster zu erzeugen - mit der diffraktiven Optik, die sich langsam aber sicher neben der konventionellen Optik etabliert. Dabei werden Lichtwellen an winzigen Kanten gebeugt und auf einen neuen Kurs geschickt. Diffraktive optische Elemente heißen Bauteile, die solche Fähigkeiten haben und zum Beispiel einen einzelnen Laserstrahl in ein Strahlenbündel auffächern können. So eines hat auch die Berliner Firma Holoeye Photonics für das DLR hergestellt. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein briefmarkengroßes Glasplättchen. Unter dem Mikroskop könnte man allerdings erkennen, dass seine Oberfläche von einem Liniennetz zerfurcht ist. An den Kanten, deren Position ein Computerprogramm errechnet, bricht sich das Laserlicht zu einem Raster aus 63 neuen Strahlen.
"Das diffraktive optische Element ist so genau gearbeitet, dass wir von jedem neuen Strahl präzise wissen, wo er liegt", sagt Schuster. Die Schulmathematik reicht anschließend, um auszurechnen, wo die roten Laserpünktchen liegen, wenn sie auf die Bildebene der digitalen Spiegelreflexkamera fallen, mit der Schuster den Versuchsaufbau in seinem Labor testet. "Der Fotoapparat lässt sich damit in wenigen Minuten kalibrieren."
Es ist kein Zufall, dass man am DLR das neue Verfahren ausgerechnet mit einer vergleichsweise billigen Digitalkamera testet - genau diese Apparate können durch die Kalibrierung ganz neue Fähigkeiten gewinnen, sagt Martin Scheele. Damit schielt der Leiter des Forschungsprojektes auf die Fotogrammmetrie - ein Verfahren, bei dem man aus Fotos mitunter zentimetergenau ermitteln kann, wie groß die fotografierten Objekte sind oder wie weit sie auseinander liegen.
"Im Weltraum und aus der Luft hat die Fotogrammmetrie mit digitalen Kameras eine jahrzehntelange Tradition. Auf dem Erdboden hat das Verfahren dagegen noch keinen Durchbruch gehabt", sagt Scheele. Der Grund lag auch in der bislang zeitraubenden und deshalb teuren Kalibrierung der Kamera. Mit dem neuen Verfahren, so hofft er, könnten mit Fotos einfacher Digitalkameras zum Beispiel Kunstwerke, Gebäude oder Rohrnetze auf dem Werksgelände von Chemieunternehmen genau vermessen werden.
Wenn Reinhard Schusters Drang, seine Zeit sinnvoller zu nutzen, als mit Lichtpunkten die und nach in eine Satellitenkamera geschickt werden, die Mutter der Innovation war, dann war der Optikverband Optec BB (Optische Technologien aus Berlin und Brandenburg) ihr Vater. Unter seinem Dach hat sich ein Forschungsnetzwerk aus Firmen im Technologiepark Adlershof formiert, das Schusters Idee bis zum Prototypen entwickelt hat. BB-Fokal nennt sich das Projekt, das es seit etwa einem Jahr gibt, sagte Bernd Weidner, Geschäftsführer von Optec BB anlässlich der Lasermesse LOB (Laseroptik Berlin) in dieser Woche. Er lobte die enge Zusammenarbeit zwischen DLR, der Astro- und Feinwerktechnik Adlershof, der Firmen Optikkomponenten und Kristalle sowie Holoeye Photonics. Und Weidner hob BB-Fokal als "best practice" hervor, als Vorbild für alle Optikfirmen in Berlin und Brandenburg. Neben einer vergleichsweise kleinen Förderung von 400 000 Euro durch den Berliner Senat und die Europäische Union seien der Prototyp und einige Patente vor allem das Ergebnis von Treffen und Workshops, auf denen sich die Projektpartner gut kennen gelernt hätten.
"Daran sieht man, dass Innovationen nicht immer zufällig entstehen. Entscheidend ist beispielsweise häufig die räumliche Nähe der beteiligten Forscher und Firmen", sagt Jörg Sydow. Der Betriebswirtschaftler an der Freien Universität Berlin ist Spezialist für Firmennetzwerke und begleitet das Projekt.
"Als nächstes geht es um rechtliche Dinge", sagt Weidner. Vor allem die Frage "Wem gehören die Patente?" müsse gelöst werden, denn daran sind schon viele Kooperationen gescheitert. "Häufig wurden die Patente entweder überhaupt nicht verwertet oder an ein großes Unternehmen verkauft", sagt Sydow. Besser sei es, wenn die gemeinsame Erfindung auch in einer gemeinsamen Firma vermarktet würde. Ob die drei Firmen und das DLR diesen Weg gehen werden, ist offen. "Wir haben uns noch keinen Kopf zur Vermarktung gemacht", sagt Projektleiter Martin Scheele. "Dazu hatten wir bisher weder Zeit noch Muße."