Unfallvermeidung als Unterrichtsziel
Nachdem eine voll besetzte S-Bahn aufgrund eines Radbruchs Anfang Mai entgleiste, ordnete das Eisenbahn-Bundesamt eine Sonderuntersuchung für zwei Drittel der Berliner S-Bahnzüge an. Laut Aussage der Deutschen Bahn werden die Prüfungen noch bis Ende des Jahres andauern. Einer der Hauptgründe ist fehlendes Fachpersonal, das in der Lage ist, die technisch anspruchsvollen Untersuchungen durchzuführen.
"Bei den Sonderuntersuchungen kommen Ultraschall-, Wirbelstrom- und endoskopische Verfahren zum Einsatz, die das Know-how umfassend geschulter Prüfspezialisten erfordern. Die Zahl der dafür qualifizierten Mitarbeiter orientiert sich an den im normalen Verkehr üblichen Prüfzyklen. Müssen jedoch 400 Züge auf einen Schlag untersucht werden, stößt die Deutsche Bahn verständlicherweise an ihre Kapazitätsgrenzen", verdeutlicht Ralf Holstein, Geschäftsführer der DGZfP Ausbildung und Training GmbH, die schwierige Situation der Berliner S-Bahn. Ein Großteil der bei der Deutschen Bahn beschäftigten Prüfspezialisten hat ihr Handwerk bei der Deutschen Gesellschaft für Zerstörungsfreie Prüfung gelernt. Seit 70 Jahren bildet die DGZfP Fachpersonal in unterschiedlichsten Bereichen der zerstörungsfreien Prüfung aus.
Frühzeitige Fehlerdiagnose
Bei der zerstörungsfreien Prüfung kommen Verfahren zum Einsatz, die weder die Funktion noch die Form der untersuchten Werkstoffe und Bauteile beeinträchtigen. Mit Hilfe zerstörungsfreier Prüfverfahren lassen sich Materialfehler und Konstruktionsmängel in einem sehr frühren Stadium aufspüren, so dass entsprechende Sicherheitsmaßnahmen eingeleitetet werden können, bevor es zu Unfällen oder Katastrophen kommt. In nahezu allen Industriezweigen ist die DZfP zu einem unverzichtbaren Instrument der Qualitätskontrolle und -sicherung geworden: Ohne vorherige ZfP wird kein Öl durch eine Pipeline geleitet, rollt kein Flugzeug auf die Startbahn, wird keine Brücke befahren, geht kein Kraftwerk ans Netz.
"Im Mittelpunkt unserer Ausbildung steht der fachgerechte Einsatz von komplexen Prüfverfahren und modernster Prüftechnik. Neben den theoretischen Grundlagen liegt der Schwerpunkt vor allem auf der praktischen Anwendung", macht Ralf Holstein deutlicht. An sechs Standorten führt die DGZfP jährlich rd. 500 Kurse durch, die mit zehn Teilnehmern pro Kurs eine optimale Betreuung der "Auszubildenden" garantieren. Damit der neueste Stand der Technik direkt in den Lehrplan einfließt, legt die DGZfP großen Wert auf die Qualifikation ihrer Dozenten. Nahezu alle Dozenten waren oder sind immer noch bei namhaften Forschungsinstituten, Industrieunternehmen oder Geräteherstellern beschäftigt.
Anspruchsvolle Prüfverfahren
Dass die ein- bis dreiwöchigen Vollzeitkurse äußerst anspruchsvoll sind, zeigt sich an der mit 20 Prozent vergleichsweise hohen Durchfallquote. 80 Prozent der Teilnehmer schaffen die von einen unabhängigen Prüfinstitut durchführten Prüfungen erst im zweiten Anlauf. Das vom DGZfP entwickelte Schulungsprogramm besteht aus Theoriekursen, die durch Gruppenarbeiten und praktische Übungen ergänzt werden. Für den Praxisteil steht den Kursteilnehmer modernste Prüftechnik, wie z. B. Röntgenlabore, Magnetprüfer, Ultraschallgeräte, Kameratechnik sowie Endoskope, zur Verfügung.
"Die älteste Prüfmethode ist die Sichtprüfung, die heutzutage allerdings durch moderne Visualisierungstechnologien unterstützt wird", verrät Ralf Holstein. Zeigen sich z. B. Verfärbungen an der Oberfläche, kann darauf geschlossen werden, dass Prozesse eingetreten sind, die die Eigenschaften des Materials verändert haben. Wesentlich komplexer ist hingegen die Schallemission. Bei dem computergestützten Hightech-Verfahren werden die Laufzeiten von Schallsignalen zur Ermittlung von Materialdefekten eingesetzt. Hat sich beispielsweise am Lager eines Windrades ein Riss gebildet, wird der normale Schallweg unterbrochen. Das Laufgeräusch ändert sich in untypischer Weise und gibt somit Hinweise auf eine Beschädigung. Ähnlich funktioniert die Schwingungsanalyse, die idealtypische Schwingungsmuster mit denen von beschädigten Bauteilen vergleicht.
Hochauflösende Kameratechnik
Ebenso anspruchsvoll ist die digitale Radiologie. Dabei nimmt eine hochauflösende Kamera ein Bild des Untersuchungsgegenstandes auf. Im direkten Vergleich mit einem idealtypischen Bild lassen sich Rückschlüsse auf Materialfehler und Konstruktionsmängel ziehen. Der Klassiker in der Radiologie ist die filmbasierte Durchstrahlungsprüfung. Sie kommt vor allem zur Überprüfung von Schweißnähten zum Einsatz. Dichtheitsprüfungen werden zur Lokalisierung von Lecks eingesetzt. Dazu wird zunächst Helium in das Untersuchungsobjekt eingespeist. Hochsensible Sensoren messen die Heliumkonzentration. Da die Konzentration an undichten Stellen um bis zu 1000-fach höher ist als an unbeschädigten, lassen sich selbst Lecks in Größe eines Stecknadelkopfs sehr leicht ermitteln.
Seit der Einführung des Energiepasses für Gebäude ist die Thermographie deutlich im Aufwind. Mit Hilfe einer Wärmekamera lassen sich sowohl eindringende Kälte als auch Feuchtigkeitseinschlüsse ermitteln. Das Verfahren ist preisgünstig und schnell, benötigt aber bestimmte Umgebungsbedingungen, um perfekt zu funktionieren.
Schnell und preisgünstig ist auch die Magnetpulverprüfung. Pro Stunde können bis zu 600 Teile untersucht werden. Dazu übergießt man ein zu untersuchendes Metallstück mit Eisenpulver. Da die Pulverreste in Rissen hängen bleiben, können Defekte sehr leicht mit UV-empfindlichem Farbstoff sichtbar gemacht werden. Mit Farbstoffen arbeitet auch die Eindringungsprüfung, bei der der Untersuchungsgegenstand zunächst mit roter Farbe übergossen und anschließend mit weißer Kreide bestäubt wird. Risse im Millimeterbereich werden durch den Kontrast mit bloßem Auge sichtbar.
Aufschlussreiche Reflexion
Untersuchungen mit Ultraschall zählen zu den aufwändigsten und kostenintensivsten Prüfverfahren. Ein Untersuchungsgegenstand wird mit Schallwellen hoher Frequenz durchleuchtet. Anhand der reflektierten Schallwellen und ihrer Laufzeit kann z.B. die Dicke des Materials bestimmt werden. Nimmt die Reflexion einen untypischen Verlauf, kann auf einen Materialfehler oder beginnenden Verschleiß geschlossen werden.
Als besonders leistungsfähiges Verfahren gilt die Wirbelstromprüfung. Elektrische Sonden erzeugen auf der Materialoberfläche einen Wirbelstrom. Liegen Materialmängel vor, werden die Ströme in ihrem typischen Verlauf gestört. Das Verfahren wird schwerpunktmäßig in der Luftfahrt und im Schienenverkehr eingesetzt.
"Zur Zeit ist die Nachfrage so groß, dass wir in den sechs Ausbildungszentren an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen", erzählt Ralf Holstein zum Abschied.
Autorin: Ariane Steffen
Link: www.dgzfp.de