Träumen Maschinen von Menschenrechten?
Künstliche Intelligenz als Thema des Kinos – ein Streifzug durch die Filmgeschichte
Essay von Rüdiger Suchsland, deutscher Filmjournalist und Filmkritiker
Die Sätze müssen kurz sein, und präzis. Das lernt man zuerst, wenn man mit künstlichen Intelligenzen kommuniziert. Auch Chuck bekommt diesen Ratschlag, als er seine neue Roboterpartnerin Harmony direkt aus der Fabrik holt. Auf der anderen Seite der Welt, in Tokio, kümmert sich der süße Roboter Pepper rührend um Oma Sakurai. Ihr Sohn hat ihn ihr geschenkt. Aber auch Pepper hat einen eigenen Willen.
Nicht nur die Liebesgeschichten der Zukunft halten Überraschungen parat, weil an ihnen künstliche Intelligenz beteiligt ist. Davon erzählt der atemberaubend faszinierende Dokumentarfilm „Hi, AI“ der Münchner Regisseurin Isa Willinger, der vor ein paar Wochen auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis den Preis für den besten Dokumentarfilm gewann. „Hi, AI“ zeigt, wie wir mit der künstlichen Intelligenz zusammenleben werden, wer Sieger ist, wer Verlierer.
Das sind auch die Fragen, die im Laufe der Filmgeschichte viele Spielfilmregisseure inspirierten. Angefangen von den 1920er Jahren, als in den Berliner und Brandenburger Studios von Adlershof bis Babelsberg viele Meisterwerke des frühen Kinos entstanden. Zu ihnen gehört Paul Wegeners „Golem“-Trilogie, in der das künstliche Lehmwesen eher ein tumber Klotz ist, ein deutscher Frankenstein, der nicht weiß, was er tut. Hochintelligent ist dagegen die Maschinenfrau in „Metropolis“ von Fritz Lang.
Das Kino selbst ist künstliches Leben, vielleicht hat es sich deswegen schon bald so gern mit der Erschaffung unseres Ebenbildes aus Stahl und Plastik befasst – und dabei eine diebische Freude daran entwickelt, uns die Schrecken einer Welt auszumalen, in der die Technik die Macht übernimmt. Mit der glänzenden Maschinenwesenrolle der Schauspielerin Brigitte Helms in „Metropolis“ hat alles angefangen, Generationen von Filmemachern haben sich hier bedient, von Michael Crichtons „Westworld“ (1973) bis Ridley Scotts „Blade Runner“ (1982), von „Agent in Spitzenhöschen“ bis „Star Wars“. Seither bewegt die Filmemacher die Frage, ob Roboter auch eine Seele haben.
In „Her“ von Spike Jonze begegnet man der anderen Seite des Themas: Ein Mann verliebt sich in seinen Computer Samantha, genauer: in sein dezentrales Betriebssystem. Was sich als Plotidee in einem Satz zusammenfassen lässt, das ist eine Provokation, ein Stich ins Wespennest, ein Anlass für so viele Fragen, die unser Menschen- und Persönlichkeitsbild betreffen. Was bedeutet es, wenn meine Partnerin unsterblich ist? Wie wäre es zu ertragen, mit jemandem zusammenzuleben, der so viel mehr über mich weiß, als es eine menschliche Gefährtin je könnte? Was ist das für eine Partnerschaft, wenn ich den anderen ein- und ausschalten kann? Wie funktioniert das mit dem Sex, und wie kann eine Maschine überhaupt Gefühle empfinden? Samantha ist ja auch alles andere als ein monotoner Wunscherfüllungsroboter: Sie ist humorvoll, spontan, schlagfertig, lernt in Windeseile dazu und liebt ihren Menschen bald ebenso wie er sie.
„Ex Machina“ von Alex Garland ist auch ein Film über solche Sehnsüchte. Der KI-Experte Caleb soll ein neues Robotermodell erforschen. Dieses sieht aus wie eine bildschöne junge Frau und heißt Ava – eine neue Eva. Caleb soll ihren eingebauten Schutzmechanismus durch geschickte Tests überwinden und feststellen, ob Ava ein Bewusstsein von sich selbst hat. Bald verwirrt ihn Ava in jeder Hinsicht bis zu dem Punkt, dass er beginnt, sich mit ihr zu verbünden und seiner eigenen Menschlichkeit unsicher zu werden. Woher, so stellt sich auch Caleb eine klassische Frage, weiß er eigentlich, dass er nicht selbst ein Roboter ist, der nur glaubt, er sei ein Mensch?
Was ist der Mensch? Was unterscheidet ihn von einer Maschine? Träumen Maschinen von Menschenrechten? Die Konsequenz aus diesen Fragen ist, wie es uns verändert, wenn die Maschinen immer besser werden, so gut werden, dass wir den Unterschied zum Menschen nicht erkennen. Oder, noch radikaler ausgedrückt: Dass dieser Unterschied egal sein wird. Oder, noch einen Schritt weiter gedacht: Dass wir die Maschinen bevorzugen: zum Arbeiten, zum Spielen, zum Sex.
Sie haben es bestimmt gemerkt: Das Kino gibt sich mit einfachen Antworten und kurzen Sätzen nicht zufrieden.