Torkelnde Elektronen
Experiment am Max-Born-Institut misst magnetische Kräfte von ultastarken Laserpulsen – Fachjournal zeichnet Studie aus
Was passiert, wenn ultra-intensives Laserlicht auf Atome trifft? Die elektrischen Kräfte des Lichts zerlegen Atome in ihre Bestandteile - Elektronen und Ionen - und lassen freie Elektronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit hin und her schwingen. Durch die magnetischen Kräfte werden die Elektronen auf torkelnde Bahnen abgelenkt und können sogar dauerhaft beschleunigt werden. Forscher des Max-Born-Instituts (MBI) in Berlin haben diese Bewegungen erstmals an Einzelatomen nachgewiesen. Ihre Studie ist vor wenigen Tagen von den Herausgebern der renommierten Fachzeitschrift „Journal of Physics B“ zu einem von 15 „Highlights“ des Jahres 2005 gekürt worden. Sie war im März 2005 veröffentlicht worden.
Für solche Experimente benötigen die Wissenschaftler ultra-kurze Lichtblitze, die während der kurzen Dauer ihrer Existenz mehr Leistung enthalten als alle Kraftwerke Deutschlands in der gleichen Zeit erzeugen. Für den Höchstleistungslaser des MBI kein Problem. Mehr noch, die Laserpulse können so fokussiert werden, dass ihre gesamte Leistung auf einen winzigen Brennfleck von etwa einem hundertstel Millimeter Durchmesser konzentriert ist. Die Intensität dieses Lichts, in Einheiten von Watt pro Quadratzentimeter, wird durch eine 1 mit 19 Nullen beschrieben. Im Vergleich dazu ist das hellste Sonnenlicht geradezu stockfinster: Die Intensität der Sonne, die „Solarkonstante“, beträgt auf der Erdoberfläche kaum mehr als 0,1 Watt pro Quadratzentimeter, ein Hundertmilliardstel eines Milliardstels der Laser-Intensität.
Physikalisch gesehen ist Lichtintensität gleichbedeutend mit einer elektromagnetischen Kraft, die auf geladene Teilchen wirkt. Beim Sonnenlicht ist diese Kraft sehr gering, verglichen mit den Kräften, die die Materiebausteine (Atome, Moleküle, Festkörper) im Innern zusammenhalten. Deshalb bleibt die Materie auf der Erde unter dem Einfluss des Sonnenlichts weitgehend stabil.
Die elektromagnetischen Kräfte des MBI-Höchstleistungslasers dagegen zerlegen jedes Atom, jedes Molekül und jeden Festkörper im Brennpunkt sofort in sub-atomare Bestandteile, und aus normaler Materie wird ein heißes Plasma aus atomaren Bruchstücken, Elektronen und Ionen. Prof. Wolfgang Sandner, Direktor am MBI, erläutert: „Statt einer Umgebung wie auf der Erde haben wir Zustände wie im Innern der Sonne oder eines Fixsterns – Sternenfeuer im Labor.“
Ziel der MBI-Forscher war es, den Einfluss der magnetischen Komponente des Lichtfeldes auf die Bewegung der Plasmateilchen direkt und mit hoher Präzision zu messen. Interessanterweise haben die elektrische und die magnetische Komponente höchst unterschiedliche Wirkung: Während die elektrische schon bei relativ „niedrigen“ Laserintensitäten Materie in ihre Elementarbausteine zerlegt und die freien Elektronen im Takt der Lichtwelle hin und her tanzen lässt (mit relativistischen Geschwindigkeiten und zigtausend Milliarden mal pro Sekunde), wirkt das Magnetfeld des Lichts erst bei den allerhöchsten Intensitäten. „Es führt dazu, dass die freien Elektronen im Lichtfeld nicht mehr auf geraden Bahnen hin und her schwingen, sondern torkeln wie Betrunkene“, veranschaulicht Sandner.
Ihre Bewegung – könnte man sie nachzeichnen – würde etwa wie eine „8“ aussehen. Bei höchsten Intensitäten ist diese 8 nicht einmal mehr geschlossen, sondern die Elektronen werden taumelnd vor dem Laserstrahl hergetrieben. Bei dieser Bewegung passiert den Elektronen letztlich dasselbe wie den Betrunkenen im richtigen Leben: Sie treffen ihr Ziel nicht mehr, sondern torkeln knapp daneben vorbei, drehen um (getrieben durch das elektrische Feld) und wollen es wieder treffen, aber schaffen es noch weniger.
Dieses Szenario stellte eine Gruppe am MBI um Dr. Ullrich Eichmann und seiner Doktorandin Elena Gubbini auf atomarer Ebene nach. Einzelne Atome werden in den Fokus des Lasers gebracht, die elektrischen Kräfte reißen Elektronen aus dem Atom heraus und beschleunigen sie quer zum Laserstrahl. Danach dreht sich die Richtung der Kraft um und treibt das Elektron wieder in Richtung Atom zurück.
Bei niedrigen Intensitäten passiert das Unvermeidliche: Das Elektron trifft mit hoher Geschwindigkeit auf sein „Mutter-Atom“ und kann dort eine Reihe von Mikro-Katastrophen verursachen, die empfindliche Messgeräte nachweisen können. Entweder es schlägt weitere Elektronen heraus, die dann auf Nimmerwiedersehen im Plasma verschwinden, oder es wird wie von einer Billardkugel zur Seite abgelenkt und verschwindet selbst. Es kann aber auch vom Atom wieder eingefangen werden und gibt dann seine gesamte Energie in Form von kurzwelliger UV- oder Röntgenstrahlung ab.
Bei höchsten Intensitäten passiert jedoch nichts dergleichen. Statt das Ausgangsatom wieder zu treffen, torkelt das Elektron unter dem Einfluss der magnetischen Kraft an ihm vorbei. Es schlägt weder andere Elektronen heraus, noch wird es selbst gestreut oder gar eingefangen. Die magnetische Ablenkung beträgt nur wenige Atomdurchmesser. Das ist wenig im Vergleich zu den vielen hundert Atomdurchmessern, die das Elektron unter dem Einfluss der elektrischen Kraft schwingt, aber dennoch genug, um den Startpunkt nicht mehr zu treffen und die Messgeräte, die die Stöße mit dem Ausgangsatom nachweisen sollen, zum Verstummen zu bringen. Dieser Effekt, theoretisch schon länger vorhergesagt, konnte im MBI-Experiment erstmals direkt und an Einzelatomen nachgewiesen werden.
Wie bringt diese Erkenntnis? „Aus solchen Präzisionstudien lernen wir mehr über das Verhalten von Materie in ultra-starken elektromagnetischen Feldern, wie sie nur mit Lasern erzeugt werden können“ sagt Wolfgang Sander. Interessanterweise sei in solchen Experimenten die genaue Laserintensität im winzigen Fokus eine der größten Unbekannten. „Wahrscheinlich kann man sie gerade mit den hier gezeigten subtilen Effekten einmal direkter und genauer messen als mit anderen Methoden“, so Sandner.
Die magnetischen Kräfte des Lichts seien aber grundsätzlich auch für Anwendungen interessant, weil sie die geladenen Teilchen nicht quer zum Laserstrahl beschleunigen, sondern parallel zu ihm. Bei höchsten Intensitäten werden die Teilchen vor dem Laserstrahl hergetrieben: Aus dem torkelnden Tanz wird eine gerichtete Bewegung, die durch kollektive Plasmaeffekte noch dramatisch verstärkt werden kann. Die Lichtkräfte erzeugen ultra-schnelle Teilchen, die ihre Geschwindigkeit – fast Lichtgeschwindigkeit – beibehalten, wenn der treibende Laserstrahl längst vorbei ist. „Solche Laser- Teilchenbeschleuniger“, sagt Sandner, „sind theoretisch sehr kompakt, ihre Grundlagen werden zur Zeit in vielen Labors untersucht. Es besteht Hoffnung, sie in nicht allzu fernerer Zukunft für wissenschaftliche Experimente, zur Materialdiagnose und -bearbeitung im Mikro- und Nanobereich oder auch für medizinische Zwecke einsetzen zu können.“
Die Studie im Original:
http://www.iop.org/EJ/article/0953-4075/38/6/L01/b5_6_l01.pdf
Falls der direkte Link nicht funktioniert:
http://www.iop.org/EJ/journal/0953-4075/21
weiter bei: New – Highlights of 2005, Unter „Board Selection“ den Titel der Arbeit anklicken: “Strong laser field ionization of Kr: first-order relativistic effects defeat rescattering”
Quellenhinweis: “Strong laser field ionization of Kr: first-order relativistic effects defeat rescattering”
E. Gubbini, U. Eichmann, M. Kalashnikov and W. Sandner in: J. Phys. B: At. Mol. Opt. Phys. 38 No 6 (28 March 2005) L87-L93
Ansprechpartner für Rückfragen:
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