Sharing Economy
So lebt und teilt es sich in Adlershof
Teilen Sie gern? Tauschen Sie Wissen, Bücher oder gar Ihre Wohnung? Nutzen Sie Mitfahrgelegenheiten? Im Internet wird gesucht, geteilt, getauscht und gefunden – so schnell und unkompliziert wie nie zuvor. Sind wir alle damit Teil einer neuen globalen Wirtschaftsform, der Sharing Economy? Redakteurin Jördis Götz hat Stimmen dazu im Technologiepark Adlershof eingesammelt.
Maik Pickl, 34, Student am Institut für Mathematik der Humboldt-Universität zu Berlin (HU):
„In den Kreisen, in denen ich mich bewege, spielt Eigentum keine große Rolle. Da geht es eher um funktionales Benutzen. Ich finde es auch viel gesünder, wenn man sich nicht übermäßig an materielle Dinge oder Statussymbole bindet. Das gilt sogar für die Forschung: Während in früheren Jahrhunderten Forschungsergebnisse noch wie Staatsgeheimnisse gehütet wurden, gibt es jetzt eine richtige Bewegung gegen Pay-Walls. Es gibt auch eine Plattform im Netz, die wissenschaftliche Artikel frei zugänglich macht, so dass man sie nicht, wie bei den gängigen Wissenschaftspublikationen üblich, gegen Geld kaufen muss. Wie weitverbreitet der Gedanke des Teilens letztlich in der gesamten Gesellschaft ist, kann ich nicht beurteilen. Für mich ist er jedenfalls wichtig. Ich erlebe es auch so, dass man in Berlin viel mehr teilt, tauscht und verschenkt als in ländlichen Regionen. Ich wohne im Studentenwohnheim hier in Adlershof und kenne es, dass eine Bücherkiste im Haus steht oder sogar eine für Klamotten.“
Simone Mattert, 52, Mitarbeiterin im Jugendamt Treptow-Köpenick:
„Das Thema Teilen erlebe ich vor allem durch meine Kinder, die via Couchsurfing Europa und die Welt erkunden. Ich habe letztes Jahr meinen Urlaub im Haus einer schwedischen Familie verbracht, die ihrerseits ins Ferienhaus gefahren waren. Hut ab, ich hätte das wohl selbst nicht gemacht. Tauschen und teilen ist bei den jüngeren Leuten mehr verbreitet. Das ist auch vernünftig. Wenn man mal ehrlich ist, leben wir ja alle irgendwie im Überfluss und es ist vernünftig, den zu teilen.“
Lisa Paasch, 25, Biochemikerin am Institut für Chemie Humboldt-Universität zu Berlin:
„Ich tausche und teile zum Beispiel in meinem Freundeskreis. Wir sind eine Gruppe von etwa zehn Leuten. Meine Freundin ist diejenige, die immer mal wieder Klamotten aussortiert. Dann treffen wir uns alle, probieren die Sachen gemeinsam an und bringen den Rest zur Alt-kleidersammlung. Echt sinnvoll und sehr unterhaltsam. Ich wohne im Moment noch bei meinen Eltern, das ist natürlich sehr praktisch. Wenn ich demnächst umziehe, werde ich Dinge, die ich benötige, gebraucht über eBay-Kleinanzeigen besorgen. Elektrogeräte wie der Wasserkocher, der momentan bei mir nur rumsteht, will ich einem Flüchtlingsheim spenden. Teilen ist sinnvoll: Was der eine nicht mehr braucht, kann ein anderer gut verwenden.“
Susanne und Helmut Glitt aus Gütersloh, Birgit und Rudi Klein aus Esslingen, 55 und 61
„Wir sind zum Sightseeing nach Adlershof gekommen, weil wir nicht einfach nur die klassischen Berliner Touristenstrecken abklappern wollten. Echt spannend! Heute teilen wir den Reiseführer, zu Hause vor allem innerhalb der Familie. Also die Autos, das Fahrrad, das Werkzeug. Bei uns gibt es keine Tabus. Besonders die Kinder teilen alles, auch die Klamotten und den PC. Mit unseren Nachbarn teilen wir zu fünft den Holzspalter und den Traktor. Oder auch die Fahrradträger fürs Auto.“ Susanne Glitt: „Und ich teile mein Strickwissen! Ab Montag beschäftige ich Kinder und Jugendliche in einer Flüchtlingsunterkunft.“
Moritz Tittel, Medizinstudent an der HU und Schauspieler, 37
„Wenn ich überlege, was ich in letzter Zeit geteilt habe, fällt mir zuerst das Script ein, das mir eine Kommilitonin zur Prüfungsvorbereitung gegeben hat. Das fand ich einfach klasse! Als ich sie fragte, ob ich ihr dafür etwas geben könnte, hat sie vorgeschlagen, dass ich ihr im kommenden Semester mit meinen Mitschriften und Unterlagen weiterhelfen könnte. Beim Lernen ist mir aufgefallen, dass man dadurch einen ganz anderen Blickwinkel auf das Thema erfährt. Also auch ein echt guter Wissensaustausch. Ansonsten haben meine Frau und ich für das Flüchtlingsheim in der Rudower Straße gespendet: Kinderfahrräder, Kleidung und Spielzeug.“
PS: Was teilt eigentlich die Reporterin? Ja was, frage ich mich zunächst und muss richtig überlegen. Wahrscheinlich, weil es so selbstverständlich ist. Nach und nach fällt es mir ein: Kinderklamotten, Spielzeug – logisch, paketweise! Ich teile auch die Pizza, wenn unser Nachbar keine Zeit zum Kochen hat. Und wenn ich es recht überlege, besteht ein Viertel meiner Einrichtung aus gebrauchten Möbeln, natürlich zusammengesucht übers Internet. Was ich selbst nicht mehr brauche, wird eingestellt. Zack. Weg. Online suche ich auch Mitfahrer, um Reisestrecken mitzufinanzieren und das ökologische Gewissen zu beruhigen.
Von Jördis Götz für Adlershof Journal