Pilze statt Tiere
Nosh.bio stellt aus Fadenpilzen Grundstoffe für die Lebensmittelindustrie her
Neue Wege für eine fleischlose Ernährung: Nosh.bio stellt aus Fadenpilzen Grundstoffe für die Lebensmittelindustrie her. Damit ließen sich viele tierbasierte Stoffe einsparen – ohne auf Geschmack und Konsistenz zu verzichten.
Eine fleischarme oder gar -freie Ernährung ist vielen Konsument:innen wichtig. Das erklärt zumindest jede:r zweite Deutsche in Umfragen. In der Realität dürften es etwas weniger sein, aber immer noch genug, um die Nahrungsmittelindustrie zu weiteren Innovationen zu bewegen.
Bereits heute gibt es etliche Produkte, die ohne tierische Inhaltsstoffe auskommen, von Burgerpatties über Eiersatz bis zu Eiscreme. Doch die Alternativen kommen im Massenmarkt nicht an. Mundgefühl und Konsistenz sind oft gewöhnungsbedürftig, dazu kommt eine lange Liste mit Zusatzstoffen, um Geschmack und Textur wenigstens einigermaßen hinzubekommen. Und teurer sind sie obendrein.
Die Nosh.bio GmbH ist eines von zahlreichen Unternehmen, die das ändern wollen. Das Adlershofer Start-up setzt auf einen Fadenpilz, dessen Protein verwendet wird, um Basisstoffe für die Nahrungsmittelhersteller zu gewinnen. „Damit lassen sich beispielsweise in veganen Burgerpatties diverse Chemikalien einsparen, die dem Bratling Form und Halt geben“, sagt Gründer Tim Fronzek. Wie ein Kleber hält das Pilzprotein die Masse zusammen und sorge für angenehmes Mundgefühl, was Testessen mit potenziellen Kund:innen und Fachleuten belegt hätten.
Das Besondere an dem Fadenpilz: Er kann keine schädlichen Giftstoffe, sogenannte Mycotoxine, bilden und ist bereits als Nahrungsmittel von der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassen. Nosh.bio kann sich die langwierigen und teuren Genehmigungsprozeduren sparen, die andere Firmen der Novel-Food-Branche durchlaufen müssen.
Mit derzeit acht Mitarbeiter:innen in Adlershof sowie Kooperationspartnern an Dänemarks Technischer Universität in Kopenhagen und der University of Guelph (Kanada) entwickelt das Team die Technologien, um die Pilzproteine zu gewinnen und zu verarbeiten. Dazu werden die Fadenpilze in wassergefüllten Glasbehältern aufgezogen. „Wir geben Maltoseextrakt als Kohlenstofflieferant hinzu“, sagt Fronzek. Künftig sollen aber auch Abfälle wie das Waschwasser aus der Kartoffelverarbeitung genutzt werden, um die Umweltbilanz weiter zu verbessern. Nach 24 bis 48 Stunden sind die Pilze groß genug, um geerntet zu werden. Sie werden in ein Baumwolltuch gegeben und tropfen ab, ehe die weitere Aufbereitung beginnt.
Fronzek wechselte als Gründer und langjähriger Geschäftsführer bei Rebuy, einem Händler für gebrauchte Elektronik, zu Pilzen und Fleischersatzprodukten. „Das ist nur konsequent“, sagt der Unternehmer. Er habe noch mal etwas Neues wagen wollen, etwas mit großem Hebel für Klimaschutz. „18 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen hängen mit der Massentierhaltung zusammen“, erklärt er. Die Zustände für Tiere und Beschäftigte in der Branche seien oft schlimm. Daher verzichte er selbst seit Jahren auf Fleisch und möchte anderen den Umstieg erleichtern.
„Eine Analyse der Boston Consulting Group hat gezeigt: Jeder investierte Euro in alternative Proteine hat einen 13-fach höheren Effekt fürs Klima als die gleiche Investition in Elektromobilität“, sagt Fronzek. Er tat sich mit Felipe Lino, einem brasilianischen Biowissenschaftler, zusammen, gründete 2022 Nosh.bio und konnte zuletzt 3,2 Millionen Euro Kapital einsammeln.
Damit soll die Technologie verbessert werden – auch in Hinblick auf effektive Energieausnutzung. Denn um Lebensmittel biotechnologisch herzustellen, wird oft viel Wärme gebraucht. Den Fadenpilzen genügt Raumtemperatur. Wärme, die sie beim Wachsen abgeben, soll für weitere Prozessschritte genutzt werden, erklärt Fronzek.
„In der zweiten Jahreshälfte wollen wir so weit sein, um mit Partnern aus der Lebensmittelindustrie in die Produktentwicklung einzusteigen“, sagt er. Wann die ersten Waren mit Proteinen aus Fadenpilzen im Regal liegen, lasse sich nicht sicher sagen. „Wir hoffen, dass es so schnell wie möglich gelingt.“
Ralf Nestler für Adlershof Journal