Ozean-Monsterwellen – ist das Mysterium geklärt?
MBI verfolgt neuen Ansatz zur Messung der Wellendynamik und eröffnet damit Perspektiven zur Vorhersagbarkeit
Monsterwellen sind extrem hohe Ozeanwellen, welche die signifikante Wellenhöhe um mehr als einen Faktor 2 überschreiten. Diese Wellen sind sehr selten, und weniger als jede hunderttausendste Welle überschreitet die Schwelle zur Monsterwelle. Die Existenz solcher Wellen war bis in die 1990er Jahre umstritten; in den letzten 20 Jahren sind jedoch tausende solcher Ereignisse auf Ölbohrplattformen registriert worden.
Trotz all dieses Fortschritts ist die Ursache für das Auftreten von Monsterwellen immer noch ungeklärt. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Theorien, die im Wesentlichen in zwei Kategorien fallen, nämlich lineare und nichtlineare Theorien. Lineare Theorien unterstellen, dass Monsterwellen aufgrund zufälliger linearer Überlagerung von vielen Einzelwellen entstehen. Wenn diese Theorien richtig sind, dann ist es einfach Pech, wenn ein Schiff von solch einer Welle getroffen wird, und man kann prinzipiell nicht viel tun, um so ein Ereignis vorauszusehen.
In den letzten Jahren haben hingegen nichtlineare Theorien viel Zulauf gefunden. Sie versprechen, dass es vielleicht charakteristische Wellenmuster geben könnte, die es erlauben würden Monsterwellen vorherzusagen. Dieses klingt sicherlich vielversprechend; dennoch können weder lineare noch nichtlineare Modelle die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Monsterwellen zufriedenstellend erklären.
In einer Zusammenarbeit mit der Leibniz-Universität in Hannover und der Technischen Universität in Dortmund berichtet nun die Gruppe von Günter Steinmeyer über einen neuen Ansatz, der Licht in das Mysterium der Monsterwellen bringen könnte. Dieser Ansatz schlägt vor, die Komplexität der Wellendynamik mittels der sogenannten Phasenraumdimension zu messen. Dieses Maß der Komplexität schätzt die effektive Anzahl der in einem Punkt interferierenden Wellen ab und kann unmittelbar aus einzelnen Messung der Wellendynamik an einer festen Position abgeleitet werden. Solch ein Messverfahren könnte daher auf einem Schiff installiert werden, wo es eine frühe Warnung vor Monsterwellen ermöglichen könnte.
Ein weiteres Resultat der Studie ist die Tatsache, dass die Phasenraumdimension variabel ist. Während der allermeisten Zeit ist die Dynamik der Ozeanoberfläche relativ einfach strukturiert. Selbst innerhalb heftiger Stürme dominieren Situationen, in denen prinzipiell keine oder nur sehr selten Monsterwellen entstehen können. Dieses kann sich jedoch drastisch ändern, wenn sich eine Vielzahl von Wellen überlagert, z.B., wenn sich zwei verschiedene Wellengruppen aus verschiedenen Richtungen überlagern. Unter diesen Bedingungen kann sich die Wahrscheinlichkeit für Monsterwellen plötzlich 10fach erhöhen. Die Dimensionsanalyse erlaubt es nun, solche Situationen frühzeitig zu erkennen. Eine derartige Analyse wird es dennoch nicht erlauben, eine einzelne Monsterwelle rechtzeitig vorherzusagen. Obwohl der Ozean also ein sehr komplexes physikalisches System ist, so ist seine Dynamik offenbar von linearen Mechanismen dominiert.
Die Studie eröffnet daher eine neue Perspektive für das Verständnis von Monsterwellen. Bisherige Forschung hat sich sehr auf die Rolle von Nichtlinearitäten im Ozean konzentriert, aber es scheint nun, dass Nichtlinearitäten doch nur eine geringe Rolle in diesen extremen Ereignissen spielen. Im Gegensatz zu den Nichtlinearitäten wurde die Rolle von Winden über dem Ozean bisher meist vernachlässigt. Es aber gerade der Wind, welcher Ozeanwellen primär erzeugt. Hier scheint es nun möglich, kreuzende Wellengruppen durch meteorologische Analysen frühzeitig zu erkennen. Die Vorhersage des Einzelereignisses mag ein Mysterium bleiben, aber wir sind vielleicht bald in der Lage die Gefahr des Entstehens von Monsterwellen auf dem Ozean Stunden oder sogar Tage voraussagen zu können.
Originalpublikation:
Ocean rogue waves and their phase space dynamics in the limit of a linear interference model
Simon Birkholz, Carsten Brée, Ivan Veselic, Ayhan Demircan & Günter Steinmeyer
Nature / Scientific Reports 6, Article number: 35207 (2016) doi:10.1038/srep35207
Abb. 1: Numerische Simulationen prototypischer Monsterwellenereignisse. Oben links: normaler Ozeanzustand. Oben rechts: Monsterwellenloch. Unten links: (positive) Monsterwelle. Unten rechts: Monsterwellengruppe, auch bekannt als "die drei Schwestern". Nichtlinearitäten werden nur benötigt, um die größere Wahrscheinlichkeit von positiven Monsterwellen zu begründen. Ob Monsterwellen einzeln oder in Gruppen auftreten, hängt von der spektralen Bandbreite des Ozeanzustandes ab.
Abb. 2: Wahrscheinlichkeit für das Überschreiten der signifikanten Wellenhöhe um einen bestimmten Faktor. Gezeigt sind Modellrechnungen für unterschiedliche Anzahlen von überlagerten Elementarwellen. Wenn diese Anzahl kleiner als 10 ist, so können keine Monsterwellen entstehen. Die Gefahr solcher Wellen steigt mit der Zahl der interferierenden Wellen. Wenn Wellen aus verschiedenen Richtungen auf den gleichen Punkt im Ozean zusteuern, so wird die Gefahr von Monsterwellen extrem. Die Abbildung zeigt zum Vergleich das Resultat von Langzeitmessungen so wie die empirisch gefunden Forristall-Verteilung von Wellenhöhen.
Kontakt:
Dr. Günter Steinmeyer
Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie
Tel. 030 6392-1440
steinmey(at)mbi-berlin.de