Neujahrsempfang 2001
der BAAG Berlin Adlershof Aufbaugesellschaft mbH und der WISTA-MANAGEMENT GMBH am 30. Januar 2001 im Zentrum für Informations- und Medientechnologie
Ansprache Prof. Dr. Rolf Scharwächter, Generalbevollmächtigter für Berlin Adlershof
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Thierse,
sehr geehrter Herr Senator Branoner,
sehr geehrter Herr Bezirksbürgermeister Dr. Ulbricht,
meine Damen und Herren,
der Jahreswechsel ist kein Anfang und kein Ende, sondern ein Weiterleben mit der Weisheit, die uns die Erfahrung aus dem Vergangenen gelehrt hat. Ich möchte versuchen, diese Erfahrungen in der Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien Berlin Adlershof an den wissenschafts- und wirtschaftspolitischen Fragen unserer Zeit zu spiegeln und daraus Perspektiven abzuleiten.
Die bedeutenden volkswirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit sind beschrieben durch die Begriffe Globalisierung der Märkte, Netzwerke der Wirtschaft und Wissenschaft sowie Innovation durch Wissen.
Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Globalisierung. Zu Anfang waren es globale politische Konflikte. Die Wendungen und Brüche - als Folge dieser Konflikte - wurden gerade in Adlershof deutlich.
Zum Ende war es das Jahrhundert der globalen Integration der Märkte, das heißt des Wirtschaftens ohne nationale oder regionale Beschränkungen. Die Folgen sind die Freizügigkeit von Information, Kommunikation, Mobilität und nicht zuletzt Kapital; die Folgen sind tiefgreifende Veränderungen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung.
Die Wirtschaft hat diesen neuen Randbedingungen entsprochen: durch globale Unternehmen oder durch globale Unternehmensallianzen mit regionaler Kompetenz.
Globale Unternehmen oder Unternehmensallianzen verlangen eine intelligente Vernetzung der Wertschöpfung und einen intensiven Austausch zwischen Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb.
Die globale Integration hat auf der einen Seite zu einem Wettbewerb der Unternehmen um die regionalen Märkte geführt, auf der anderen Seite aber auch zu einen Wettbewerb der Regionen um Investitionen mit Kapital, Technologie und Wertschöpfung. In diesem Wettbewerb stehen die ostdeutschen Länder und Berlin - dort besonders Adlershof.
Sie, Herr Bundestagspräsident Thierse, und Sie, Herr Senator Branoner, haben uns die Chancen und Risiken Ostdeutschlands und Berlins in diesem Wettbewerb aus Sicht der Politik dargestellt.
Politik setzt die Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Wettbewerb der Regionen und damit auch für Adlershof. Wir wünschen von ihr in Berlin eine Verringerung und Vereinfachung der kaum zu überblickenden Vielzahl von Förderinstrumenten zur Unternehmensgründung und -entwicklung, die sich zudem teilweise in ihrer Wirkung behindern und sowohl bei den Antragstellern als auch bei den Antragentscheidern hohen Verwaltungsaufwand benötigen. Die Konzentration der Programme für den strukturellen Wandel bei der Investitionsbank Berlin ist eine richtige Absicht.
Des Weiteren wünschen wir eine Beschleunigung des Strukturwandels durch weitere Liberalisierung. Je stärker der Wettbewerb, desto mehr unternehmerisches Engagement. Berlin hat mit Veränderungen zum Vorteil der Wirtschaft begonnen und sollte sie fortsetzen; nicht nur auf dem Gebiet der Versorgungswirtschaft, sondern auch bei der Verringerung von staatlicher Verwaltung und der Vereinfachung von Investitionsbedingungen. Berlin sollte sie aber auch fortsetzen mit der Deregulierung und Erfolgsorientierung von Forschung und Lehre.
Schließlich wünschen wir eine Ausrichtung der Mittel für Forschung und Entwicklung auf wenige, aber chancenreiche und expansive Gebiete des neuen Jahrhunderts.
Prioritäten setzen, heißt auch auszuwählen, was gefördert wird und was beendet werden soll. Hier muss Berlin konsequenter sein.
Zum Trost, Herr Senator Branoner: Bereits ein phönizisches Sprichwort sagt: "Jammern ist der Gruß der Kaufleute!"
Die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen lässt sich nicht binnen Jahren verändern. So bitter es für die ostdeutschen Länder ist: Die Folgen von weitreichenden Fehlern einer sozialistischen Staatswirtschaft - mit dem überall sichtbaren katastrophalen Substanzverzehr und der systematischen Verdrängung und Entmutigung unternehmerischen Engagements - lassen sich nur in Jahrzehnten überwinden. Wie langfristig solche Veränderungen sind, zeigt eine andere Erfahrung in Deutschland, nämlich der aufwendige und langwierige industrielle Umbau des Ruhrgebietes.
Die Veränderungen in den ostdeutschen Ländern erfordern Geduld, wobei Geduld nicht eine Ausrede für mangelnde Tatkraft sein darf.
Der Senat von Berlin hat sich nach seiner klugen Entscheidung 1991 in Adlershof mit Investitionen von 1,9 Mrd. DM auf außergewöhnliche Weise engagiert, um die Infrastruktur und die Tief- und Hochbauten zu erneuern. Der Berliner Senat - besonders in Ihrer Person Herr Senator Branoner - hat sich aber auch persönlich für Berlin-Adlershof eingesetzt. Heute - nach einem Jahrzehnt - geht diese von der Politik initiierte und öffentlich finanzierte Aufbauphase in eine - von der Wissenschaft angetriebene und der Privatwirtschaft finanzierte - zweite Wachstumsphase über.
Die vollständige Belegung der Gebäude mit wissenschaftlichen und unternehmerischen Aktivitäten - 150 Unternehmensgründungen, 70 neue Unternehmensansiedlungen alleine im vergangenen Jahr, private Investitionen von 400 Mio. DM in den nächsten beiden Jahren - sind eindrucksvoller Beleg für die Vitalität von Adlershof.
Meine Damen und Herren,
ein wesentlicher Moment des globalen Wirtschaftens sind Kommunikation und Kooperation in Netzwerken, national und international, sachlich und persönlich. In Netzwerken lösen sich die ehemals starren Beziehungen von Partnern, Wettbewerbern und Kunden auf. Sie werden ersetzt durch zeitlich befristete Allianzen zur gemeinsamen Nutzung von Ressourcen sowie zur Planung und Umsetzung von Vorhaben.
In solchen Netzwerken können die tiefgreifenden Innovationsschübe und die rasanten Marktveränderungen am ehesten bewältigt werden. In diesen Netzwerken kooperieren gleichzeitig kleine und große Unternehmen. In diesen Netzwerken entwickeln Unternehmen und Forschungseinrichtungen Beiträge zur Lösung konkreter Zukunftsfragen und zur Schaffung neuer Industrien und Arbeitsplätze. In diesen Netzwerken arbeiten schließlich auch Forschungseinrichtungen unterschiedlicher Wissenschaftsfelder an komplexen Fragen. Gerade in den Schnittmengen verschiedener Wissensfelder entstehen neue Lösungen, z. B. für Mikrosystemtechnik, Telematik, Network Economy oder Bioinformatik.
Entscheidend für den Erfolg solcher Netzwerke wird die Fähigkeit sein, Sachverhalte ganzheitlich zu betrachten, Handeln durch Kommunikation mit Anderen zu koordinieren, mit Wettbewerbern nicht nur zu konkurrieren, sondern auch zu kooperieren, in einer lernenden Organisation Erfahrungen aufzunehmen und umzusetzen und schließlich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Individualismus und sozialer Bezogenheit herzustellen. Die Erfahrungen der anderen sind meist kostbar; die eigenen Erfahrungen meist kostspielig.
In jüngster Zeit sind Thesen von Jeremy Rifkin veröffentlicht worden, die eine neue Marktwirtschaft beschreiben. Nicht mehr Kapital und Eigentum, sondern Netzwerke und der Zugang zu ihnen sollen der Schlüssel für volkswirtschaftliche Prozesse und Fortschritte sein. Diese Netzwerke sollen sich von der Industrie über die Dienstleistungen bis zur Kultur ausdehnen.
Berlin ist ein politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Knoten im bestehenden und besonders in dem nach Osteuropa erweiterten Netzwerk der Europäischen Union. Dies ist ein ideales Umfeld für Adlershof. Hier arbeiten Wissenschaftler und Unternehmer in Netzwerken. Hier geschieht kooperatives Wirken nicht durch Determinismus, sondern durch Selbstabstimmung und Selbstorganisation in Ressourcenpools, in Projektgemeinschaften oder in Partnerschaften. Die Netzwerke werden unterstützt durch Plattformen für Information, für sachliche und persönliche Kommunikation sowie für Kooperation. Die Netzwerke von Adlershof werden ausgedehnt auf internationale Zentren in China, Finnland, Israel, Frankreich, England und später auf die USA. Die Netze werden unterstützt durch Plattformen für Information und für sachliche und persönliche Kommunikation.
Es freut mich daher besonders, dass Vertreter aus den Wissenschafts- und Wirtschaftsabteilungen von 28 ausländischen Botschaften hier anwesend sind. Sie, meine Damen und Herren, haben die Gelegenheit, diese Netzwerke kennenzulernen und Brücken zu bauen. Wir laden die Unternehmen aus Ihren Ländern ein zur Mitwirkung in diesen Netzwerken.
Meine Damen und Herren,
Vermögen war in der Zeit der Agrarwirtschaft Besitz von Land, es ist in der Zeit der industriellen Wirtschaft Besitz von Produktionsmitteln. Künftig wird es vorrangig Besitz und Nutzen von Wissen sein. Wissen ist die treibende Kraft geworden. Eine Investition in Wissen bringt heute die höchsten Renditen. Daher gilt auch immer weniger die auf kurzfristige Renditen ausgerichtete Shareholder-value-Strategie.
Es geht darum, aus Ideen, Informationen und Denkmodellen Wissen auszuwählen und priorisieren, in Innovationen zum Nutzen von Wirtschaft und Gesellschaft umzusetzen. Wissen aber ist gebunden an die intellektuellen und kreativen Potentiale der Menschen. Daher ist es die Aufgabe des Wissensmanagements, die Menschen mit attraktiven Arbeitsbedingungen und mit einem anregenden sozialen und kulturellen Umfeld zu binden. Dazu brauchen die Menschen Bedingungen, in denen das Schaffen, Teilen und Anwenden von Wissen Teil des Umgangs miteinander ist. Dazu brauchen die Menschen Angebote zur Entwicklung ihrer intellektuellen und kreativen Fähigkeiten und dazu brauchen Menschen offene Freiräume, kurze Wege für Informationen und Austausch. Was sie nicht brauchen, sind Hierarchie und Bürokratie. Wissen fließt um so besser, je weniger Grenzen es zu überwinden hat. Wissen an andere weiterzugeben, setzt aber auch Vertrauen voraus. Dies ist die den internationalen Wissenschafts- und Technologieparks - so auch Adlershof - zugrunde liegende Philosophie.
Es ist an der Zeit, den volkswirtschaftlichen Nutzen als Ziel und explizites Erfolgsmaß der Wissensentstehung in der Forschung zu verstärken.
Unter volkswirtschaftlichem Nutzen verstehen wir Innovationen auf den Feldern Energie, Umwelt, Network Economy mit Telekommunikation und Internet, Mikrosysteme mit Elektronik und Photonik, Verkehrssysteme sowie Gesundheitsfürsorge.
Die Ergebnisse der Forschung müssen aber auch in der Gesellschaft akzeptiert werden. Der frühere Bundespräsident, Roman Herzog, bemerkte hierzu in seiner bekannten Berliner Rede: "Die mentale und intellektuelle Verfassung des Standortes Deutschland ist heute wichtiger als der Rang des Finanzstandortes oder des Investitionsstandortes. Die Fähigkeit zur Innovation entscheidet unser Schicksal."
Der Innovationsprozess ist aber nur dann erfolgreich, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Forscher und Entwickler müssen bereit sein, potentielle Nutzer auf aussichtsreiche Ideen aufmerksam zu machen, die wirtschaftliche Nutzung muss ungehindert ablaufen können und die Ideenträger müssen bereit sein, ihre Ideen von der Forschung in die wirtschaftliche Nutzung zu begleiten. Der Transfer erfolgt somit nicht über Patente, Lizenzen oder Veröffentlichungen, sondern über Menschen, die mit ihrem Wissen im Kopf dorthin gehen, wo dieses Wissen benötigt wird.
Berlin ist das größte und vielfältigste Zentrum des Wissens in Deutschland mit 15 Universitäten, Hochschulen und Akademien und 24 Forschungseinrichtungen. Berlin bietet für deutsche und ausländische Talente ein attraktives Umfeld. Diese Kompetenz hat sich in der hohen Dichte von innovativen Unternehmensgründungen ausgezahlt.
Adlershof ist das Modell in Berlin für Innovation durch Wissen. Adlershof ist fokussiert auf definierte marktattraktive Technologiefelder dieses Jahrhunderts: Energie, Umwelt, Information und Medien, Mikrosysteme und Verkehrssysteme.
Adlershof hat in absehbarer Frist die Kompetenz von 18 Forschungsinstituten, die auf diesen Technologiefeldern arbeiten. Adlershof bietet Plattformen für Forschungskooperationen, Transferprojekte und Kommunikationsforen an. Adlershof vermittelt Förderung, Beratung und Dienstleistungen, die für Innovationsprozesse und Unternehmenswachstum von Bedeutung sind. Die große Zahl von 170 Unternehmensausgründungen und das überdurchschnittliche Wachstum der heute insgesamt 550 Unternehmen beweist, dass hier Wissen in profitables Unternehmen und in Arbeitsplätze umgesetzt wird.
Adlershof wird zunehmend attraktiv als Zentrum des Wissens und der Innovation, als Zentrum der jungen Talente. Adlershof wird aber auch attraktiv aufgrund der Kultur der kleinen Unternehmen. Sie ist von Risikobereitschaft, Verbundenheit mit dem Geschäftserfolg und Veränderungsfähigkeit geprägt.
Adlershof muss aber auch eingestehen, dass dies nicht genug ist, um wissenschaftliche und wirtschaftliche Exzellenz zu erreichen. Es muss eine inspirative, kreative und erfolgsorientierte Atmosphäre und es muss eine Identität wachsen. Unternehmen werden zwar nicht durch Träume gegründet, aber auch nicht ohne Träume. Was ich damit sagen will: Es sollen auch Emotionen und nicht nur Rationalität mit dem Ort verbunden sein.
Die internationalen Unternehmen haben in Adlershof die Chance, das Wissen und die Kultur zur Ergänzung Ihres Geschäftsportfolios zu nutzen, sei es durch Investition, durch Beteiligungen oder Lizenzen, sie haben die Chance, ihr eigenes Unternehmen neu zu erfinden.
Meine Damen und Herren,
ich habe versucht, Ihnen die Herausforderungen der Zukunft deutlich zu machen und die außergewöhnlichen Perspektiven - aber auch die Aufgaben von Adlershof - näher gebracht zu haben.
Die Zukunft regt uns an, die Vergangenheit hält uns fest und deshalb entgeht uns oft die Gegenwart. Nutzen Sie die Gegenwart, um Politikern, den Vertretern aus dem Ausland, Unternehmern und Wissenschaftlern den Geist von Adlershof, das persönliche, kreative und geschäftliche Miteinander nahezubringen oder wie es Schiller im Wilhelm Tell es zum Ausdruck bringt: "Die Zeiten sind jetzt schwer, drum muss der Mensch die Freude leicht ergreifen."
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