Neue Strukturen für Europas Raumfahrt
DLR-Chef Professor Wittig fordert bedeutendere Rolle für die EU
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt - Presse-Information Nr. 8/2003 vom 13.03.2003
Ariane 5-Rakete: "Neue Managementstrukturen notwendig" - Galileo: Führungsanspruch für Deutschland
Die EU sollte nach Auffassung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) deutlich mehr Kompetenzen in der Raumfahrtpolitik erhalten. In einer europäischen Verfassung müsse die Raumfahrt als eigenständige Aufgabe aufgenommen werden. Europa müsse zudem ein strategisch ausgerichtetes Raumfahrtprogramm und die entsprechenden Strukturen bekommen, die europäische Weltraumagentur ESA muss entsprechend reformiert werden. Für das Ariane-System wird in Zukunft nur noch ein Systemführer gefordert, der den Auftraggebern gegenüber die volle Verantwortung übernimmt und die Industriestrukturen optimiert. Die Entwicklung des europäischen Satelliten-Navigationssystems Galileo müsse in der deutschen Industrie geführt werden, da Deutschland den größten Teil der Entwicklungskosten übernimmt. Dies forderte der Vorsitzende des Vorstandes des DLR, Professor Dr. Sigmar Wittig, am Donnerstag, 13.03.2003, in Berlin. Auf der Jahrespressekonferenz des DLR stellte er zudem Highlights des Jahres 2003 aus den weiteren DLR-Forschungsschwerpunkten Luftfahrt, Energie und Verkehr vor.
Raumfahrt am Scheideweg
Nach den großen Erfolgen der vergangenen Jahre müssen jetzt angesichts der Verschiebung der Kometen-Mission Rosetta, dem Fehlstart einer neuen Version der Ariane 5-Rakete, dem Streit um das europäische Satellitensystem Galileo und dem Unglück der "Columbia" sowie den deutlichen Kürzungen des Haushalts kreative Lösungen gefunden und auch unbequeme Fragen gestellt werden. "Wir brauchen neue Raumfahrtstrukturen für Europa. Nur ein Europa mit den strategischen Fähigkeiten, die die Raumfahrt bietet, wird in der Welt eine Rolle spielen" so Wittig. Konkret bedeute dies u.a.:
- Die EU müsse in Zukunft bestimmte Raumfahrtzuständigkeiten übernehmen, zum Beispiel die Formulierung der europäischen Raumfahrtstrategie, internationale Verhandlungen bei Wettbewerbs- oder Frequenzfragen und den Aufbau von europäischen Satelliten-Infrastrukturen wie im Verkehr, der Umwelt und für die Katastrophen- und Krisenbewältigung
- Europäische Raumfahrtprojekte müssten über die EU finanziert werden, zusätzlich müsse es starke nationale Forschungshaushalte geben, um die heimische Industrie wettbewerbsfähig zu halten.
- Mit der ESA-Konvention von 1975 sei eine vereinheitlichteund kohärente Raumfahrtpolitik kaum zu erreichen. "Dafür muss die EU zuständig werden; die ESA muss für die Entwicklungs- und Implementierungsaufgaben optimiert werden, insbesondere denke ich da an eine Modernisierung der Managementstrukturen", so Wittg. Mittelfristig müsse auch in der ESA ein "gewichtetes Stimmrecht" gelten. Das Prinzip "ein Land, eine Stimme" könne bei der Aufnahme von noch mehr Mitgliedern in die ESA nicht aufrechterhalten bleiben.
Klares Bekenntnis zu autonomem Weltraumzugang Europas
Um die Ariane-Rakete wieder erfolgreich am Markt platzieren zu können, sei ein klares Bekenntnis der europäischen Staaten zum autonomen Weltraumzugang der Europäer erforderlich. "Gleichzeitig müssen wir die Strukturen bei Entwicklung und Produktion der Ariane ändern. Hier sollte die Verantwortung auf der Industrieseite in einer Hand liegen, das auftraggeberseitige Management müsse bei ESA zentralisiert werden", sagte Wittig. Nur so könnten klare Schnittstellen und Verantwortlichkeiten geschaffen werden, die das System effizienter und zuverlässiger machen würden. Das Produkt Ariane solle in Zukunft soweit wie möglich über Marktanforderungen definiert werden und nicht von politischen oder technischen Interessen getrieben werden. Wittig wies zudem auf die Möglichkeit hin, die Versorgung der Internationalen Raumstation durch den Einsatz des europäischen Logistikfahrzeugs ATV mit sicherstellen zu können. Mit diesem Raumschiff können pro Flug neun Tonnen Nutzlast, Experiment sowie Treibstoff ins All befördert werden. Das Thema Ariane müsste ebenso wie die Themen ESA/EU sowie Internationale Raumstation auf einer möglichen ESA-Ministerratskonferenz intensiv diskutiert und zu einer eindeutigen Entscheidung gebracht werden.
Satellitennavigation Galileo unter deutscher Führung
Zum Streit um das europäische Satelliten-Navigationssystem führte Wittig aus: "Da Deutschland den Hauptanteil der Entwicklungskosten tragen soll, muss das System auch von der deutschen Industrie geführt werden". Zu den jüngst beschlossenen Haushaltskürzungen erklärte Wittig: "Das nationale Raumfahrtprogramm ist das unverzichtbare Rückgrat einer starken deutschen Raumfahrt, sowohl in der Forschung wie auch der industriellen Entwicklung. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit hier aufrechtzuerhalten ist eine besondere Aufgabe und Herausforderung für den Technologiestandort Deutschland. Gerade bei weiterer Europäisierung der Infrastrukturprogramme wird ein stärkeres nationales Forschungsprogramm immer wichtiger, um wettbewerbsfähig zu sein. Ich werde mich persönlich dafür einsetzen, die momentanen Fehlentwicklungen aufzuhalten und die deutsche Raumfahrt zu stärken."
Mit deutscher Hochtechnologie zum Mars
Der DLR-Chef ging im zweiten Teil der Jahrespressekonferenz auf aktuelle Projekte der weiteren Forschungsschwerpunkte des DLR ein. Mit der Mission MarsExpress, deren Start für Mai/Juni vorgesehen ist, soll nach Leben oder Spuren von Leben gesucht werden. Ein "Berliner Auge" soll die Marsoberfläche besser abtasten, als das bisher auf der Erde geschah. Die im Berliner DLR-Institut für Planetenerkundung und Weltraumsensorik entwickelte Höchstleistungskamera HRSC ist an Bord des Raumschiffs. Mit ihr soll der Mars in nie da gewesener Auflösung dreidimensional kartiert werden. Das DLR-Institut für Raumsimulation in Köln steuert für den Lander einen Bohrer bei. Er soll sich bis zu anderthalb Meter in den Boden graben und Proben nehmen.
Wirkungen von Nachtfluglärm
Das DLR führt derzeit die weltweit größte Untersuchung zu den Wirkungen von Fluglärm, insbesondere von Nachtfluglärm durch. Ende des Jahres wird sie beendet sein. Professor Wittig wies auf erste Zwischenergebnisse hin, die noch im Detail analysiert werden müssen. Hierbei spielen Dauer und Intensität der Lärmpegel auf Dauer und Tiefe der verschiedenen Schlafstadien sowie die Ausschüttung von Stresshormonen eine besondere Rolle.
Neues Forschungsflugzeug HALO
Der DLR-Vostandsvorsitzende begrüßte, dass der Wissenschaftsrat für das neue Forschungsflugzeug HALO grünes Licht gegeben hat. Mit ihm wird die Atmosphäre in sehr großen Höhen erkundet. "Deutsche Wissenschaftler haben nach wie vor auf diesem Gebiet eine Spitzenstellung, die wir nicht nur festigen, sondern mit HALO auch ausbauen werden", so Wittig.
Verkehrserfassung aus dem All
Im Schwerpunkt Verkehr des DLR wird u.a. ein zeitlich begrenztes, Satelliten gestütztes Experiment zur Verkehrserfassung geplant. Mit Hilfe des Satelliten TerraSar, der seit 2002 in Planung ist, können flächig Verkehrsobjekte identifiziert und interpretiert werden, mit denen in Zukunft kritische Verkehrslagen schnell und automatisch erkannt werden.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist das nationale Forschungsunternehmen für Luft- und Raumfahrt, Energie und Verkehr sowie die deutsche Raumfahrtagentur. Es beschäftigt an acht Standorten rund 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sein Jahresetat beträgt rund 720 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung; es verwaltet im Auftrag des Bundes 800 Millionen Euro für seine Raumfahrtagentur-Aufgaben.
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