Nervensysteme für Bauwerke
Adlershofer NEMO-Netzwerk widmet sich Energy Harvesting
Zwischen Frühstück und Verlassen des Hauses schnell noch ein Blick auf dessen „Sensordaten“: S24 zeigt extreme Feuchtigkeit an!
Werden Haus- und Wohnungseigentümer eine neue Datensammelwut erleben? Oder sogar deren Auslöser sein? Vorentscheidungen zu diesen Fragen fallen nicht im Wohnbereich, sondern an anderen Stellen. Bauwerke, die die Qualität der Infrastruktur eines ganzen Landes mitbestimmen, geraten als attraktives Anwendungsfeld ins Visier der IuK-Technik, vor allem aus Sicherheitsgründen, aber ausnahmsweise mal nicht aus Angst vor Terroristen und anderen Kriminellen. Es geht schlicht um die rechtzeitige Erkennung solcher Bauwerkszustände, die zwingende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erfordern. Die können sehr weit gehen. Gerade wurde in Berlin die Spandauer Damm-Brücke einschließlich der zugehörigen Ausfahrt von der Stadtautobahn zu großen Teilen abgerissen und mit dem Ersatzumbau begonnen.
Straßenbrücken gehören zweifellos zu denjenigen Bauwerken, die die Infrastruktur eines Landes prägen. In Deutschland gibt es ca. 120.000 davon. Deren Zustandsüberwachung obliegt entweder dem Bund, dem jeweiligen Land oder einer Kommune. Inspektionen dieser Brücken sind in DIN 1076 zur „Prüfung und Überwachung von Ingenieurbauwerken“ geregelt. Dazu gehören Hauptprüfungen alle sechs Jahre. Die brückenreichste Stadt Europas, Hamburg, hat für die Brückeninspektionen fast 50 Fachleute im ständigen Einsatz. Viele deutsche Kommunen haben große Probleme, ihre Aufgaben zur Überwachung von Brückenzuständen zu bewältigen. Einstürze sind zwar selten, schlimme Überraschungen gibt es aber immer häufiger. Etliche Brücken mussten abweichend von ihrer eigentlich geplanten Lebensdauer frühzeitig und kurzfristig gesperrt und dann sogar abgerissen werden.
Die DEKRA schätzt, dass etwa 16 % der deutschen Straßenbrücken sanierungsbedürftig sind. Besondere Probleme bestehen bei Spannbetonbrücken. Die Verwendung von ungeeignetem Material in den 50er bis 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat bei vielen Brücken dieses Typs zu frühzeitigen Schädigungen des stählernen Tragsystems geführt. Gefährdungen der Bauwerksstabilität sind die Folge.
Ein schleichend wachsendes Gefahrenpotenzial und steigender Aufwand für Brückensanierungen und Ersatzneubauten motivieren im Bereich der Bauwerksüberwachung die Suche nach Alternativen zur bisherigen diskontinuierlichen (und teuren) Inspektion vor Ort.
Bestimmte technologische Entwicklungen sind so weit vorangeschritten, dass ein kontinuierliches Bauwerksmonitoring in den Bereich des Möglichen getreten ist und in Einzelfällen auch schon praktiziert wird. Als Sensoren stehen heute u.a. zur Verfügung:
- Dehnungsmesssensoren
- Temperatur- und Feuchtesensoren
- Deformationssensoren
- PH-Wert-Messer und
- Beschleunigungsaufnehmer.
Auch Kameras kommen zum Einsatz, vor allem zur Registrierung von Überfahrten.
Die an Brücken erfassten Daten könnten vor Ort zwischengespeichert und bei einer Inspektion ebenfalls vor Ort zur Auswertung ausgelesen werden. Diese Aktivität ließe sich mit einem Batterietausch verbinden. Ganz abgesehen vom Aufwand für diese Arbeiten an der Brücke würde trotz kontinuierlicher Datenerfassung letztlich doch wieder nur eine diskontinuierliche Auswertung stattfinden, verbunden mit der Gefahr unangenehmer plötzlicher Überraschungen.
Anfang 2008 wurde die Adlershofer Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI) zum dritten Mal Sieger im Förderwettbewerb NEMO des BMWi, und zwar mit einem Beitrag zum Aufbau eines Unternehmensnetzwerkes, das sich der Thematik „Ambient Energy for Ambient Intelligence“ widmet.
Innerhalb dieses NEMO-Netzwerkes mit dem Kurztitel MESEDA wurde erkannt, dass die Analyse von Brückenschwingungen eine besondere wissenschaftlich-technische Herausforderung darstellt. Vier MESEDA-Partner initiierten gemeinsam das Projekt VibrEnergy zur Entwicklung eines speziellen „Nervensystems“ für Brücken. Das Besondere: Brückenschwingungen sollen gleich zweifach genutzt werden, einerseits im Rahmen einer Zustandsfernanalyse (gemeinsam mit anderen Messwerten) und andererseits zur Stromversorgung am Bauwerk verteilter Sensoren bzw. weiterer IKT-Komponenten. Die elektrische Energie wird also direkt aus der mechanischen Umgebungsenergie (Ambient Energy) gewonnen. Man spricht auch von Energy Harvesting.
Wenn sich die Fernüberwachung von Brücken durchsetzt, wird dies Auswirkungen auf CAFM-Lösungen haben: Computermodelle von Bauwerken werden neue Bestandteile erhalten, nämlich Repräsentationen der „Nervensysteme“ für deren Langzeit-Monitoring. Denn wie ließe sich sonst „S24 zeigt extreme Feuchtigkeit an“ in einem komplexen Bauwerk leicht interpretieren?
Kontakt:
GFaI Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e.V.
Vorstandsvorsitzender und Netzwerkmanager MESEDA
Herr Prof. Dr. Alfred Iwainsky
Rudower Chaussee 30, 12489 Berlin
Tel: (030) 6392 4500
Fax: (030) 6392 4517
eMail: iwainsky(at)gfai.de