Morgen, Kinder, könnt’s was geben!
Essay von Matthias Gerschwitz, Kommunikationswirt und Buchautor
„I like to watch“ gehört zu den legendären Filmzitaten. In der US-Filmsatire Being There (Willkommen Mr. Chance) aus dem Jahr 1979 spielt Peter Sellers die Titelrolle – Mr. Chance, einen Gärtner, der sein ganzes Leben auf dem Anwesen eines wohlhabenden Menschen verbracht hat und die Welt jenseits des Gartenzauns nur aus dem Fernsehen kennt. Sein einziger Fixpunkt ist die Natur: Das stete Wachsen und Vergehen, der Wechsel der Jahreszeiten und die Symbiose von Flora und Fauna. Als sein Arbeitgeber stirbt, muss er das Anwesen verlassen, gerät zufällig in das Umfeld eines erfolgreichen Ehepaares, das ihn auf Grund eines Missverständnisses in die Gesellschaft einführt. Hier beantwortet er die Frage nach seiner Lieblingsbeschäftigung mit dem Satz „I like to watch“. Einige Gäste missdeuten diese Aussage als erotischen Voyeurismus, andere wiederum sehen in seinen unbedarften Analogien zu botanischen Themen eine tiefe Weisheit, die ihm zu hohem Ansehen verhilft. So wird aus einem Missverständnis heraus ein Held geboren.
Manchmal wünsche ich mir mehr solcher Missverständnisse. Das Betrachten der Natur, die Rückschlüsse aus natürlichen Entwicklungen und deren Umsetzung in die Forschung ermöglicht oft neue Blickwinkel. Das Rad muss nicht neu erfunden werden, um mit ihm ausgetretene Wege zu verlassen. Wer sich die Zeit nimmt, Prozesse zu beobachten – „I like to watch“–, wird herausfinden, dass es einfacher sein kann, einzelne Schritte zu verbessern, als den gesamten Prozess neu zu denken.
Nehmen wir Mr. Chance als Vorbild. Es gibt genügend botanische Themen, die zu Weisheit und Erkenntnisgewinn führen und die manchmal etwas ausgehöhlten Phrasen von der zu schützenden Umwelt mit wertvollen Inhalten füllen können: zum Beispiel, wenn es darum geht, dass aus Vergänglichem etwas Neues entsteht. Zum Beispiel, wenn wir erkennen, dass Hege und Pflege unverzichtbar sind, um Neuem eine realistische Chance zu geben. Und wenn wir vor allem – quasi als ultima ratio – endlich begreifen, dass die Natur uns nur dann nicht im Stich lässt, wenn wir sie nicht im Stich lassen.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Begriff der nachwachsenden Rohstoffe in aller Munde war. Kaum ein Wasch- oder Reinigungsmittelhersteller verzichtete auf die werbeträchtige Aussage zur Nachhaltigkeit. So plötzlich der Begriff über die Konsumierenden hereinbrach, so schnell wurde er von der nächsten Marketingbotschaft verdrängt. Dabei sind nachwachsende Rohstoffe ein alter Hut, die Natur ist bekanntlich älter als der Mensch. Schon die Bibel belegt, dass Adam und Eva im Paradies lebten – sie mussten es nicht erst mühsam aufforsten. Wie viel Zeit mögen Menschen seitdem damit verbracht haben, natürliche Prozesse synthetisch nachzubauen, nur um sich später den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie synthetische Inhaltsstoffe durch nachwachsende Rohstoffe ersetzen können?
Ein nachwachsender Rohstoff wird viel zu selten mit einem „I like to watch“ bedacht: der menschliche Nachwuchs. Und gerade hier ist das genaue Betrachten, das Erkennen von Fähigkeiten und Talenten besonders wichtig. Wie viel Potenzial in der nachfolgenden Generation steckt, lässt sich erst ermessen, wenn sie ausreichend gefördert wird. Und deshalb: Morgen, Kinder, könnt’s was geben – die Chance, die Zukunft zu bewältigen.
Matthias Gerschwitz ist Kommunikationswirt und Buchautor und unterstützt das Forschungsnetzwerk IGAFA e. V. bei verschiedenen Projekten.
www.matthias-gerschwitz.de