Mit den Augen hören
Interview mit den Machern der Akustischen Kamera, Dr.-Ing. Gerd Heinz, Dipl.-Ing. Dirk Döbler, Swen Tilgner
Berlinews: Mit den Augen hören, das klingt ganz faszinierend. Ihr Projekt ist eine bereits im Einsatz befindliche neue Technologie, bei der es um die Ortung und Sichtbarmachung von Schall geht. Lassen Sie uns bitte zunächst das Sachgebiet definieren und einige Grundbegriffe klären.
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Geräusche umgeben uns ständig, manche empfinden wir als angenehm, andere nicht, sie stören. Schall ist nicht sichtbar, und von daher war es stets aufwendig, Geräuschquellen zu finden, insbesondere dann, wenn sie z. B. in Maschinen versteckt waren. Der Mensch kann nun Informationen, die er über das Auge aufnehmen kann, sehr viel besser und eindeutiger identifizieren und zuordnen, als er das mit Geräuschen kann.
Bei unserer Arbeit geht es darum, Geräuschquellen, die es überall gibt, zu identifizieren und über ein besonderes Verfahren in Bilder umzusetzen, sie im Wortsinn "anschaulich" zu machen. Die Objekte, die wir analysieren, sind Maschinen, vom Rasierapparat bis zum Auto oder Flugzeug.
Eine wesentliche Problematik bei der Erfassung von Geräuschen besteht darin, dass sich Geräusche überlagern. Die Identifikation einer Schallquelle ist somit auch der erste Schritt dazu, diese leiser zu machen oder auszuschalten. Aus der Neuroinformatik kommend, machte ich - eher aus Spaß an der Freude - zwischen 1994 und 1996 die ersten Schallbilder und Filme unbewegter Objekte. Akustik-Kollegen gratulierten. Es kostete Jahre, herauszufinden, wie die Bildqualität zu verbessern ist, wo Anwendungsgebiete liegen, wer die Kundschaft sein könnte und wie die Technik auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten werden kann.
Die Medien halfen dabei. Wir sind seinerzeit über Briefverteileranlagen in die Problematik eingestiegen; das waren unsere allerersten Messungen. Wir hatten große Probleme, die Geräusche zu analysieren. Da laufen mehrere Maschinen in einer Halle, überall gibt es Störgeräusche und Reflexionen und man hat dennoch zu klären, wie die Schallabstrahlung einer Maschine zu bewerten oder wie sie zu verringern ist.
Das zu leisten war eine große Motivation. Dann folgten Baumaschinen und Hausgeräte. Liebherr und Bosch-Siemens unterstützten uns sehr. Allerdings hat sich dieser erste Bereich kommerziell als nicht ausreichend tragfähig erwiesen. Da war die Autoindustrie zum Glück viel attraktiver, mit Kollegen von Porsche oder Daimler arbeiteten wir später besonders intensiv zusammen.
Dipl.-Ing. Dirk Döbler : Die Erfindung der Akustischen Kamera ist vergleichbar mit dem Schritt vom Thermometer zur Infrarot-Kamera. Wenn Sie sich eine Hausfassade vorstellen: Bevor die Infrarot-Kamera erfunden wurde, war die einzige Möglichkeit, die Wärmedurchlässigkeit zu ermitteln, dass man mit einem Temperatursensor Stück für Stück die Fassade abscannt, die Werte aufschreibt und die Flächen dann farbig markiert. Ein sehr langwieriges Verfahren, mit sehr vielen Fehlern behaftet, weil zwischen diesen Messungen Wind weht, dann kommt die Sonne raus, es wird dunkel und so weiter.
Ähnlich war es in der Akustik auch. Man hatte ein Mikrofon, man konnte eine Maschine Stück für Stück abscannen, sich die Werte aufschreiben und sich so ein Bild machen. Mit der Akustischen Kamera wird in Sekunden eine Messung durchgeführt, es entsteht sofort ein Bild. Entweder von einem Augenblickszustand oder eine Abfolge von Bildern für dynamische Ereignisse, zum Beispiel bei einem Motor, bei dem Zylinder nacheinander zünden. Das ist der eigentliche große Schritt in der Akustik.
Berlinews: Wir reden bei Ihrem Projekt von einer technologischen Entwicklung, die sich seit 1995 in einzelnen Schritten konkretisiert hat. Die wissenschaftliche Beschreibung der Vorgänge ist sehr komplex. Was ist - für den Laien verständlich - eine Akustische Kamera?
Swen Tilgner: Der Vergleich mit der Wärmebildkamera ist schon zutreffend. Über ein Mikrofonarray werden akustische Ereignisse aufgenommen; diese werden im Datenrecorder digitalisiert, und ein PC berechnet aus den Laufzeitdifferenzen der verschiedenen Mikrofone Schallkarten. In diesen Karten werden laute Schallquellen rot, leise Emissionen beispielsweise blau dargestellt.
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Ein Schallbild entsteht so, dass man das Bild der Videokamera mit der berechneten Schallkarte überlagert. Man kann erkennen, an welchen Stellen die Maschine oder der Motor laut ist. Das Ergebnis kann man dann spektral für verschiedene Frequenzbereiche oder mit anderen Methoden weiter auflösen. Und man kann in das Bild hineinhören, indem man auf dem Foto bzw. der Lärmkarte mit der Maus herumfährt, um subjektive Eindrücke nachvollziehen zu können: Was war denn dort an dieser Stelle, warum ist es dort eigentlich so laut?
Dipl.-Ing. Dirk Döbler: Der Trick ist, dass wir in der Software das durchführen, was in der Optik die Aufgabe einer Linse ist: Bei der Linse werden die Strahlen, die von einem Objekt ausgehen und auf die Linse treffen, auf dem Foto, dem Film, wieder zu einem Punkt zusammengeführt. Nun gibt es auch akustische Linsen, aber die sind so unhandlich, dass man damit nicht umgehen kann. Wir nehmen sozusagen an der Oberfläche der "Linse", das sind unsere Mikrofone, die akustischen Strahlen oder Wellen auf und führen sie im Computer wieder an einem Punkt zusammen. Dadurch entsteht im Computer jenes Bild, welches in der Optik auf dem Film entsteht.
Dazu ist ein erheblicher Rechenaufwand zu betreiben. Das ist vielleicht auch der Grund, warum diese Technik bisher nicht zum Zuge kam. Man muss fairerweise sagen, dass sich natürlich auch andere daran versucht haben, sie sind aber letztendlich immer in universitären Stadien stecken geblieben. Dr. Heinz hat als erster erkannt, dass diese Technik mehr verdient als ein Nischendasein.
Es gibt einen Markt dafür, und eigentlich brauchen sehr viele Leute so ein System händeringend. Früher ist man mit Wohnwagen angerückt, ganze LKWs voll mit Technik, eine Woche Aufbau, dann hat man einige Tage gemessen, dann eine Woche Abbau, dann dauerte es einige Wochen - Rechenzeit. Und dann kam vielleicht ein Ergebnis heraus. Vielleicht hat man nach drei Monaten auch festgestellt, dass man etwas ganz anderes gemessen hatte, als man eigentlich wollte! Und darin liegt die wesentliche Innovation: Dr. Heinz hat erkannt, dass sich das doch einfacher, kleiner und schneller machen lassen muss.
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Wir haben in den Jahren vor 1994 angefangen und zunächst viel Energie in die Entwicklung der Rechenleistung gesteckt. Selbst 1997 haben wir noch einen Prozessor entwickelt, der 2000 für diese Aufgabenstellung fertig sein sollte. Als er dann fertig war, waren die PCs schon wieder viel schneller geworden. So brachen wir die Prozessorentwicklung ab und verließen uns darauf, dass die Intels "von allein" schneller werden.
Dipl.-Ing. Dirk Döbler: Die Rechenzeit ist sicherlich etwas Entscheidendes für dieses Projekt gewesen. Konkret sind die Rechner seit 1998 etwa um den Faktor 30 schneller geworden. Es gibt ja das Mooresche Gesetz: Verdoppelung der Rechenleistung alle eineinhalb Jahre. Die Software jedoch konnte ich durch verschiedenste Optimierungen des Algorithmus um den Faktor 300 beschleunigen. Zusammen mit der Vervielfachung der Rechenleistung rechnen wir heute also 9000 mal schneller als damals. Dadurch haben sich die Rechenzeiten von Tagen auf Sekunden reduziert.
Das war sicherlich ein Knackpunkt, und wir hatten auch ein bisschen Glück, dass das andere vor uns nicht erkennen wollten oder konnten. Dr. Heinz hat die Marktchance, ein solches Gerät der Industrie anbieten zu können, erkannt: Wenn wir es schaffen, den Vorgang so zu vereinfachen, dass man mit wenigen Handgriffen ein brauchbares Schallbild generiert, dann sollte auch jemand bereit sein, dafür Geld zu bezahlen. Darum geht es ja letztendlich immer.
Berlinews: Ist das "nur" eine konsequente Weiterentwicklung einer Technologie, oder was ist die echte Innovation, die mit der Nominierung zum DZP gewürdigt wird?
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Um die Innovation zu charakterisieren: Es gab um 1993 - das waren Kollegen von MBB - ein erstes Schallbild vom Transrapid. Der sauste an so einer Mikrofon-Array-Anordnung vorbei. Das war bekannt, und daran haben auch andere Akustik-Teams gearbeitet.
Ich bin eher zufällig, über eine Untersuchung zur Physik nervlicher Netze, zur Akustik gekommen. Ich hatte 1993 Wellenausbreitung auf Leitbahnen studiert und neben anderen Dingen spiegelverkehrte Abbildungen entdeckt. So untersuchte ich zunächst Nervenimpulse, Soft- und Hardware wurden entwickelt. Fördermittel waren auf diesem Gebiet aber schwer zu erhalten, und so wurden eher aus Jux Mikrofone an unser Eigenbau-EEG-Gerät angeschlossen. So erhielt ich 1994 das erste akustische Standbild, allerdings in nicht besonders guter Qualität. Das war aber noch zu früh, um es an die große Glocke zu hängen.
Ein Software-Bug bescherte 1996 eine weitere Innovation. Um den Fehler zu finden, wurde der Algorithmus in Teile zerlegt. Und wie der Zufall es will, wurde daraus der erste akustische Film.
Es hat sich als richtig erwiesen, diesen Weg weiterzuverfolgen: Wir hatten nun bereits die zweite Basisinnovation, und weitere Innovationen, wie z. B. die integrierte Videokamera oder das Abhören des Bildes, folgten. Aber es gehörte schon ein gewisser Mut dazu, nicht-stationäre Geräusche in akustischen Filmen darstellen zu wollen. Dieser Thematik waren Akustiker damals wenig zugänglich.
Swen Tilgner: Die eigentliche Innovation sehe ich darin, dass es ein komplettes Gerät ist, das man jedem beliebigen Messtechniker an die Hand geben kann. Das System ist marktreif, es wird verkauft. Es ist keine Hochschulanwendung mehr, sondern ein Produkt. Die Akustische Kamera ist robust und mobil einsetzbar, die Nutzeroberfläche intuitiv bedienbar.
Dipl.-Ing. Dirk Döbler : Wir haben es durchgesetzt - auch gegen die Meinung vieler Akustiker. Da gibt es ja heute noch einige, die meinen: Das geht nicht, alles nur bunte Bilder. Es ist einfach gegen ihre Grundüberzeugung: Das geht nicht, das wollen wir nicht. Das war wirklich ein harter Kampf. Und den Marktdurchbruch haben dann auch nicht die Akustiker gebracht, sondern einfach Leute, die mit praktischen Problemen beschäftigt waren. Die sagten: Ich habe ein konkretes Problem, ich brauche eine konkrete Lösung, und wenn manchen die Theorie dazu nicht passt - wenn es in der Praxis funktioniert, dann reicht mir das. Es geht um die praktische Anwendung.
Berlinews: War dieser Entwicklungsprozess ein "glatter Gang" oder hat es hierbei Höhepunkte, unerwartete Ereignisse oder auch Misserfolge gegeben?
Dipl.-Ing. Dirk Döbler: Die Tiefpunkte lagen sicher in den Anfängen; Swen Tilgner und ich sind 1998 zu Dr. Heinz gekommen, während gleichzeitig die damalige Basistruppe ausschied. Es gab sicher immer wieder die Situation, wo man sich fragte, bringt es überhaupt noch etwas? Auch im eigenen Haus musste man schon um die Unterstützung kämpfen. Da gab es auch viele Lächler ... Das ist aber bei solchen Entwicklungen immer so. Wenn nicht gleich Geld verdient wird, dann ist es schwierig.
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Aus der Historie erklären sich vielleicht einige Dinge, die im Rückblick merkwürdig erscheinen mögen: Ich hatte 1992 einen physikalischen Zugang zum Neurocomputing entdeckt. Plötzlich konnten ganz seltsame Sachen berechnet werden, wie Datenadressierbarkeit, nervliche Redundanz oder Zooming und Movement. Spiegelverkehrte Kartierungen konnten nun analysiert werden, die kannte man nur aus der Optik.
Das führte dazu - ich war gerade dabei, ein Ingenieurbüro zu eröffnen -, dass ich meinen Computer zweckentfremdet habe, um ein Buch über Welleninterferenz auf Leitbahnen zu schreiben.
Ich wollte diese verkehrte Welt auseinander dröseln, um einen Einstieg in dieses Feld zu bekommen. Und dabei kommen einem viele neue Ideen, was sich alles so entwickeln lässt auf diesem Gebiet. Man bemüht sich zunächst um Grundlagenforschungsmittel. Aber man stößt dabei immer wieder auf Gutachter, die sagen, das kenn' ich nicht, das verstehen wir nicht. Die Reaktion war, dass wir uns auf eine Applikation konzentriert haben, mit der man die Netzwerkeigenschaften demonstrieren konnte: die Akustische Kamera war eigentlich zunächst nur als Applikation gedacht.
So richtig ernst wurde es erst allmählich, und zwar in dem Maße, in dem immer mehr Kunden kamen. Die Presse spielte auch eine entscheidende Rolle. Da stand mal etwas in einer Zeitung und dann kamen immer mehr Presseleute, mit den Presseleuten natürlich immer mehr Kunden, und plötzlich war ich nicht mehr Wissenschaftler, sondern fünf Jahre lang nur noch Manager, Kundenberater, Dienstleister oder Vertriebsmann. Mein Job wandelte sich dramatisch, aber kontinuierlich. Die Arbeit nahm immer mehr zu, bis wir - das war ein harter Kampf - Vertriebsleute mit ins Boot nehmen konnten. Damit hat sich die Situation etwas entspannt, und jetzt kann ich sogar am ersten Buch über akustische Photo- und Kinematographie für Springer arbeiten.
Berlinews: Sie arbeiten hier in einer "Ideenschmiede" mit vielen unterschiedlichen Bereichen. Wie strukturiert sich das und wie sieht das Team aus, das am Projekt beteiligt war?
Dipl.-Ing. Dirk Döbler: Wir haben hier in der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI) eine sehr positive Arbeitsatmosphäre und große Freiräume, die man auch braucht, um kreativ zu sein und Ideen umzusetzen. Als ich anfing, waren wir ein sehr kleines Team, vier Leute: Swen Tilgner , Dr. Heinz natürlich, Than Nguyen und ich. Von 1998 bis 2000 kamen mehrere "Durchgangskandidaten". Die haben ein halbes Jahr gearbeitet und immer mit dem Argument aufgehört, dass das ja doch alles nichts wird. Die Bezahlung war natürlich auch nicht so toll. Zu der Zeit gab es den Internet-Boom mit dem großen Push für alle Netzwerkmanagementleute. Die Firmen schossen wie Pilze aus dem Boden. Da war es dann nicht leicht zu sagen, wir glauben aber an diese Idee und nicht an irgendwelche Internet-Cafés. Das war wirklich ein ganz kleines Kernteam. Und erst als die Erfolge am Horizont sichtbar waren, da ging es dann auch mit der Personalstruktur aufwärts.
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Unser Chef hat eine eiskalte Regel, die heißt: Sie können nur das ausgeben, was Sie einnehmen. So musste man schon über längere Zeit Überschüsse in Form von Industrieaufträgen produzieren, um wieder einen Mann beantragen zu können. Insofern war es manchmal bitter, manches hätte vielleicht schneller gehen können. Aber das ist auch der Vorteil der GFaI: Es ist ein Forschungsbetrieb, bei dem es langsam, aber stetig bergauf geht, dessen Personal wächst und dem es immer besser geht. Wenn wir die GFal mit staatlichen Förderstrukturen in Deutschland vergleichen, hat dieser quasi privatwirtschaftliche e.V. - so ganz privat ist ja ein Verein auch nicht - ein paar sehr interessante Seiten. Nämlich dass jede Arbeitsgruppe ganz genau messen kann, ob es bei ihr voran oder rückwärts geht. Damit blüht ein Forschungsbereich entweder auf oder er verschwindet wieder vom Markt. Im Gegensatz zu staatlich geförderten Strukturen sind wir zu Erfolg, nicht zu Papers verdammt. Das sind die Chancen der Industrieforschung. Aber Grundlagenforschung kann man mit diesem Prinzip natürlich eigentlich nicht betreiben, auch wenn sie bei der Akustischen Kamera geleistet werden musste.
Berlinews: Sie sind bereits mit verschiedenen Preisen für Ihre Arbeit ausgezeichnet worden. Welchen Einfluss haben solche Ehrungen auf Ihre Arbeit?
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Einen ganz großen Einfluss. 2001 haben wir den Otto-von-Guericke-Preis bekommen und drei Monate später fing das Geschäft an, das stand sicher in gewissem Zusammenhang. Es ist ja nicht so, dass eine Erfindung sofort erfolgreich ist. Da fährt 1865 ein Auto durch Wien, und gleich wollen alle dieses Auto haben? Denkste - es ist ganz anders. Der erste Erfinder scheitert, wird wegen des Geknatters immer wieder verhaftet. Als dann vor 1890 die ersten Autos kamen, standen sie in Konkurrenz zu den Pferdewagen und außerdem zu den Dampfautos, denn in Rennen waren die Benziner den Dampfwagen bis gegen 1900 stets unterlegen. Ansonsten waren sie viel teurer als Pferdewagen. So ähnlich war das bei uns auch. Es war nicht so, dass sich die Leute sofort danach gerissen hätten. Es gab also eher eine vornehme Skepsis. Keiner wusste, ob man sich so richtig darauf verlassen kann, ob das wirklich funktioniert und schneller geht als die klassische Methode per "Hand-Scan".
Deshalb haben wir bei der ersten verkauften Kamera (bei Porsche) ein Experiment gewagt. Siegfried Mayer und Kim Havemann haben alles selbst ausgepackt und selbst in Betrieb genommen. Fünf Minuten später hatten sie das erste Bild: Sie waren begeistert. Wir natürlich noch mehr!
Es ist bei Messtechnik nicht unbedingt üblich, dass man intuitiv alles zusammenstecken kann und dass es dann auch noch funktioniert. Dazu sind üblicherweise lange Vorbereitungen nötig, gerade bei der akustischen Messtechnik, weil die Anordnungen so komplex sind, dass man dazu tagelange, wochenlange Erfahrung braucht. Wie fährt man so ein System hoch, wie kalibriert man es? Und dazu kamen auch noch die allgemeinen Vorbehalte, die ich schon erwähnte. Gerade bei den Akustikern. Natürlich hilft es dann, wenn das Projekt mal von Gutachtern oder einer Jury unter die Lupe genommen wird. Das kann dann nicht ganz so unmöglich sein. Die Auszeichnungen haben uns schon die Türen geöffnet.
Berlinews: Wir haben vorhin schon kurz den Einsatzbereich der Akustischen Kamera angesprochen. Welchen Nutzen hat der "normale Mensch" von Ihrer Innovation?
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Als wir die ersten akustischen Bilder herausgegeben haben, lebten wir zufälligerweise - ich betone: zufälligerweise, weil ich nicht weiß, ob es wirklich korreliert - in einer Zeit, in der eine Sensibilisierung gegenüber Schall einsetzte, warum auch immer. Wie gesagt, das kann zufällig sein, es kann auch ein subjektiver Eindruck sein. Es kann aber auch sein, dass die Sensibilisierung durch die Analogie dieser Bilder zur Optik ausgelöst wurde, weil man plötzlich genauere Vorstellungen bekam von dem, was Schall ist, wie Schall wirkt. Auf einmal konnte jedermann sich vorstellen, wie Lärm aussieht oder reflektiert wird. Zum Beispiel bei einer Windanlage, deren Propellerspitzen rot leuchten, oder bei einer U-Bahn, deren Räder im akustischen Bild rot leuchten - bei Tempo 30 sind sie laut. Dadurch, dass man Schall durch unsere Innovation qualifizierter wahrnimmt, nimmt sicher auch das allgemeine Diskussionsniveau zu. Dadurch aber, dass auch der Entwickler oder Konstrukteur (ohne Akustikstudium) nun etwas mehr versteht von dieser ihm unbekannten Welt, kann er bei seinen Produkten viel klarere initiale Maßnahmen gegen Lärm treffen.
Dipl.-Ing. Dirk Döbler: Zurzeit gibt es drei Hauptanwendungsgebiete dieser Technik. Da ist einmal die Lärmbekämpfung. Lärm ist ein Umweltgift, welches unterschätzt wird: Verkehrslärm, Auto, Eisenbahn, Flugzeug ... Es gibt Untersuchungen, dass zum Beispiel das Herzinfarktrisiko um 2 Prozent steigt, wenn man zu viel Lärm ausgesetzt ist, vor allem nachts. Der Tiefschlaf wird gestört. Der Körper wird immer wieder - die Straßenbahn rollt alle Viertelstunde da unten vorbei - aus dem Schlaf gerissen. Unsere erste Intention war es, ein Instrument zur Verfügung zu stellen, mit dem man zunächst einmal die Ursachen von Lärm erkennen und, weil erkannt, auch abstellen oder zumindest mindern kann.
Das zweite Anwendungsfeld ist Sound-Design. Das ist inzwischen auch der Bereich, womit wir das meiste Geld verdienen. Die Automobilhersteller bauen einen Motor, der muss gut klingen. Und wenn es irgendwo rasselt oder klappert, dann klingt dieser Motor nicht wertig. Die Nobelmarken legen auf den typischen Sound besonderen Wert; da will man in möglichst kurzer Zeit, denn Zeit ist Geld, Fehlerstellen aufspüren. Der Motor steht auf dem Prüfstand, der Prüfstand kostet viel Geld. Die Kosten, die dort entstehen, sind immens, und je schneller man diese Fehler findet und eliminiert, desto mehr spart man.
Das dritte Hauptanwendungsgebiet, das betrifft allerdings mehr die Forschung, das ist Qualitätssicherung. Es gibt ja die berühmte Anekdote vom Automechaniker, der in den Motorraum hört und prompt sagt, das dritte Ventil vorne, das muss man einstellen. Das möchte man objektivieren; wenn der Mann einen schlechten Tag hat, findet er den Fehler nicht. Man könnte mit akustischen Fotos zum Beispiel einen Soll-Ist-Vergleich durchführen und feststellen: So muss es aussehen. Oder aber: Da ist ein roter Fleck, nein, das kann nicht durchgehen ...
Swen Tilgner: Die breite Öffentlichkeit hat den größten Nutzen durch die Lärmbekämpfung. Ein Anlagenfahrer oder Maschinenbauer ist täglich Lärm ausgesetzt. Die Richtlinien für den Lärmpegel werden zwar gesenkt, trotzdem sind die genutzten Maschinen laut und dürfen nur mit diesen Mickymaus-Ohren, mit Gehörschutz, betrieben werden.
Mit unseren Methoden kommt man vom gefühlten Lärm weg und kann den Zustand exakt dokumentieren. Auch die Verantwortlichen werden sensibilisiert. Zeigt unsere Messung beispielsweise einen großen blauen Bereich und darin nur einen kleinen roten, so erkennt man sofort, wo genau gehandelt werden muss. Wird jedoch in Listen oder Tabellen ein Wert von 79,3 dB angegeben, ist dieser nicht sehr aussagekräftig. Unser System dagegen macht die Schallquellen angreifbar.
Berlinews: Die Technologie wurde bereits in ein erfolgreiches Produkt umgesetzt und wird vermarktet. Seit wann ist es exakt am Markt und wie sieht dieser Markt aus? Welchen Erfolg haben Sie mit dem Produkt? Was kostet so etwas? Wo wird produziert, und wie viele Arbeitsplätze sind daraus entstanden oder resultieren daraus?
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Die Einführung, der erste Verkauf, war im September 2001. Zuvor haben wir das Produkt vielen Kunden vorgestellt. Wir haben Dienstleistungsmessen durchgeführt. Wir sind zum Kunden gefahren und haben offen gesagt, dass wir nichts Fertiges präsentieren können, sondern an ihren Objekten live messen wollen und die Probleme zunächst kennen lernen müssen. Damit startete die eigentliche Industrieentwicklung. 1999 war das Produkt schon so weit fertig, aber die Kamera war noch nicht integriert.
Unser Markt ist in erster Linie die Automobilindustrie, und da geht es zunächst nicht um Lärmvermeidung, sondern darum, Störgeräusche zu erkennen oder zu vermindern. Gerade in dem Bereich, wo akustische Emissionen von Baugruppen visualisiert werden, spielt die Kamera eine wichtige Rolle. Für unsere Kunden sind die entscheidenden Argumente, dass man den Schall dokumentieren kann, dass man Schall zu einer Leitungsentscheidung machen kann. Das ist eine ganz wichtige Sache. Die Bilder sind vom Leiter nachvollziehbar, sie sind "chefkonform".
Das führte dazu, dass Daimler schon vier Akustische Kameras hat. Die klare Aussage von Chefs der Qualitätssicherung ist, dass man nun endlich etwas in der Hand hat, was man z. B. den Zulieferern per Bild als E-Mail schicken kann. Vorher hat man bei Qualitätsmängeln vier Wochen nach Ursachen geforscht, hat einen zig-seitigen Bericht geschrieben, der wurde dann an den Zulieferer geschickt. Dann dauerte es weitere vier Wochen, und dann hat der Akustiker des Dienstleisters den Gegenbericht geschickt. Und als Chef konnte man im Endeffekt nichts machen: Liegt es an der Lichtmaschine oder liegt es am Einbau der Lichtmaschine oder an der Umgebung, dass die wie eine Trompete den Lärm hinausbläst? Ein Bild aber versteht jeder Manager: Da ist es rot, da ist es blau, und ihr oder ihr müsst das Problem lösen.
Dipl.-Ing. Dirk Döbler: Nach dem ersten Anstoß entwickelt sich ein Prozess: Hat die eine Abteilung so eine Kamera, will die andere auch eine, denn die bekommt immer die Bilder vorgesetzt. Die Bilder sind natürlich sehr suggestiv. Man kann schlecht etwas dagegen sagen, sie zeigen mehr als Zahlen. Früher gab es Listen mit Werten, jetzt das Bild. Ein überzeugendes Argument.
Zunehmend gehören jetzt auch Zulieferer zu unseren Kunden. Der schwarze Peter wird gerne weitergereicht: Fensterheber, Lichtmaschine, Türverriegelungen - das sind alles Teile, die Geräusche verursachen. Weiterhin gibt es Firmen, die das System kaufen, um damit Dienstleistungen anzubieten. Und es gibt zunehmend Kunden außerhalb des Automobilbaus. Kühlschränke, Getriebe und sogar Plasmabildschirme werden mit der Akustischen Kamera optimiert.
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Das System kostet um die 100.000 Euro. Hier am Standort in Adlershof sind 15 Leute tätig, wir haben aber darüber hinaus 2004 ein internationales Dienstleistungsnetz aufgebaut, so dass sich in jedem Land ein bis zwei Leute um den Vertrieb der Kameras kümmern. In Deutschland existiert darüber hinaus ein Dienstleisternetzwerk. Damit sind schon vor Jahren weitere Arbeitsplätze entstanden. Dann kommt hinzu, dass wir etwa 120 Zulieferer haben. Das sind manchmal triviale Dinge, wie Gummis, Schrauben oder Blechteile etc. Aber wie auch immer, es entsteht ein Marktpotential, und es entstehen viele neue Jobs dadurch.
Berlinews: Wie sieht die Wettbewerbs- bzw. die Patentsituation aus? Wie stehen Sie mit Ihrem Produkt im internationalen Vergleich? Und welche Weiterentwicklungen gibt es möglicherweise noch?
Dipl.-Ing. Dirk Döbler: Seit zwei Jahren sind die großen Akustikhersteller ebenfalls aktiv. Ein Mitbewerber hat sich Ende 2002 entschlossen, auch auf diesem Gebiet tätig zu werden, obwohl wir von ihm vorher eher ein mitleidiges Lächeln geerntet haben, wenn man sich auf Messen getroffen hat.
Ein weiterer Wettbewerber ist jetzt wieder vom Markt, sie haben das nicht als lukrativ gesehen, oder es passte nicht in deren Marktstrategie. Und es gibt einen, der sich auf diesem Gebiet betätigt, allerdings nicht mit einer Lösung als Produkt, sondern als Dienstleister. Das System ist so komplex, dass es bis jetzt wohl nicht verkauft werden kann. Seit kurzem gibt es einen Anbieter aus Dresden und einen aus Japan.
Dr.-Ing. Gerd Heinz: Aber wir haben all die Eigenschaften, die elementar sind, patentrechtlich sichern lassen, daran kommen andere nicht wirklich vorbei. Jetzt passiert die Anmeldung in den einzelnen Ländern. Es wird sicher im Verlauf der Zeit weitere Patente für weitere Neuentwicklungen geben.
Dipl.-Ing. Dirk Döbler: Grundsätzlich geht die Weiterentwicklung in die Richtung kleiner, schneller, besser, so wie die allgemeine Entwicklung der Technik auch. Wir wollen ein System anbieten, das nicht teurer ist als das System von heute, aber doppelt so leistungsfähig, außerdem soll es mehr Features haben. Die Entwicklung geht auch in die Richtung, dass man nicht nur eine Fläche, sondern auch Innenräume von Flugzeugen, von Autos kartieren kann. Es gibt bei den großen Flugzeugherstellern immer Probleme mit Schall, weil Strömungsgeräusche von außen in die Kabine dringen. Ich selbst habe schon einmal im Flieger an einer Stelle gesessen, an der ich am Schluss wirklich taube Ohren hatte. Da möchten die Hersteller natürlich auch genau wissen, wo, an welchen Stellen, an welchen konstruktiven Elementen wie Fenster, Fensterrahmen, Spanten oder Holmen das in den Raum übertragen wird. Es geht also in Richtung 3D.
Quelle: http://www.berlinews.de/ 6.11.2005