Menschen und Maschinen sind mittelmäßig originell
HU-Psychologin Jennifer Haase untersucht die Kreativität von Menschen und KI-Systemen
Angeborenes Genie, ein sensibles Nervensystem oder doch bloß ein Trainingseffekt? Die Frage, was Kreativität ist und wie sie gefördert werden kann, treibt die Psychologin Jennifer Haase seit mehr als 15 Jahren um. Am Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) untersucht sie, wie sich Technik und Automatisierung auf die menschliche Kreativität auswirken – und stellt dabei nicht nur Menschen, sondern auch künstlichen Intelligenzen (KIs) Kreativaufgaben.
Kreativ sein? Die eine kann’s, der andere nicht. So oder so ähnlich denken viele Menschen, stellen sich Kreativität als eine Persönlichkeitseigenschaft vor, die originelle Leistungen erst möglich macht. Die Kreativitätsforschung jedoch kommt zu anderen Ergebnissen. Ihr zufolge muss jeder Mensch improvisieren und verhält sich somit auch regelmäßig kreativ. Ob es dabei nun darum geht, ein E-Fahrzeug zu gestalten, sich ein neues Strickmuster auszudenken oder neue Wege zu finden, weniger oft abzuwaschen – die Prozesse, die im Gehirn ablaufen, sind die gleichen. Jede dieser Kreativleistungen baut auf bereits Vorhandenem auf. „Wir generieren nie etwas gänzlich Neues: Wir kombinieren Informationen und formen sie so um, dass sie in einem bestimmten Kontext neu erscheinen“, erklärt Jennifer Haase.
Ein Beispiel? Edisons Glühbirne. Der Erfinder hielt tatsächlich gar kein Patent auf ein neuartiges Leuchtmittel, sondern auf eine Verbesserungsidee. „Es gab nämlich schon etliche Vorvarianten: Zwischen Kerze und Glühbirne gab es viele Zwischenschritte und daran waren viele Entwickler beteiligt“, so Haase. „Für unsere Ideen ist das absolut typisch.“ Der Psychologin und ihren Kolleg:innen zufolge erwächst Kreativität also aus Wissen, hat mit der wachen Auseinandersetzung mit der Umwelt zu tun, ebenso wie mit der Rekombination von Ideen und Informationen. In diesem Sinne können auch KI-Systeme kreativ sein, denn sie greifen auf einen umfassenden Datenschatz zurück, aus dem sie Elemente herausfischen und miteinander kombinieren können – von nigerianischen Romanen über Kunstwerke der Renaissance bis hin zu Youtube-Videos über Upcycling.
„Die menschliche Kreativität lebt zumeist davon, dass wir entfernte Ideen miteinander kombinieren“, erklärt Haase. „Unser Gehirn ist aber begrenzt in Hinblick auf das, was wir wahrnehmen, erinnern, in wie viele Themenbereiche wir uns einarbeiten können. KI dagegen greift auf sehr viele Daten zurück. Da sehe ich mit Blick auf Kreativität also ein sehr großes Potenzial.“
Wie gut sich die heutigen KI-Systeme bereits als Alltagskünstler machen, hat die Forscherin 2023 gemeinsam mit ihrem Kollegen Paul Hanel in einer Studie untersucht. Die Forschenden baten 100 Proband:innen und sechs KI-Systeme, Ideen zu generieren. Zum Beispiel zu der Frage, was sich mit einem Backstein machen lässt. „Die Originalität der Antworten haben wir dann sowohl von Studierenden als auch von einer KI bewerten lassen – auf einer Skala von eins bis fünf.“
Hunderte Ideen sahen sich die menschlichen Schiedsrichter:innen und die Bewertungs-KI genauer an. Das Urteil fiel dann recht einstimmig aus: „Wenn es darum geht, Ideen zu generieren, ist die heutige KI im Schnitt ähnlich unkreativ wie wir Menschen“, sagt Jennifer Haase und lacht. Zwischen Menschen und Maschinen herrschte also Gleichstand. „Ich muss aber sagen, dass die Bandbreite der Ergebnisse doch relativ groß war.“ Auf bestimmte Fragen habe eine KI so zum Beispiel gar keine Antworten generieren können, eine andere spuckte Ergebnisse aus, die auf Haase und Hanel wenig ausgereift wirkten. Die Antworten eines weiteren KI-Systems erwies sich dafür als besonders originell: „ChatGPT4 ging da deutlich als Gewinner hervor, zeigte die besten Leistungen. Das System hat auch die bei weitem größte Datenbasis.“
Künstliche Intelligenz, die so originell ist wie wir – zumindest im Durchschnitt. Die nächste große Kränkung für die Menschheit? Immerhin: „Die allerbesten, kreativsten, originellsten Ideen, die kamen in unserer Studie immer noch von Menschen“, so Jennifer Haase. „Das ist ein Ergebnis, das viele als Trost empfunden haben.“ Ob Menschen auch auf längere Sicht die Nase vorn haben werden, muss sich allerdings noch zeigen. Und bereits heute dürfte die immense Leistungsfähigkeit der KI-Systeme vielen Kopfzerbrechen bereiten. „Bisher war die Einführung von KI immer mit dem Narrativ verbunden, dass uns anstrengende Arbeit abgenommen wird. Jetzt aber kommt Technik, die uns das Denken und Kreativsein abnimmt“, kommentiert die Psychologin. „Das betrifft eine gesellschaftliche Klasse, eine Künstlerklasse, die sich bislang von KI, denke ich, eher nicht betroffen fühlte. Oft sind das Akademiker:innen. Was diese Entwicklung bedeutet, haben wir als Gesellschaft, glaube ich, noch nicht ansatzweise verdaut.“
Nora Lessing für Adlershof Journal