Mehr Innovationen aus dem Handwerk!
Vortrag von BAM Chef Prof. Dr. Manfred Hennecke zum Innovationsklima in der Region Berlin/Brandenburg
Prof. Dr. Manfred Hennecke ist Leiter der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und Vorsitzender der Jury für den Berlin-Brandenburgischen Innovationspreis
"Das Innovationsklima der Region"
Der Titel des Vortrages erweckt den Eindruck, ich sei eine Art Meteorologe des Innovationsklimas. Das stimmt natürlich nicht und derartiges dürfen Sie von mir nicht erwarten.
Ich leite hauptamtlich die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin (und mit einem wichtigen Zweiggelände im südlichen Brandenburg). Die BAM mit knapp 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist nicht nur die größte außeruniversitäre wissenschaftlich-technische Einrichtung in Berlin sondern auch eine der größeren Einrichtungen in Europa. Mit gut 60 % Forschungsanteil sind wir selbstverständlich zur Umsetzung unserer Ergebnisse in innovative Produkte und Dienstleistungen verpflichtet. Weil wir in Teilbereichen hoheitliche Zulassungsaufgaben haben, sind die Wege dafür allerdings anders als bei Hochschulen und sonstigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Zwei Beispiele: Dass die CASTOREN für die Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente innovative Produkte sind, weiß die Fachwelt und daran hat die BAM ihren gehörigen Anteil; übrigens, auch der Name CASTOR stammt aus der BAM, er ist ja der Sterbliche des altgriechischen Geschwisterpaares und an seinem unsterblichen Bruder POLLUX, dem Endlagerbehälter, arbeiten wir zusammen mit anderen. Und das Sie in Ihrem Auto trotz der Vervielfachung der Airbags und Gurtstrammer weniger Sprengstoff als früher spazieren fahren, liegt auch ein wenig am Wirken der BAM.
Zu einer Innovation, man muss es immer wieder betonen, gehört nicht nur die pfiffige Idee oder die wissenschaftliche Erkenntnis sondern auch seine Umsetzung in die Praxis, in der Regel also in ein marktfähiges Produkt oder eine Dienstleistung. An dem letzteren scheitern nach meiner Erfahrung sehr viele Bewerber für Innovationspreise und vermutlich noch mehr Leute, die sich erst gar nicht um solche bewerben. Insbesondere jüngere Wissenschaftler, gelegentlich auch gestandene Professoren, unterschätzen den Aufwand und den Finanzbedarf, aus einem Labormuster etwas Verkaufsfähiges zu machen. Manche meinen irrtümlicherweise, mit einem Patent sei es schon getan. Hier waren die Universitäten und ihre Transfergesellschaften, die Technologiestiftung und viele andere in den letzten Jahren um Aufklärung bemüht. Das Informationsangebot und die Hilfestellungen zur Überführung in den Markt sind nach meiner Wahrnehmung deutlich besser geworden. Auch das gehört zu einem guten Innovationsklima dazu.
Zur Klimaverbesserung tragen natürlich auch Innovationspreise und sonstige öffentliche Anerkennungen von Innovationen bei, das dürfte unstrittig sein. Ob sie für den einzelnen Preisträger mehr sind als eine moralische Aufrüstung (das Preisgeld kann nicht mehr sein), ist schon schwerer zu beurteilen. Die veranstaltende Agentur des BB-Innovationspreises hat vor einigen Jahren versucht herauszufinden, ob die Preisträger wirtschaftlich erfolgreich waren. Diejenigen, mit denen eine Kontaktaufnahme möglich war, waren es in leicht überdurchschnittlicher Weise, was z.B. die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft. Viele jedoch waren überhaupt nicht mehr auffindbar; einer, das kommt in besten Kreisen vor, wurde mit internationalem Haftbefehl gesucht. Vielleicht sollten die auslobenden Regierungsstellen eine regelmäßig gepflegte Erfolgsstatistik führen, als Rückmeldung und Effizienzkontrolle des Innovationspreises.
Die fachliche Breite der Vorschläge für den Innovationspreis ist beträchtlich; sie entspricht den Stärken der Region. Also viel Medizin- und Biotechnik, Informations- und Kommunikationstechnik, optische Technologien, auch Verkehrstechnik. Darüber hinaus kommt einiges aus Querschnittsfeldern, die wenn es um Verbraucherprodukte und Arbeitsplätze geht, häufig übersehen werden (auch im Quadrigaprozess des Berliner Senates), wie z.B. die Materialforschung, die Sensorik, die Fügetechnik oder die analytische Chemie. Ohne solche "enabling" - Techniken gibt es jedoch keine Innovationen in den konsummentennahen Feldern. Leider vermissen wir beim Innovationspreis wirklich innovative Dienstleistungen; noch nie hat eine innovative Dienstleistung den Innovationspreis erhalten (ich erinnere mich dunkel, ein Vorschlag aus Ihrer Firma, Herr Wall, hätte es beinahe geschafft).
Das bringt mich zu einer Argumentation, die ich bei den öffentlichen Veranstaltungen des Innovationspreises immer wieder vortrage: Es ist für die Gesellschaft zu wenig, wenn man Innovationen nur aus den Forschungslaboratorien erwartet. Die Zahl der unmittelbar daraus entstehenden Arbeitsplätze ist gering. Über 90 % der Mitgliedsunternehmen der IHK und der Handwerkskammer haben keinen direkten Bezug zu Forschung und Entwicklung: Sind hier keine Innovationen möglich?
Wenn Sie heute durch die Stadt gehen, finden Sie an vielen Ecken einen Videoladen (inzwischen eher DVD-Laden); vor 20 Jahren gab es so etwas nicht. Wir brauchen mehr Innovationen aus dem Handwerk und den Dienstleistungsbereichen, selbstverständlich auch denjenigen des Staates, der Städte und Gemeinden. 2005 haben wir nach langem vergeblichen Hoffen zum ersten Mal einem Tischlermeister den Innovationspreis verliehen: Selten so gefreut!
Mit der Meinung, dass Innovationen nicht nur aus Forschungs- und Entwicklungslaboren stammen können, stehe ich nicht allein. In der Broschüre "Deutsche Stars", anlässlich der "Innovationsoffensive" der Schröder - Regierung herausgegeben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, werden die high-tec-Innovationen aus Deutschland aufgeführt, die wir alle kennen. Aber in der Broschüre stehen auch die Currywurst, die Jeans, das Gummibärchen, das Mensch-Ärgere-Dich-Nicht - Spiel, die Mundharmonika und die Reformation; die Büroklammer, von der wir wissen, dass sie aus Brandenburg stammt, ist nicht einmal erwähnt. Fazit: Das Innovationsklima muss idealerweise in allen Bereichen der Gesellschaft herrschen, nicht nur im Umkreis von Forschungseinrichtungen.
Das richtige Innovations-Hochdruck-Klima stellt sich nicht von alleine ein. Wir können vermuten, dass seine Träger erfahrungsgemäß gewisse persönliche Voraussetzungen mitbringen, beispielsweise Kreativität, Dynamik, Rationalität, autonomes Handeln, und einen Schuss Non-Konformität. Das hat nicht jeder, und, obwohl ich selber ein Beamter bin scheue ich nicht die Behauptung, dass ein Laufbahnbeamter im Allgemeinen eine andere Mischung davon hat als jemand, der mit 30 seine zweite Firma gegründet hat.
Der Innovationshochdruck - und damit die Möglichkeiten seiner Träger - wird außerdem von den gesellschaftlichen und staatlichen Rahmenbedingungen maßgeblich bestimmt. Innovationsfreundlichkeit ist schlecht oder gar nicht vereinbar mit dem Hang zu vollständiger Risikovermeidung. Manche Gesetze, nicht nur in der Gen- und Kerntechnik, und manche Politiker haben diese Zielsetzung oder erwecken diesen Eindruck. Verkrustete Strukturen sind Tiefdruckgebiete der Innovation; um mich nicht mit Lebenden anzulegen nenne ich beispielsweise Zünfte oder aristokratische Reservate. Der Innovationshochdruck steigt bei Weltoffenheit, freier Information und Kommunikation, neuerdings auch wegen der Netzwerke. Er sinkt irreversibel, wenn Fehlschläge nicht auch einmal toleriert und verziehen werden. Das Innovationsklima benötigt Förderung vom Staat und von der Wirtschaft. Noch wichtiger als Förderung vom Staat sind jedoch Freiräume vom Staat - für staatliche Forschungseinrichtungen genauso wie für Unternehmen.
Vermutlich ist es richtig, dass es immer wieder große relative Unterschiede im Innovationsklima zwischen Gegenden der Welt gibt und gegeben hat, die in vorteilhafter Weise genutzt wurden. Man denke an das Preußen der Aufklärung im Vergleich zu den katholischen Staaten der Gegenreformation. Oder an die deutsche Naturwissenschaft bis zur Nazizeit, wesentlich getragen von der Humboldtschen Autonomie der deutschen Hochschulen. Oder an die Vereinigten Staaten von Amerika, die es auch heute noch schaffen, die besten Köpfe der ganzen Welt in ihre wissenschaftlichen Einrichtungen zu locken.
Am Schluss mein persönliches Fazit für Berlin: So schlecht sind Klima und Wetter hier gar nicht (sonst wäre auch ich nicht hierher gekommen), aber natürlich kann es noch besser werden. Lassen Sie uns daran arbeiten.
Impulsvortrag, vorgetragen auf der Veranstaltung "Herausforderungen und Chancen für den innovativen Mittelstand" der Dr. Röver & Partner im Solar, Stresemannstr. 74 am 29. August 2005, 18:00 Uhr in Berlin
Mehr Freiräume für Innovationen
Dr. Röver & Partner KG lud zur Diskussion über Innovationspolitik in Berlin und Brandenburg
Prof. Dr. Manfred Hennecke - Lebenslauf und beruflicher Werdegang:
- Geboren 1948 in Eimen (Niedersachsen)
- Abitur 1966, Grundwehrdienst 1967/68 (Res. Offz. seit 1972)
- Chemiestudium an der Bergakademie/Technische Universität Clausthal, Promotion in Physikalischer Chemie (der Polymeren) an der Universität Kaiserslautern
- Post-Doc an der École Supérieure de Physique et de Chimie Industrielles de Paris (1981)
- Habilitation (1989) für das Fach Physikalische Chemie an der TU Clausthal
- Hochschuldozent für Physikalische Chemie (1990)
- Leiter der Fachgruppe "Polymerwerkstoffe" (1991) an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin
- Vizepräsident der BAM (1993)
- Präsident der BAM (2002)
- apl. Professor an der TU Clausthal (1994), Honorarprofessor an der FU Berlin (1995)
Forschungsgebiete:
- Physikalische Chemie der Polymeren, insbesondere: optische Spektroskopie von Dimeren, Oligomeren und Polymeren (insbesondere mit polarisiertem Licht, einschließlich zeitaufgelöster Spektroskopie);
- Photochemische Reaktionen und Alterung von Polymeren (Chemilumineszenz);
- Herstellung und Charakterisierung von plasmapolymerisierten Schichten
Aktuelle Ehrenämter (Auswahl):
- Verwaltungsrat der Stiftung Warentest, Vorsitzender des Instituts für Angewandte Chemie Adlershof e.V., Präsidium des DIN, BoA of EUROLAB, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Ressortforschungseinrichtungen des Bundes
Quelle: BerliNews, 31.8.2006