Greifen wie von Zauberhand
Ein junger Ingenieur aus Berlin entwickelt aus einer international wenig beachteten Idee effiziente Produktlösungen für die Industrieautomation
Zumindest dem Laien erscheinen die Greifer des Transportroboters äußerlich nicht ungewöhnlich. Blitzschnell und äußerst schonend können sie Materialien aufnehmen und diese an anderem Ort ebenso vorsichtig wieder ablegen. Doch herkömmliche Saugnäpfe oder Nadeln sucht der Fachmann an den Greifwerkzeugen vergeblich. Sie arbeiten nach einem in der Praxis weltweit neuen Prinzip. Das Transportgut wird angefroren und später wieder abgetaut.
Um die Entwicklung und Industrieeinführung der revolutionären Greiftechnik hat sich besonders der junge Berliner Maschinenbauspezialist Dr.-Ing. Jörg Stephan verdient gemacht. Dem heute 33-Jährigen war bereits als Student klar: Wer unmittelbar nach der Uni die eigene Technologiefirma gründen will, der braucht nicht nur Mut, Zielstrebigkeit, Kontakte und eine Portion Glück. Unabdingbar ist vor allem ein gehöriges Maß an praktisch-fachlicher Erfahrung; erworben in der Hochschulzeit. So hat es Stephan praktiziert, Absolvent der Berliner Technischen Universität, heute geschäftsführender Gesellschafter der NAISS GmbH in Adlershof - ein Mittelstandsunternehmen mit Perspektive kraft eigener Innovationsfähigkeit.
"Schon im Studium hatte ich die Absicht, mich hinterher selbständig zu machen", erinnert sich dessen Chef. Während dieser Zeit hatte sich der angehende Maschinenbauer bereits intensiv mit dem bis dahin weitgehend unbekannten und wenig erschlossenen Spezialgebiet beschäftigt - Entwicklung und Einsatz der Gefriergreiftechnik beim Transportieren und Bearbeiten so genannter biegeschlaffer Bauteile. Das können luftdurchlässige und benetzungsfähige Bekleidungs- und technische Textilien aber auch Gewebe aus Glas- und Kohlefasern sein, die mit herkömmlichen Nadel- und Sauggreifern nicht zu fixieren sind.
Kurz nach dem Diplom (1996) hatte Stephan das Patent auf das Verfahren des 'Festkörper-Gefriergreifens' erworben. Er gründete ein Ingenieurbüro, das 1999 in eine GmbH umgewandelt wurde. An der TU entstandene erste Funktionsmuster der neuartigen Greifwerkzeuge - Baugruppen für Zuführ- und Transportsysteme sowie Roboter in der Automobil- und Flugzeugbau-, in der Textil- und Möbelindustrie - hatte der hartnäckige Tüftler schon während seines Studiums auf Fachmessen vorgestellt. Dort knüpfte er auch die notwendigen Kontakte zu potenziellen Kunden, lernte deren Anforderungen kennen. "So war ich auf die Selbständigkeit insgesamt recht gut vorbereitet", resümiert er.
Partner für die weitere Arbeit fand der Absolvent in seiner Uni (wo er mittlerweile als Gastdozent tätig ist) und in hauptstädtischen Institutionen. Während der Promotionsphase - bis 2001 - hatte Stephan als Firmenchef und Projektentwickler zudem die Existenz seines Betriebes zu sichern. Hundert Arbeitsstunden je Woche empfindet er seither für sich als Normalität. Aus jener Zeit datiert auch der Businessplan der NAISS GmbH mit der 'Produktidee Gefriergreifer'. Auf dieser Grundlage wurde die Unternehmensgründung Ost mit Fördermitteln des Bundes unterstützt. Der Plan ist inzwischen mehrfach überarbeitet worden, denn die Gesellschaft bietet heute neben maßgeschneiderter Gefriergreif- und Spanntechnik auch Nadelgreif- und weitere Handhabungssysteme für verschiedene Anwendungsgebiete sowie Engineeringleistungen (Sonderlösungen) an.
Laut Stephan ist die Idee des Gefriergreifens Anfang der 80er Jahre in der Schweiz geboren worden. "Die ersten Systeme waren aber träge und wenig effizient." Erst mit den so genannten Peltier-Modulen, die etwa zehn Jahre später auf den Markt kamen, konnte sich das ändern. Dabei handelt es sich um kleine elektrische Baugruppen zur Kälteerzeugung.
Sie dienten zur Entwicklung des Prototyps des neuartigen Greifwerkzeugs. Das Verfahren ist leicht zu verstehen: Die Düse eines Dosiersystems träufelt einen winzigen Wassertropfen (oder sprüht einen feinen Nebel) auf das Material oder Bauteil. Dann wird diese Stelle innerhalb von weniger als einer Sekunde durch das Peltier-Kühlelement des Greifers - es fungiert zugleich als Greiffläche - bei minus zehn Grad Celsius vereist, wobei das Transportgut an der Greiffläche anfriert. Beim Ablegen des Bauteils wird das Eis mit Hilfe von Druckluft oder Strom ebenfalls in kürzester Zeit aufgetaut. Jeder Greifer eines Systems kann auf diese Weise etwa zwei Kilogramm Gewicht tragen; NAISS hat mittlerweile die neunte Generation dieser Gerätetechnik entwickelt und im Angebot. Industrielle Wettbewerber dafür gebe es weltweit derzeit nicht, weiß der Geschäftsführer.
Neben diesem Greifwerkzeug, "das sicher und schnell arbeitet und einfach in bestehende Anlagen zu integrieren ist, haben wir zuletzt auch solche Werkzeuge für das Gefrierspannen entwickelt". Diese eignen sich nach den Worten Stephans zum Beispiel besonders für optische und mechanische Werkstücke mit speziellen Geometrien. Seine Baugruppen für die Industrieautomation, darunter die hochproduktive Cryo-Technik, zu der beispielsweise auch Miniaturgreifer gehören, sowie Sonderlösungen offeriert das Adlershofer Unternehmen verstärkt seit zwei Jahren und mit zunehmendem Erfolg: Der Umsatz hat sich seit dem ersten Geschäftsjahr vervielfacht.
Mit inzwischen zehn Voll- und sieben Teilzeitbeschäftigten - Ingenieure, Techniker und Studenten - will Stephan 2004 die Millionen-Euro-Grenze erreichen. In die Entwicklung des Gefriergreifens und -spannens hat er mittlerweile rund 1,5 Millionen Euro investiert. Erprobt wird diese Technik derzeit auch in der medizintechnischen und mikroelektronischen Industrie. "Eine neue Technologie, zumal wenn sie erst seit wenigen Jahren einsatzreif ist, benötigt eine gewisse Zeit, um sich in der Breite durchzusetzen", so hat es der Jungunternehmer gelernt. Seine neuen Spannsysteme allerdings sind ihm noch in der Entwicklungsphase praktisch aus der Hand gerissen worden. "Auch deutsche, vor allem aber ausländische Metallverarbeiter zeigen jetzt großes Interesse an unseren Cryo-Erzeugnissen", ist er sich des Durchbruchs sicher. Das laufende soll für NAISS nun zum Jahr der weiteren Markterschließung werden. Stephan will dafür neue Mitarbeiter einstellen. Angesichts der schwachen Konjunktur bedauert er aber "die noch immer spürbare Zurückhaltung vieler heimischer Firmen bei Investitionen".
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