Goethe und die Physiker in Adlershof
Lebhafte Diskussion über knifflige Details der Farbenphysik
Goethes Farbenlehre? – Schon lange nur noch ein Fall für Historiker und Wissenschaftstheoretiker! So könnte man meinen. Und mit Recht, denn wer wollte heute ernsthaft das Fundament der physikalischen Optik in den Arbeiten Newtons bestreiten wollen, ohne sich lächerlich zu machen? Und doch ist es immer wieder Goethe, auf den sich große Physiker wie Helmholtz, Heisenberg oder der kürzlich verstorbene Carl Friedrich von Weizsäcker stets bezogen haben, wenn sie die Grenzen des physikalischen Paradigmas seit Newton zu bestimmen suchten. Dass die Kritik des Dichterfürsten an der wissenschaftlichen Methode Newtons auch heute noch Physiker interessiert und zu lebhafter Diskussion über knifflige Details der Farbenphysik anregen kann, zeigte sich im Anschluss an den Vortrag von Prof. Olaf Müller (HU) im Rahmen des philosophischen Seminars, das im Mai zum vierten Mal stattfand, diesmal mit Rekordbeteiligung (54 Mitarbeiter).
Heterogenität der Finsternis
Prof. Müller brachte die methodologische Kritik Goethes an Newton klar auf den Punkt und stellte Fragen, dass ein lebhaftes Für und Wider entbrannte. „Die Phänomene, über die Goethe und Newton noch rätselten, lassen sich heute durch klassische Theorien der Lichtbrechung und Beugung sowie durch die physiologische Farbempfindung des menschlichen Auges vollständig erklären“, so Prof. Sandner, Direktor am Max-Born-Institut (MBI), der selbst Vorlesungen über Optik an der TU hält. Aber Goethes Begriff der Heterogenität der Finsternis hatte es ihm dennoch angetan. So ging es auch anderen. Damit ist gemeint, dass man sich nicht nur, wie üblich, weißes Licht aus Spektralfarben zusammengesetzt denken kann. Nach Goethe ist es ebenso möglich, totale Finsternis als Ergebnis einer additiven Überlagerung verschiedener Farben zu denken. Interessanterweise gibt es diese Seltsamkeit für begrenzte Zeitintervalle bei der Erzeugung ultrakurzer Lichtimpulse, wie sie seit Jahren am MBI benutzt werden, aber es handelt sich dabei um einen artifiziellen Effekt, der nur mit Lasern realisiert werden kann.
Wie sich zeigte, war die Diskussion über die Farbenlehre mit dem Seminar keineswegs abgeschlossen. Es folgten weitere Veranstaltungen in kleinerem Kreise. Im Kolloquium von Prof. Müller berichtete im Juni der Wiener Künstler Ingo Nussbaumer von seinen jahrzehntelangen Forschungen zu den so genannten „Unordentlichen Spektren“. An der anschließenden Diskussion beteiligte sich mit Dr. Grebe-Ellis ein Physikdidaktiker vom Physikinstitut der HU in Adlershof, der sogar anbot, einzelne Experimente Goethes und Newtons bei am AdlCampus aufzubauen und zu zeigen.
Mitwirkung zum HU-Jubiläum 2010
Die Farbenlehre Goethes erschien 1810, im selben Jahr wurde auch die Berliner Universität (HU) gegründet. Ein Kreis um Prof. Müller plant im Rahmen des Universitätsjubiläums eine Ausstellung zu Goethes Farbenlehre, in der u. a. große Demonstrationen des Goethe- und Newtonspektrums zu sehen sein sollen. Bis 2010 ist noch viel Zeit, aber es handelt sich um eine Aufgabe, bei der Viele zusammenzuwirken eingeladen sind, denn allein die Literatur ist so umfangreich, dass ein Einzelner damit gut die ganzen drei Jahre hinbrächte. Und die Physiker? Ein gutes Stück Weg liegt da vor allen, die zu diesen Jubiläen etwas beitragen wollen.
Das nächste Seminar am 10. Oktober soll sich mit Helmholtz und Goethe beschäftigen.
Kontakt:
Christian Rempel
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