Die Vermessung von Gefühlen
HU-Informatikerin will Angstpatienten mit Sensoren helfen
Schweiß, Herzrasen, Zittern: Lassen sich aus körperlichen Reaktionen Gefühle ablesen? Ja, meint die Doktorandin Monika Domanska. Mit Sensoren versucht sie am Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) in Adlershof, die Signale des Körpers zu entziffern. Ihre Erkenntnisse könnten für Psychotherapeuten hilfreich sein.
Stellen Sie sich folgende Szene vor: Eine Patientin hatte in den vergangenen Monaten bereits zwei Panikanfälle. Beide Male, wenn sie sich überlastet fühlte. Sie ist Verkäuferin, es ist Mitte Dezember, Zeit für die Weihnachtseinkäufe. Seit Stunden arbeitet die Frau im Akkord. Jede Minute ein neuer Kunde, unzählige Artikel einscannen, schnell und fehlerfrei kassieren, auf Wunsch die Ware zu Geschenken verpacken, freundlich bleiben. Die Patientin ist sehr angespannt, ihr Puls erhöht, ihre Hände schwitzen, der Kopf brummt, ihr Körper signalisiert: Stress. In einer Psychotherapie hat sie gelernt, auf diese Signale zu achten, kurz durchzuatmen, sich nicht hetzen zu lassen. Doch jetzt vergisst sie all das, ist unwirsch. Sie braucht einen Helfer. Was wäre, wenn ein schlaues Armband diese Funktion übernimmt? Wenn das Accessoire die körperlichen Signale messen und verstehen würde und der Patientin den Hinweis geben könnte, gelassen zu bleiben?
Tatsächlich könnten tragbare Sensoren bald zur Standardausrüstung von Psychotherapeuten gehören. Monika Domanska, Doktorandin am Institut für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin in Adlershof, leistet dafür viel Vorarbeit. Sie erforscht, wie Gefühlszustände mit Sensoren gemessen und erkannt werden können. „Die Symptome psychischer Probleme wie Depressionen, Schizophrenie oder Angststörungen äußern sich zum Beispiel als Schwankungen der Pulsfrequenz, des Blutdrucks, des Gewichts, in der elektronischen Leitfähigkeit der Haut, darin, wie viel sich jemand bewegt, und vielen weiteren messbaren Werten“, erklärt die Informatikerin. Die eigenen Emotionen wahrzunehmen und einordnen zu können, sei ein wichtiger Baustein der kognitiven Verhaltenstherapie. Tragbare Sensoren könnten den Patienten das Lernen dieser Fähigkeit im Alltag erleichtern.
In ihren Studien möchte Domanska einige der Körpersignale zunächst bei Gesunden und später bei Patienten erheben. Die Studienteilnehmer werden dafür Sensoren tragen. Das können Armbänder sein, aber auch Sensoren in T-Shirts oder Mützen, an einer Brille oder im Gürtel. Die Aufgabe der Informatikerin ist es dann, den Datenberg durchzuarbeiten. „Jedes körperliche Signal muss ich zunächst einzeln betrachten und analysieren, etwa in welchen Momenten der Puls angestiegen ist. Ist derjenige zum Bus gerannt oder hat er sich über etwas aufgeregt?“, erklärt Domanska. Auch Parameter wie die Körpertemperatur, die bei Menschen von Tag zu Tag und je nach Jahreszeit schwanke, müssen in die Datenauswertung einfließen.
Anschließend muss Domanska die Signale von Herz, Haut oder Bewegung im Zusammenhang zueinander betrachten. „Für jeden Menschen ergibt sich aus den Sensormessungen ein ganz individuelles Muster, das in bestimmten Situationen wiederkehrt“, sagt die Nachwuchswissenschaftlerin. Eine bestimmte Kombination aus Puls, Schweiß auf der Haut und Bewegung könnte zum Beispiel bei einem Angstpatienten ein Hinweis darauf sein, dass dieser sich in einem emotionalen Zustand befindet, der bereits mehrfach in eine Panikattacke mündete. Das Gerät würde dann eine Warnung senden. Ein Sensorarmband könnte beispielsweise leuchten, piepen oder vibrieren – und der Patient dann bewusst gegensteuern.
„Die Auswertung eines Datensatzes wird am Anfang viele Stunden bis Tage dauern. Am Ende entsteht ein Algorithmus, der in Bruchteilen einer Sekunde die Daten von dem Patienten erkennt und die Gefühlslage einordnet“, sagt Domanska. In den kommenden Jahren wird in Kooperation mit dem Institut für Psychologie in Adlershof darauf basierend ein „Mood Trainer“ entstehen. Diese digitale und tragbare Anwendung soll dem Patienten helfen, seine Gefühle im Alltag besser zu erkennen und in der Psychotherapie gelernte Maßnahmen gegen Frust, Ärger oder Angst besser einzusetzen.
„Ich wünsche mir, dass meine Forschung die medizinische Versorgung von Menschen mit psychischen Problemen verbessert“, sagt Domanska. Keinesfalls sollen tragbare Sensoren eine persönliche Behandlung ersetzen, sondern vielmehr Teil davon werden.
Von Jana Hauschild für Adlershof Journal