Die große Feliks-Show
Geschichten aus drei Jahrzehnten Stasi-Flur-Funk
„Sprechstelle 1, bitte übernehmen Sie die Kommentierung dieses Ereignisses.“ – Als Erich Mielke mit einer russischen Delegation das Wachregiment Feliks Edmundowitsch Dzierzynski besucht, berichtet das Funkstudio Adlershof live. Aus dem Dachgeschoss des Stabsgebäudes sendet es für zuletzt 11.000 Regimentsangehörige nicht nur, um die „Welt verändernde Kraft des Marxismus-Leninismus“ zu propagieren. Christian Blees, Rundfunkjournalist aus Berlin, hat in einem spannenden, manchmal skurrilen, nicht selten urkomischen Hörbuch Geschichten aus drei Jahrzehnten Regimentsradio zusammengestellt.
Durch Zufall hatte Blees davon erfahren, dass ein privater Sammler in Adlershof in den Wendejahren Tonbänder aus dem Müll im Wachregiment Feliks Dzierzynski gerettet hatte. Die Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, in die Blees die mehreren Dutzend Bänder bringt, erteilt ihm die Genehmigung, diese zu verwenden. Etwa 20 sind in die Produktion des Radio-Features und des Hörbuches „Wir sind eine feste Bastion. Das Stasi-Wachregiment Feliks Dzierzynski auf Sendung“ über das Funkstudio Adlershof eingeflossen.
Das Stasi-Wachregiment Feliks Dzierzynski auf Sendung
Alte, selten gehörte Tondokumente sind eine Spezialität von Blees. Schon zum 100. Geburtstag von Marlene Dietrich hatte er der deutschen Öffentlichkeit zuvor unbekannte Schallplatten – diese enthielten amerikanische Hörspiele der Schauspielerin aus den 1950er-Jahren und lagerten im Filmmuseum Berlin – im Rahmen einer RBB-Rundfunkreihe zugänglich gemacht. Für das Programm über das Funkstudio im Wachregiment fand Blees drei ehemalige Angehörige des Regiments, die in unterschiedlichen Jahrzehnten am Programm beteiligt waren, und zeichnet so ein Panorama von den frühen Siebzigern bis in die späten Achtziger.
„Genossen, ihr hört das Programm vom Funkstudio Adlershof“: Da Soldaten keine Radios in die Kaserne bringen durften, sollte das Funkstudio mit einem eigenen Programm unterhalten und informieren – mit Berichten aus dem Regimentsleben, Propagandasendungen, Hitparaden und Konzertübertragungen, Wunschsendungen sowie Eigenproduktionen. Sendezeit war von 6 bis 22 Uhr.
Pathos, gestelzte Sprache, gelernte Antworten und holprige Parteirhetorik kennzeichnen die Wortbeiträge, aber auch unfreiwillige Komik, wenn zum Beispiel in Berichten aus den Gefechtspausen der „Regimentskommandostabserprobungsübung“ die Antwort auf die Frage nach der Stimmung lautet: „In Anbetracht der Lage, sehr gut“. Oder wenn zum 20. Jahrestag der DDR verkündet wird: „An beiden Seiten unserer erfolgreichen Wegstrecke türmen sich die Trümmer der gescheiterten Absichten des imperialistischen Gegners.“
Unter Freiheit verstehen viele: die Freiheit, abzuschalten
Immer wieder ist Dzierzynski Thema der Sendungen und die erste Tugend der Tschekisten, die Parteitreue. Das Hörbuch zeigt aber auch den Graben zwischen Agitation und Realität: Aus Feliks Edmundowitsch Dzierzynski wird Felix Elektrowitsch Pfefferminski und unter Freiheit verstehen viele „die Freiheit, abzuschalten“. Dennoch: der „Kasten über der Tür“ war für die Soldaten die einzige Möglichkeit, Musik zu hören. Besonders beliebt waren Wunschsendungen mit Eigenproduktionen Gitarre spielender Soldaten, Textübersetzungen aus Pink-Floyd-Songs und sogar eine Comedy-Show.
Eine Perle, sagt Christian Blees, sei der Beitrag über Alkohol im Wachregiment – das wohl kurioseste Tondokument der Hörbuch-CD. Die Schachtel mit der Aufnahme, mit „Alkohol-Sendung“ beschriftet, war eine Art Livereportage vom Kasernentor. Aufgenommen hat sie ein Feldwebel, der aus dem Ausgang von der „Schweinewirtin“ zurückkehrende Soldaten befragte. Ein Stück Realsatire. Darauf kann man nur „ein Hurra aussprechen“.
Im neuen Projekt von Christian Blees geht es um Verschwörungstheorien. Folgt man diesen Theorien, sagt Blees, ist Paul Mc- Cartney seit mehr als 40 Jahren tot, wie man rückwärts gespielten Beatles-Liedern entnehmen kann. Genau das Richtige für den Beatles-Fan Blees. „Sprechstelle 1, ich übergebe.“