Der Soziale Netzwerker
Dennis Bemmann, studiVZ-Mitgründer zur Zukunft der Informatik
Bereits während seines Studiums – Informatik an der Humboldt-, Islamwissenschaft an der Freien Universität zu Berlin – entwickelte Dennis Bemmann (31) quasi im Alleingang die Technik der studiVZ. Anfang 2007, gerade mal ein gutes Jahr nach der Gründung, übernahm der Holtzbrinck-Konzern die überaus erfolgreiche Plattform für 85 Millionen Euro. Wer „The Social Network“ gesehen hat, dem kommt das bekannt vor, doch dem deutschen Mark Zuckerberg fehlt dessen im Film dargestellte soziale Kälte: Er lernte zum Beispiel sechs Sprachen – sicheres Indiz, dass er sich in der realen Welt ganz gut zurechtfindet. Ein nachdenklicher Typ ist Dennis Bemmann trotzdem …
Als strategische Technologien für 2011 nennt die Marktforschungsfirma Gartner 1) Cloud Computing, 2) mobile Applikationen und Media Tablets und 3) Soziale Netzwerke. Was sind Ihre Top 3?
Cloud computing, Soziale Netzwerke und Multi-core-Architekturen.
Wie unterscheidet Cloud- sich vom Grid-Computing – das galt schon Ende des Milleniums als populär? Erinnert es nicht auch an den damaligen Hype um Thin Clients?
Beim Thema Grid Computing denke ich vor allem an rechenintensive Aufgabenpakete, die zum Beispiel von einer Forschungsgruppe an einen Cluster von Rechnern vergeben werden. Dort werden sie abgearbeitet und die Ergebnisse zurückgeschickt. Der Fokus liegt aber meist auf der Bewältigung umfangreicher Berechnungen, während Aspekte wie Interaktivität kaum eine Rolle spielen. Beim Cloud Computing stehen andere Dinge im Vordergrund. Nützlich ist zum Beispiel, dass ich Anwendungen benutzen kann, ohne erst umständlich Software installieren zu müssen. Dass ich mich als Endnutzer nicht um Updates kümmern muss. Dass meine Daten und meine Arbeitsumgebung mir an verschiedenen Endgeräten und verschiedenen Orten zur Verfügung stehen, ohne dass ich mich mit Synchronisation oder Migration beschäftigen muss. Und letztlich auch, dass Unternehmen mehr IT outsourcen können. Die Idee dahinter ist im Prinzip die gleiche wie bei den Thin Clients. Diese kamen vielleicht zu früh, bezogen auf den Etablierungsgrad von Netzwerktechnik. Aber „Cloud Computing“ klingt natürlich auch viel beeindruckender und eignet sich daher noch besser für einen Hype.
Traditionell waren parallele Architekturen eine Herausforderung für die Informatik, weil Software oft nicht einfach parallelisierbar war. Gilt das auch fürs Cloud Computing?
Verteilte Systeme bringen natürlich eine ganze Reihe von Herausforderungen mit sich. Diese sind aber häufig lösbar und erscheinen nur deshalb schwierig, weil Software jahrzehntelang nach dem Paradigma entwickelt wurde, dass ein Programm eben nur auf einer einzigen Maschine läuft. Viele müssen jetzt umdenken. Im akademischen Bereich gibt es ja schon lange entsprechende Konzepte, aber erst seit kurzem ist das Thema richtig im Mainstream angekommen.
Ersetzen Tablets und „allgegenwärtige“ Geräte wirklich den PC? Manchmal sind sie doch – etwa am Schreibtisch- Arbeitsplatz – sogar unpraktisch?
Letztlich wird sich das durchsetzen, was praktisch ist. Ein Computer kann viel, aber das heißt nicht, dass alles mit Computern gemacht werden muss. Ich würde da auch nicht gleich von „Ersetzen“ sprechen. Das Flugzeug ersetzt zum Beispiel auch nicht die Bahn, obwohl beides Verkehrsmittel sind. Es gibt gute Gründe, warum ich von Berlin nach Hannover mit dem Zug aber nach London mit dem Flugzeug reise. So sind auch die genannten Geräte jeweils für bestimmte Anwendungsfälle prädestiniert.
Fehlt es nicht noch an Konzepten, die schöne neue Hardware produktiver zu nutzen? Hinkt die Softwaretechnik gar diesem theoretischen Potenzial hinterher?
Als Anwender interessieren mich hier ja Produkte als Ganzes und nicht irgendwelche Soft- oder Hardware mit nicht genutztem und somit für mich irrelevantem Potential. Das Hinterherhinken liegt aber häufig an anderen Faktoren. Auch 2011 muss ich Wartenummern ziehen, für einen neuen Pass persönlich ins Bürgeramt gehen und Arzttermine telefonisch vereinbaren. Dabei nützt mir mein iPad überhaupt nichts. Und wenn ich in Zürich mal kurz die Stadtplan-Funktion meines Telefons verwenden möchte, dann kostet das 40 Euro Roaming-Gebühren. Es liegt also nicht an der Software, wenn ich lieber einen altmodischen Papier-Stadtplan verwende.
Beispiel Benutzerschnittstelle: Mit der Hardware- Tastatur meines alten Smartphones war ich schneller als mit der virtuellen des neuen. Noch weniger Haptik bietet in die Kleidung integrierte Bedienung. Spracherkennung nervt spätestens, wenn andere mithören. Möchte man da den Computer nicht am liebsten per Gedanken steuern?
Ich bin mir nicht sicher, ob viele Menschen das wirklich wollen. Informatiker und Ingenieure orientieren sich zu häufig am technisch Interessanten statt an den wahren Bedürfnissen der Nutzer. So entstehen Produkte und Features, die eigentlich kein Mensch braucht.
User bräuchten einfache Lösungen um Zusatzfunktionen zu programmieren und wiederkehrende zu automatisieren. Selbst simpelste Skriptsprachen werden bisher nicht akzeptiert, zumal sie nicht universell sind.
Sie unterstellen aber erstens, dass normale Nutzer Aufgaben erledigen möchten, für die vorhandene Funktionen nicht ausreichen und individuelle Funktionen besser geeignet wären. Und zweitens, dass normale Nutzer in der Lage seien, dies auch zu erkennen und sich darüber hinaus zu überlegen, wie eine neue Funktion gestaltet sein müsste, um den Aufgaben besser gerecht zu werden.Ich denke, dass diese zwei Voraussetzungen selten gegeben sind. Wir müssen anerkennen, dass die meisten Menschen nun mal keine Informatiker sind. Und dass die Einfachheit häufig der Perfektion überlegen ist.
Soziale Netzwerke sehen bisher eher nach Freizeitgestaltung aus …
Wir Menschen sind von Natur aus soziale Wesen und unser Leben wird zu großen Teilen bestimmt durch die Interaktion und den Austausch mit anderen Menschen. Soziale Netzwerke erleichtern uns dies. Durch Sprache konnten Menschen Gedanken austauschen, das Telefon machte Echtzeit-Kommunikation über weite Entfernungen möglich, dank mobiler Endgeräte sind wir jederzeit erreichbar – und auch soziale Netzwerke machen nun Dinge möglich, die es vorher nicht gab. Erstmals können wir zum Beispiel auf einfache Weise mit entfernten Bekannten aus einem großen Freundeskreis in Kontakt bleiben. Ich bekomme mit, worüber Anna sich gerade gefreut hat. Dass Daniel in Italien ist. Dass Katrin einen neuen Job hat. Und dies, ohne dass die betreffenden Freunde dies explizit mir mitteilen müssen. Da das Privatleben reich an sozialen Kontakten ist, erfreuen sich soziale Netzwerke gerade im privaten Bereich großer Beliebtheit. Das Wort „Freizeitgestaltung“ wird ihrer fundamentalen Bedeutung indes nicht gerecht.
… was macht sie also zur „strategischen Technologie“?
Wie Sie schon sagen: ein Marktforschungsinstitut! Denn die leben ja davon, Trends und Hypes zu katalysieren, um dann aufgrund der so demonstrierten Kompetenz einen Teil des investierten Geldes der Unternehmen abzugreifen, die keinen Trend verpassen wollen. In der Tat haben Unternehmen gerade entdeckt, dass man in sozialen Netzwerken hervorragend Marketing betreiben kann, seine Zielgruppen prima erreicht, und eine Menge Consultants sind unterwegs, um den Unternehmen zu erzählen, dass sie da unbedingt mitmachen müssen. Es fließt also Geld, daher wohl das Label. Noch kompetenter wäre es gewesen, diese Entwicklung schon vor fünf Jahren zu erkennen und nicht erst im Nachhinein.
Welche Technologien aus dem Bereich der Sozialen Netzwerke werden die Wirtschafts- und Arbeitswelt verändern?
Ich denke, dass die Auswirkungen sozialer Netzwerke weniger technologischer Natur, sondern vor allem gesellschaftlicher Art sind. Abgesehen von den schon genannten Möglichkeiten im Bereich Kundenkommunikation und Marketing und den vielzitierten Headhuntern, die in sozialen Netzen neue Mitarbeiter rekrutieren, entfalten auch andere Technologien ihr volles Potential erst im Zusammenspiel mit sozialen Netzwerken, so zum Beispiel Location Based Services. Auch für die Kommunikation innerhalb großer Organisationen ergeben sich neue Möglichkeiten.
Was für neue Aufgaben kommen dabei auf die Informatik zu?
Gar nicht unbedingt neue Aufgaben, sondern häufig klassische Probleme der Informatik. Bei studiVZ war angesichts des enormen rapiden Wachstums beispielsweise die Skalierbarkeit eine große Herausforderung. Hier ging es etwa darum, wie man große Datenmengen organisiert, Komplexitätskurven flach hält, Algorithmen skaliert, etc. Weitere, auch in Zukunft relevante Themen sind Datenschutz, Extraktion relevanter Informationen für die Nutzer aus großen Datenmengen, Integration heterogener Systeme und die Gestaltung einfacher aber zugleich mächtiger Nutzerschnittstellen.
Wird virtuoses Umgehen mit StudiVZ, Twitter, Facebook & Co vielleicht irgendwann zum Einstellungskriterium?
Sicherlich kommt sozialen Netzwerken auch in Zukunft eine große Bedeutung zu, aber ich denke nicht, dass ihre normale Verwendung spezielle Qualifikationen erfordert. So ist zum Beispiel auch das Maschineschreiben eine Fähigkeit, die nur in ganz wenigen Berufsfeldern explizit verlangt wird. Alle anderen Arbeitgeber gehen einfach davon aus, dass ein Bewerber versiert genug im Umgang mit Computern ist, um allgemeine Aufgaben zu bewältigen. Das wird bei sozialen Netzwerken nicht anders sein. Und ehrlich gesagt: es ist ja auch nicht schwer. – Was die die junge Generation angeht, bin ich sehr optimistisch. Eltern, Lehrer, Staat und Unternehmen tun eine Menge dafür, Kinder den richtigen Umgang mit den neuen Medien beizubringen – und bei ihrer kreative Nutzung müssten eigentlich wir von den Kindern lernen.
Bisher werden ja vor allem die USA als Heimat cooler Computertechnik wahrgenommen. Deutschland ist stark im Maschinenbau. Eröffnet beider Schnittmenge hierzulande neue Chancen?
Das mag mit daran liegen, dass wir in Deutschland immer erst einmal sehr ausgiebig alle Risiken diskutieren, bevor wir uns den Chancen zuwenden. Wir trauen uns auch selten, in ganz großen Dimensionen zu denken. Das gilt für Investoren noch mehr als für Ingenieure. Was ihre Fähigkeiten betrifft, müssen sich die deutschen Ingenieure jedenfalls vor niemandem verstecken.
Welches noch zu realisierende Gadget hätten Sie persönlich gern?
Ach, da könnte ich ja stundenlang reden... ich wünsche mir zum Beispiel eine handliche Kamera mit 15 Belichtungsstufen Kontrastumfang ohne Rauschen, ein 30-Zoll-Display, das man irgendwie in der Hosentasche transportieren kann, ein Gerät mit dessen Hilfe man auf Knopfdruck einschlafen kann, einen programmierbaren Traumgenerator und einen Wecker der einen auch wirklich richtig wach macht, ich würde mich gern durch die Gegend beamen können und … naja, solche Sachen halt.
Das Gespräch führte Udo Flohr