Der Glasbläser: Sein Spiel mit dem Feuer für zerbrechliche Kostbarkeiten
Horst Müllers beruflicher Werdegang verlief alles andere als geradlinig. Unter glühender Hitze fertigt der Adlershofer Glasbläser Forschungsgeräte, die in keinem Katalog stehen, sowie viele andere zerbrechliche Schönheiten.
Wer in der Nähe von Temperaturen über 1.000 Grad arbeitet, bekommt schon mal bei fünf Grad plus kalte Hände, gesteht Handwerksmeister Horst Müller. Der Mann ist Hitze gewohnt. Er dreht in den Flammen seiner Gaslampe durchsichtige Röhren und Stäbe, bis sie glühen, um daraus filigrane Gebilde hauptsächlich für die Forschung und Lehre zu fertigen. Mithilfe von Diamantwerkzeugen, aber auch Kameras und Mikroskopen müssen diese Apparate oft bis auf ein paar Zehntel- oder gar Hunderstelmillimeter genau geformt werden.
Ausgangsmaterial Quarz
Wenn Müller wegen der extremen Temperaturen zur Herstellung spezieller Quarzapparaturen seine silbrig glänzende Hitzeschutzkleidung überzieht, erinnert er ein wenig an einen Ritter. „Fehlt nur noch dein Schwert“, ruft scherzhaft einer der vier Mitarbeiter in der Glasbläserei. Bis 1995 wurde hier überwiegend Glas bearbeitet, heute sei es zu mehr als 80 Prozent Quarz, denn dieses extrem reine Material wird hauptsächlich für die Wafer- und Halbleitertechnik benötigt.
Überleben als Glasbläser
„Wir bauen alles, was man nicht kaufen kann“, sagt Müller. Vor über 40 Jahren machte er im thüringischen Ilmenau seine Ausbildung als Glasapparatebauer. Von 1969-1980 war er als Glasbläser beim Zentralinstitut für Physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften in Adlershof tätig, danach machte er sich selbstständig mit einer Glaserei in Berlin-Köpenick. Viele Jahre betätigte er sich überwiegend kunsthandwerklich, kreierte Tierfiguren, Windlichter und Kerzenständer. Seit 1993 ist er wieder in Adlershof, betreibt hier seine eigene Glasbläserei. Anfangs konnte er davon nicht leben. Deshalb ging er beispielsweise ins baden-württembergische Weinheim, um für den BASF-Konzern zu arbeiten.
Tragendes Korsett aus Glasfäden
Die Wissenschaftler kommen zu ihm oft nur mit einer kleinen Zeichnung. Um deren Ideen zu verwirklichen, bedarf es viel Erfahrung und großer Fingerfertigkeit. Müller schätzt, dass es im Technologiepark Adlershof zurzeit noch zehn Glasbläser gibt. Seine Aufträge kommen überwiegend von außerhalb. Er kooperiert zum Beispiel mit dem Fraunhofer-Institut in Dresden und dem Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, arbeitet aber auch für die Filmindustrie in Babelsberg und für Museen wie für das Römisch-Germanische Museum in Köln. Dort hat er zusammen mit Wissenschaftlern für eine kaputte Vase aus dem Jahr um 70 n. Chr. ein tragendes Korsett aus hauchdünnen Glasfäden gebaut, da die Splitter nicht angeklebt werden durften.
Gläserne Eigenentwicklungen für die Solarforschung
Wegen der guten Auftragslage in diesem Jahr hat Müller für Anfragen von Privatleuten zur Reparatur von Liebhaberstücken kaum noch Zeit. Bis auf die Ferienmonate Juli und August war er fast jedes Wochenende im Betrieb. So fehlt ihm momentan auch die Zeit für seine vielfältigen Hobbies, zu denen das Paragliding, das Tauchen, mit dem Motorrad zum Geocaching (einer Art Schnitzeljagd mit GPS) fahren oder ein Törn mit dem uralten Segelboot seines Sohnes zählen. Sein Sohn arbeitet übrigens ebenfalls als Glasbläser in seinem Team. Daneben schlägt Müllers Herz für die Solarforschung. Seit gut zehn Jahren entwickelt er dafür spezielle Glasgeräte. Seine patentierten Ideen werden auch für die Produktion umgesetzt.
von Sylvia Nitschke