Der Digitaldenker
Manouchehr Shamsrizi befasst sich mit gesellschaftlichen Auswirkungen der Technologie
Er lässt sich nicht festlegen. Nicht auf ein Fachgebiet. Nicht auf einen Ort. Manouchehr Shamsrizi lebt mit Frau und kleiner Tochter in Hamburg-Wellingsbüttel, wo er 1988 in einer Familie persischer Einwanderer zur Welt gekommen und aufgewachsen ist. Im Prenzlauer Berg bewohnt er ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft. Sein Schreibtisch in Adlershof steht im Innovations- und Gründungszentrum (IGZ) in der Rudower Chaussee: „Ich sitze aber oft in einem der Cafés.“
Seit Herbst vergangenen Jahres ist Shamsrizi Co-Direktor eines Innovationsprogramms für den Bereich der Quantentechnologien, das als „Leap Berlin“ im obersten Geschoss des IGZ an den Start ging. Eingeladen hatte ihn der am Ferdinand-Braun-Institut tätige Quantenphysiker Markus Krutzik, wissenschaftlicher Berater des „Leap“. Der Technologiepark war Shamsrizi von einer Stippvisite als Redner beim „Falling Walls Lab“ 2017 bekannt: „Seitdem bin ich fasziniert von Adlershof.“
„Die Welt nach Adlershof zu holen“, ist beim „Leap“ seine Mission. Das Profil des Standorts als, so Shamsrizi, Ökosystem, in dem Gründer:innen und Start-ups bestens gedeihen, soll weiter an Schärfe gewinnen.
Shamsrizi hat am Bodensee und in Berlin Politik- und Staatswissenschaften sowie Internationale Beziehungen studiert. Er war an der Universität Lüneburg für Wirtschaftsrecht eingeschrieben, saß aber lieber im Seminar des damals als Gastprofessor verpflichteten Architekten Daniel Libeskind über die Zukunft der Universitäten. Er nennt Libeskind eine der „prägenden Personen“ in seinem Leben. Nicht minder einschneidend war 2010 ein Aufenthalt als „Global Justice Fellow“ an der Yale Universität. Weltweite Gerechtigkeit, politische Philosophie und Ideengeschichte im weiteren Sinne, sind seine Lebensthemen.
Digitale Technologien sind das andere. Shamsrizi erinnert sich an eine Episode aus der Grundschulzeit, als seine Klasse der „Hamburger Morgenpost“ einen Redaktionsbesuch abstatten durfte. Auf die Frage, was die Kinder dort am meisten fasziniert habe, kam es vom siebenjährigen Manouchehr wie aus der Pistole geschossen: „Was alles mit Computern möglich ist!“ Videospiele, fachsprachlich „Gaming“, wurden ihm zur lebenslangen Leidenschaft. „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, ist ein Satz, in dem er sich wiedererkennt.
Dabei richtete sich sein Augenmerk zunehmend auf die Rolle der immer raffinierteren digitalen Spiele als „Technologietreiber“. Vieles, was heutzutage digitaler Alltag ist – virtuelle Realität, künstliche Intelligenz, virtuelle Währungen – sei schon vor Jahren auf diesem Feld erprobt worden: „Gaming ist gelebte Zukunftsforschung.“ Mit zwei Freunden an der Humboldt-Universität zu Berlin rief Shamsrizi 2013 das „gamelab.berlin“ ins Leben, einen interdisziplinären Arbeitskreis, der sich solchen Fragen widmet.
Wie lassen sich Chancen nutzen, Risiken minimieren? Was bedeutet die Technik für die Gesellschaft? Was für die internationalen Beziehungen, wenn autoritäre Regime versuchen, Computerspiele mit ihren Botschaften aufzuladen? Shamsrizi hat dazu 2018 ein Gutachten fürs Auswärtige Amt der Bundesregierung verfasst. Beteiligt war er zudem an einem Start-up, das therapeutische Computerspiele für Senior:innen entwickelt. Sie sind mittlerweile in 500 Altenheimen im Einsatz.
Start-up-Gründer, Politikberater, Quantentechnologie-Netzwerker für Adlershof – noch etwas? Shamsrizi ist Heavy-Metal-Fan. Zu seinem Freundeskreis zählen die Veranstalter des legendären Festivals im holsteinischen Wacken. Privat hegt er eine Vorliebe für „Pen-&-Paper“- und Brettspiele. Ganz undigital.
Dr. Winfried Dolderer für Adlershof Journal