Das Riesen-Mikroskop: 3-D-Blick in rätselhafte Funde
Seit elf Jahren kommen Wissenschaftler aus aller Welt nach Adlershof, um am Elektronenspeicherring „BESSY II“ des Helmholtz-Zentrums Berlin für Materialien und Energie (HZB) zu forschen. Auch im vergangenen Jahr waren es wieder mehr als 1.500. Wie mit einem Hochleistungsmikroskop erkunden die Forscher feinste Details von Werkstoffen – oder von archäologischen Schätzen wie den Qumranrollen.
Sie haben Hunderte von Forschern beschäftigt und Stoff für allerlei Mythen geliefert. Die Schriftrollen von Qumran, die vor rund 60 Jahren nahe des Toten Meeres im Westjordanland geborgen wurden, faszinieren Experten wie Laien bis heute: Woher stammen die zweieinhalbtausend Jahre alten Pergamentrollen, die als älteste Handschriften der Bibel gelten?
Herkunft der Qumranrollen
Das interessiert auch Birgit Kanngießer, Professorin am Institut für Optik und Atomare Physik der TU Berlin. Sie hofft, anhand des Gehalts bestimmter chemischer Elemente die Herkunft der Rollen zu entschlüsseln. „Wir wissen, dass es in der Umgebung des Toten Meeres, und nur dort, im Wasser ein bestimmtes Verhältnis von Chlor zu Brom gibt“, erläutert die Wissenschaftlerin. Wenn sie dieses im Pergament findet, ließe sich der Herstellungsort eingrenzen. Allerdings haben sich auf den Rollen im Lauf der Jahrhunderte hauchdünne Ablagerungen gebildet, etwa durch Luftschadstoffe. Mit bisherigen Messmethoden konnte aber nur der Elementgehalt des gesamten Pergaments, einschließlich „Schmutzschicht“ gemessen werden.
„Wir müssen also in die einzelnen Fragmente hineinschauen“, sagt die Physikerin. „Ohne sie dabei zu zerstören.“ Kanngießer und ihr Team nutzen dafür Röntgenstrahlung, die vom Beschleunigerring BESSY II erzeugt wird. Die TU-Forscherin hat ein Röntgenverfahren entwickelt, das einen dreidimensionalen Blick in die rätselhaften Funde erlaubt. Mithilfe von zwei Röntgenlinsen kann sie im Abstand von wenigen tausendstel Millimetern Schicht für Schicht den Elementgehalt messen. Und zwar so präzise, dass Mengenunterschiede bis in den Bereich von Millionsteln erfasst werden.
Miniaturen der Moghul-Dynastie und Keramiken von der Akropolis durchleuchtet
Mit dem präzisen und dennoch materialschonenden Verfahren öffnen sich neue Anwendungsfelder für die Archäologie. Miniaturen aus der indischen Moghul-Dynastie vor gut 300 Jahren hat Kanngießer ebenso mit dem „Röntgenmikroskop“ durchleuchtet wie Keramiken von der Akropolis, die zwischen 2.400 und 2.800 Jahre alt sein müssen. Die Wissenschaftler hoffen, dadurch mehr über die Herstellungstechniken zu erfahren.
So einfach, wie es sich anhört, ist das aber keinesfalls. „Das beginnt schon damit, dass wir am BESSY eine klimatisierte Bestrahlungskammer brauchten“, erzählt Kanngießer. Denn die wertvollen Artefakte benötigen eine bestimmte Temperatur und Luftfeuchte, damit sie noch möglichst lange erhalten bleiben. Einen Fürsprecher für das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt fand die TU-Forscherin in Wolfgang Eberhardt, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums Berlin und seit Kurzem auch Vorsitzender der IGAFA (Initiativgemeinschaft der außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Adlershof). „Er hat das Potenzial des neuen Verfahrens von Anfang an erkannt und uns tatkräftig unterstützt“, sagt Kanngießer.
Ralf Nestler für Adlershof Journal
Links:
www.bessy.de
www.ioap.tu-berlin.de/menue/arbeitsgruppen/ag_kanngiesser